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Antikörpermangel

In den letzten Jahren hat der Begriff Antikörpermangel in der Medizinischen Fachwelt an Bedeutung gewonnen. Ein Antikörpermangel oder eine Hypogammaglobulinämie sind Begriffe, die man synonym verwenden kann. Man unterscheidet heutzutage, ob der Antikörpermangel eine primäre (angeborene) oder sekundäre (erworbene) Ursache hat. Es handelt sich um einen niedrigen Serum-Immunglobulin- oder Antikörperspiegel. Immunglobuline sind die Hauptbestandteile des humoralen Immunsystems und in der Lage, Antigene zu erkennen, eine biologische Reaktion auszulösen und Infektionen zu beseitigen. Dabei spielt das Immunglobulin G eine tragende Rolle. Die Antikörper werden in unserem Immunsystem von B-Zell-Lymphozyten produziert.

Angeborener Antikörpermangel

Ein angeborener Antikörpermangel ist das Ergebnis intrinsischer genetischer Defekte als Folge einer mangelhaften Produktion von Antikörpern in B-Zell-Lymphozyten oder auch fehlender B-Zell-Lymphozyten. Vor 70 Jahren wurde vom Arzt Colonel Ogden Bruton der erste Immundefekt mit einem Antikörpermangel beschrieben. Dabei handelte es sich über einen Jungen mit wiederkehrenden Infektionen und fehlenden Antikörpern und B-Zell-Lymphozyten im Blut. Später wurde die Erkrankung als X-chromosomale Agammaglobulinämie oder als Bruton Agammaglobulinämie bekannt.
Ein angeborener Antikörpermangel kann im Kindesalter oder auch im Erwachsenenalter diagnostiziert werden. Das Spektrum ist breit gefächert und reicht von Patienten mit ausgeprägtem oder vollständigem Fehlen von Immunglobulinen mit reduzierten oder völlig fehlenden B-Zell-Lymphozyten bis hin zu Patienten mit selektivem Antikörpermangel mit normalem Immunglobulinen im Blut. Die schweren Antikörpermangelsyndrome wie die Bruton Agammaglobulinämie werden im Kindesalter diagnostiziert. Infektionen sind dabei ein Warnzeichen. Bei Infektionen im Kindesalter ist zu beachten, dass die Häufigkeit vom Alter des Kindes abhängt. Im Allgemeinen gilt: Je älter das Kind, desto weniger Infektionen treten auf. Bei Erwachsenen ist das Immunsystem normalerweise ausgereift. Daher sollten wiederkehrende Infektionen nicht als normal angesehen werden.
Trotz eines unauffälligen Verlaufs in der Kindheit kann sich ein angeborener Antikörpermangel erst im Erwachsenenalter manifestieren. Andererseits können die ersten Symptome und Anzeichen schon im Kindesalter auftreten und sich erst später im Erwachsenenalter voll entfalten. Da die klinischen und immunologischen Merkmale im Kindesalter jedoch noch nicht ausgeprägt waren, wurde die Möglichkeit eines angeborener Antikörpermangel im Kindesalter nicht in Betracht gezogen bzw. untersucht. Dies beobachtet man am häufigsten beim Antikörpermangel, insbesondere beim variablen Immunschwächesyndrom (CVID). Zusätzlich können die betroffenen Personen neben einer erhöhten Infektionsanfälligkeit auch an Tumor-, Autoimmun-, entzündlichen Erkrankungen oder auch an Allergien leiden.
Epidemiologische Daten legen nahe, dass CVID in zwei Erkrankungsgipfeln auftritt. Der erste Gipfel tritt in der Kindheit auf und der zweite Gipfel im dritten oder vierten Lebensjahrzehnt. Die Symptome der CVID können jedoch zu jedem Zeitpunkt des Lebens auftreten, auch bei älteren Patienten. In Europa werden 60 % der CVID-Diagnosen bei Erwachsenen gestellt. Aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades der angeborenen Immundefekte bei Erwachsenen in der medizinischen Fachwelt und des heterogenen klinischen Bildes der CVID kann es bis zu mehreren Jahren dauern, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird.

Erworbener Antikörpermangel

Der Erworbene Antikörpermangel ist gekennzeichnet durch einen verminderten Immunglobulinspiegel aufgrund eines Medikaments oder eines Krankheitsprozesses, der zu einer verminderten Antikörperproduktion oder einem erhöhten Antikörperverlust führt. Bei einem diagnostiziertem Antikörpermangel sollten erworbene Ursachen des Antikörpermangels ausgeschlossen werden, die durch Medikamente (z.B. Immunsuppression, Chemotherapie), Tumore (z.B. hämatologische Erkrankungen wie chronische lymphatische Leukämie oder multiples Myelom), Operationen (z.B. Splenektomie), Infektionen (z.B. HIV), schwere Mangelernährung, Leberzirrhose, Stoffwechselstörungen (z.B. Urämie, Diabetes mellitus) und Eiweissverlust (z.B. nephrotisches Syndrom, Eiweissverlust-Enteropathien) verursacht werden können.

In den letzten Jahren hat der zunehmende Einsatz immunsuppressiver Behandlungen bei autoimmunen rheumatologischen und neurologischen Erkrankungen sowie bei hämatologischen/onkologischen Erkrankungen, die zu einem Antiköpermangel führen können, zugenommen. Der Antikörpermangel tritt als Nebenwirkung von spezifischen Therapien auf, die direkt auf B-Zell-Lymphozyten abzielen, sowie von nicht B-Zell-spezifischen Therapien oder Verfahren, die dennoch die B-Zell-Lymphozyten oder die Antikörperbildung beeinträchtigen, einschliesslich herkömmlicher Immunsuppressiva wie z.B. Kortikosteroide.

Umgekehrt scheint der bei Lungenerkrankungen beobachtete erworbene Antikörpermangel weitgehend auf die immunsuppressive Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung und nicht auf einen angeborene Antikörpermangel zurückzuführen zu sein, obwohl es auch Ausnahmen bei Patienten mit chronischen Lungenerkrankung gibt, die vor der Immunsuppression einen Antikörpermangel aufweisen. Erworbene Antikörpermangel, die nach der Transplantation von Lungen-, Herz- und Nierentransplantationen beobachtet werden, scheinen ebenfalls weitgehend iatrogener Natur zu sein, bedingt durch die Immunsuppression, wobei zusätzliche Proteinverluste ins Spiel kommen, insbesondere bei nierentransplantierten Patienten mit nephrotischem Syndrom.

Diagnose mit Blutuntersuchung

Bei immer wiederkehrenden Infektionserkrankungen kann der Arzt die Verdachtsdiagnose auf ein Antikörpermangelsyndrom stellen und durch eine Blutuntersuchung bestätigen: Typisch ist, dass im Blut zu wenig Immunglobuline G vorhanden sind, oft sind auch die Immunglobuline A und M niedrig. Die Unterscheidung zwischen angeborenem und erworbenem Antikörpermangel kann schwierig sein.

Neben einer ausführlichen Anamnese, die die Medikamenteneinnahme und die Krankengeschichte umfasst und einer körperlichen Untersuchung sollten weitere Tests durchgeführt werden. Dazu gehören Untersuchungen, um festzustellen, ob eine übermässige Eiweissausscheidung über den Urin oder den Darm vorliegt.

Behandlung

Ein erworbenen Antikörpermangel lässt sich durch eine erfolgreiche Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung oft heilen. Bei einem angeborenen Antikörpermangel ist keine ursächliche Therapie möglich. Lässt sich der erworbenen Antikörpermangel nicht rückgängig machen oder liegt ein angeborener Antikörpermangel vor, braucht es regelmässige Kontrollen. Zu den Eckpfeilern der Behandlung gehören: die Behandlung akuter Infektionen, die Infektionsprophylaxe und die Behandlung von Komplikationen wie Autoimmunerkrankungen, entzündlichen, allergischen oder malignen Erkrankungen.

Zu der Infektionsprophylaxe gehören Impfungen. Lebendimpfstoffe sollten im Allgemeinen gemieden werden. Bei angeborenem oder permanentem erworbenem Antikörpermangel mit wiederkehrenden Infektionen, erhalten die Betroffenen als zusätzliche Infektionsprophylaxe Immunglobuline über die Vene (intravenös) oder unter die Haut (subkutan). Die Infusionen müssen regelmässig alle drei bis vier Wochen stattfinden, damit immer ausreichend Antikörper für die Infektabwehr zur Verfügung stehen. Bei subkutaner Verabreichung ist die Dosis der Immunglobuline geringer, sie muss aber wöchentlich erfolgen. Neuere Therapieformen ermöglichen nun auch eine monatliche subkutane Verabreichung. Treten trotzdem bakterielle Infektionen auf, werden sie mit Antibiotika behandelt.

Dr. med. Peter Jandus

Dr med. Peter Jandus ist Facharzt für Innere Medizin und für Allergologie und klinische Immunologie. Seit 2019 ist er leitender Arzt an der Klinik für Immunologie und Allergologie des Universitätsspitals Genf mit Schwerpunkt Immundefekte bei Erwachsenen und schwere Allergische Erkrankungen.

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