Klinik und Therapie

Emotional Processing Scale

Emotionen spielen ganz unabhängig von der Störung in jeder Therapie eine wichtige Rolle. Die Emotional Processing Scale erlaubt eine genaue Analyse, wie gut ein Patient Emotionen verarbeiten und regulieren kann. Auf dieser Grundlage kann der Umgang mit Emotionen verbessert werden. Therapieverläufe und -erfolge können störungsunabhängig sichtbar gemacht werden.

Die deutsche Adaptation der Emotional Processing Scale (EPS-D) ist nun erschienen. Wir haben mit Dr. Birgit Gurr und Anna Stuflesser, zwei der Autorinnen der EPS-D, gesprochen.

Was ist die EPS-D?

Bild: Modell der Emotionsverarbeitung (Abbildung aus Gurr, Stuflesser, Kleinstäuber & Baker, 2018; adaptiert nach Baker et al., 2015)

Frau Dr. Gurr und Frau Stuflesser, können Sie kurz zusammenfassen, was mit der EPS-D untersucht werden kann?
Die EPS-D dient der Erfassung verschiedener Elemente der Emotionsregulation und -verarbeitung, indem sie gesunde und ungesunde emotionalen Verarbeitungsstile identifiziert und quantifiziert. Dies hilft Therapeuten, den Einfluss ungesunder Verarbeitungsstile bei psychischen und psychosomatischen Störungen oder körperlichen Erkrankungen zu bewerten. Emotionale Erfahrungen oder Schwierigkeiten bei der Emotionsverarbeitung, die im Rahmen psychischer Störungen auftreten, können somit in die individuelle Therapieplanung integriert werden.
Da die EPS-D ganz allgemein die Emotionsregulation und -verarbeitung einer Person misst, ist sie nicht nur für die klinische Anwendung und Forschung geeignet, sondern kann auch in der Gesundheits-, Sozial-, Pädagogischen- und Wirtschaftspsychologie sowie der Personalförderung eingesetzt werden.

Die EPS-D beruht auf dem Modell der Emotionsverarbeitung von Roger Baker und seinen Kolleginnen und Kollegen, die über 15 Jahre dazu geforscht haben. Was sind die Kernelemente dieses Modells?
Das Thema Emotionsforschung hat in den letzten Jahren in der Psychologie, Verhaltensforschung und Neurobiologie an Popularität gewonnen.
Der EPS-D liegen Forschungsbemühungen zu neurobiologischen und psychologischen Prozessen, auf denen Emotionen und ihre Verarbeitung basieren, zugrunde. Des Weitern stehen Veränderungen emotionaler Zustände (z.B. aufgrund kritischer Lebensereignisse oder einer psychotherapeutischen Behandlung) im Zentrum der Untersuchungen.
Das Modell der Emotionsverarbeitung basiert auf den neurobiologischen Grundlagen emotionaler Mechanismen, auf Theorien zur Emotionsregulation und auf psychotherapeutischen Grundannahmen zur Emotionsverarbeitung.

Frau Dr. Gurr, Sie leben selbst in England, wo das englische Originalverfahren EPS entwickelt und 2015 veröffentlicht wurde. Wie kam es dazu, dass Sie die deutsche Adaptation EPS-D übernommen haben?
Prof. Dr. Roger Baker, Autor der Originalfassung, forscht seit vielen Jahren zur emotionalen Verarbeitung bei psychisch und physisch erkrankten Personen. Als Kollegen beim Gesundheitswesen Dorset und an der Universität Bournemouth hatten wir häufig Gelegenheit zum gegenseitigen Austausch.
Sein Konzept zur emotionalen Verarbeitung hat mir oft eine Grundlage für die therapeutische Arbeit mit meinen Patienten gegeben. Deshalb habe ich mich auch über die Veröffentlichung der EPS bei Hogrefe Oxford sehr gefreut. Dies ermöglichte mir nun endlich, den normierten Fragenbogen regelmäßig in der Klinik einzusetzen.
Prof. Bakers Einladung, die deutsche Normierung und Validierung vorzunehmen, war für mich eine Ehre.

Die EPS-D im Klinikalltag

Wie können die Ergebnisse aus der EPS-D in der Therapie konkret genutzt werden? Können Sie ein kurzes Beispiel geben?
Vor kurzem hatten wir den Fall einer Patientin, die bei einer Routineoperation einen Schlaganfall erlitten hatte.
In der Rehabilitationsphase zeigte sich eine eindrucksvolle Wiederherstellung ihrer kognitiven und physischen Fähigkeiten. Trotzdem schienen psychische Stressoren ihre Aufmerksamkeit so zu beeinträchtigen, dass sie bestimmte Aufgaben nicht präzise und effizient ausführen konnte. Die Rehabilitationsziele lösten bei der Patientin scheinbar hohen Leistungsdruck aus.
Wir setzten die EPS ein und stellten fest, dass die Patientin hohe Werte auf den Skalen "Verdrängung" und "Emotionsverarbeitung" erzielte. Diese Werte verdeutlichten, dass sie emotionale Erlebnisse und Erfahrungen unzureichend verarbeitet hatte. Die beiden Bereiche konnten anschließend mit der Patientin bearbeitet werden. Auch das tieferliegende Problem und frühkindliche Erfahrungen, die für ihren überwältigenden Leistungsdruck verantwortlich waren, konnten durch die EPS aufgedeckt werden.
Mit Hilfe der EPS wurde so die soziale und emotionale Verarbeitung nach dem Schlaganfall verbessert. Dies half auch bei der physischen und kognitiven Regenerierung und bot weitere Ansatzpunkte für die Psychotherapie. Außerdem konnte ihr emotionaler Verarbeitungsstil präventiv besprochen werden, um einem Burnout oder anderen zukünftige Gesundheitsrisiken vorzubeugen.
Die EPS wurde anschließend auch verwendet, um Veränderungen in der Emotionsverarbeitung während der Therapie zu messen. Dabei stellten wir fest, dass sich ihre Werte in den Skalen "Verdrängung" und "Emotionsverarbeitung" nach der Therapie normalisiert hatten.

Sie selbst arbeiten ja viel mit Patienten mit neuropsychologischen Beschwerden. Wie nutzen Sie die EPS im Klinikalltag?
Die Emotional Processing Scale hat 25 Items auf 5 Skalen (siehe Kasten). Dieses Format ist überaus praktisch im klinischen Alltag.
Unsere Patienten berichten häufig über komplexe Kombinationen neuropsychologischer Symptome. Das heißt, sie haben sowohl kognitive oder sprachliche Beeinträchtigungen (z.B. bei Schädelhirntrauma oder Schlaganfall) als auch emotionale Adaptationsschwierigkeiten (z.B. bei Multipler Sklerose oder Chorea Huntington).
Einfach formulierte Items wie bei der EPS sind da sehr von Vorteil. Damit können unsere Patienten ihre emotionalen Erfahrungen so genau wie möglich einschätzen.
Die graphische Darstellung der Ergebnisse ermöglicht es im therapeutischen Gespräch mit unseren Patienten, die Ausprägung ihrer emotionalen Stile zu ergründen und daran zu arbeiten.

Skalen der EPS-D

1. Verdrängung: emotionale Erlebnisse und Erfahrungen werden der Verarbeitung entzogen
2. Emotionsverarbeitung: unzureichende Verarbeitung emotionaler Inhalte
3. Emotionskontrolle: emotionale Ausbrüche oder Kontrollverlust hinsichtlich der eigenen Gefühle
4. Vermeidung: häufiger Einsatz verschiedener Strategien zur Vermeidung negativer Emotionen
5. Emotionserleben: erlebte Emotionen können nur schwer bewusstgemacht, benannt oder beschrieben werden bzw. werden nicht mit dem auslösenden Ereignis in Verbindung gebracht
Gesamtwert der EPS-D: Schwierigkeiten mit der Verarbeitung von Gefühlen und emotionalen Erlebnissen allgemein

Da es in der EPS um ganz grundlegende Aspekte geht, kann sie in sehr vielen Bereichen eingesetzt werden, sogar in der Personalauswahl. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Ich arbeite bei Dorset HealthCare. Diese Organisation hat ungefähr 5000 Angestellte. Die Fluktuation ist ungeheuer groß. Man kann darüber spekulieren, ob compassion fatigue und Burnout Gründe dafür sind. Jede Woche werden ungefähr 20 neue Personen eingestellt.
Einsicht in die eigenen emotionalen Stile und Bewältigungsmechanismen kann hilfreich bei der Entscheidung sein, ob man für eine Tätigkeit geeignet ist, die einem täglich großes Einfühlungsvermögen und emotionalen Einsatz abverlangt.
Personalleiter können die Ergebnisse der EPS z.B. nutzen, um Maßnahmen und Angebote zu erstellen, die die Beschäftigungsdauer im Unternehmen erhöhen.

Wie unterscheidet sich die EPS-D von anderen Verfahren zur Emotionsverarbeitung?
Unsere Literaturrecherche hat ergeben, dass es unzählige Ansätze in der Emotionsforschung gibt.
Neurobiologische und psycho-physiologische Untersuchungen fokussieren auf die elementaren Kreisläufe der Emotionsregulation und beruhen auf Labortests, Tierexperimenten und Gehirnscans.
Neuropsychologische Verfahren spezialisieren sich auf Untersuchungen der subkortikalen Vorgänge bei der Emotionsregulation. Solche Verfahren sind häufig systematische Beobachtungsverfahren in Kombination mit Labor- und psychologischen Tests.
Dagegen sind subjektiv wahrgenommene Gefühle und Gefühlsausdruck Gegenstand von psychologischen Untersuchungen. Dabei kommen meist Fragebögen zum Einsatz.  Diese Verfahren beruhen zum Beispiel auf Persönlichkeitstheorien (z.B. von Carl Rogers) oder auf psychotherapeutischen Theorien (z.B. der Emotionsfokussierten Therapie von Leslie S. Greenberg).
Die EPS dagegen geht aus einem theoretischen Ansatz hervor, der sowohl die physiologische Ebene der emotionalen Verarbeitung als auch die psychologische des Emotionsausdrucks verbindet. Damit versucht die EPS dem Gegenstand der psychosomatischen Forschung und Therapie so nahe wie möglich zu kommen.

Weitere Informationen zur Emotional Processing Scale

Quelle der Abbildung

Gurr, B., Stuflesser, A., Kleinstäuber, M. & Baker, R. (2018). Emotional Processing Scale. Deutsche Adaptation der Emotional Processing Scale (EPS) von R. Baker, P. Thomas, S. Thomas, M. Santonastaso & E. Corrigan. Manual (Abb. 2, S. 10). Göttingen: Hogrefe.