Restitution, Kompensation und Integrative Verfahren: Die drei Säulen der Neuropsychologischen Psychotherapie
Grundsätzlich fußt die Neuropsychologische Psychotherapie auf drei Säulen: Restitution, Kompensation und Integrative Verfahren. Restitutive Ansätze nutzen die grundsätzliche Plastizität des Gehirns, die es ihm ermöglicht, mithilfe von gezielten und intensiven Übungen z.T. eine Regeneration geschädigter Hirnbereiche herbeizuführen, z.B. indem neue Nervenzellen oder Verbindungen zwischen Hirnarealen gebildet werden. Häufig werden in dem Zusammenhang computergestützte Übungen, z.B. für die Therapie von beeinträchtigten Aufmerksamkeitsfunktionen, genutzt. Kompensatorische Ansätze umfassen z.B. das Nutzen interner (z.B. Mnemotechniken) und externer (z.B. Kalender, Gedächtnisstützen) Strategien, die es entsprechend beeinträchtigten Personen ermöglichen, die vorhandenen Defizite z.T. auszugleichen. Zum Teil nutzen Patient:*innen solche Strategien bereits spontan, z.B. indem sie mehr Zeit für manche Aktivitäten einplanen oder Angehörige bitten, sie an Termine zu erinnern; zum Teil müssen sinnvolle Kompensationsstrategien jedoch erst in der Behandlung erarbeitet und eingeübt werden. Integrative Verfahren umfassen im Grunde das gesamte Instrumentarium psychotherapeutischer Arbeit, wie z.B. verhaltenstherapeutische Techniken des Verhaltensaufbaus und -abbaus, die z.B. bei Antriebsstörungen oder problematischen Verhaltensänderungen nach Hirnschädigung zum Tragen kommen.
Die von einer Hirnschädigung betroffenen Personen müssen sich oft mit einem veränderten Selbstbild auseinandersetzen, Depressionen und Ängste können dabei gerade in der Phase auftreten, in der das Ausmaß der Veränderungen allmählich realisiert wird. Dysfunktionale Annahmen, z.B. eine Kopplung des eigenen Selbstwertes allein an die berufliche Leistungsfähigkeit, können die Rehabilitation erschweren und mithilfe verschiedener therapeutischer Ansätze (z.B. Prüfung der Nützlichkeit solcher Annahmen) umstrukturiert werden. Manchmal ist die Veränderung der Selbstwahrnehmung jedoch auch in Form einer sogenannten Anosognosie blockiert, bis hin zu einer völligen Verkennung offensichtlicher Defizite, z.B. im Gedächtnisbereich. Auch betrifft eine Hirnschädigung in der Regel das gesamte Familiensystem. Alte Konflikte können zugespitzt aufbrechen, während sich alle Beteiligten mit einem veränderten Rollengefüge auseinandersetzen müssen, sodass auch Ansätze der systemischen Psychotherapie sinnvoll eingesetzt werden können, um der gesamten Familie zu einem veränderten Gleichgewicht zu verhelfen. Diesem verfahrensübergreifenden Gedanken wird im neuen Lehrbuch von Teismann et al. (2024) in besonderer Weise für alle behandelten psychischen Störungen, auch jenseits der in diesem Themenweltartikel besonders hervorgehobenen psychischen Störungen infolge von Hirnschädigungen, in besonderer Weise Rechnung getragen.
Nicht zuletzt beinhaltet die Neuropsychologische Therapie auch die Auseinandersetzung mit den Alltagsfolgen der festgestellten geistigen und emotionalen Veränderungen der Patient*innen, die sich z.B. auf ihre berufliche Tätigkeit, ihre Fahrtauglichkeit sowie ihre persönlichen Beziehungen auswirken können. Das Buch „Rehabilitation nach Hirnschädigung“ von Wilson et al. in der dt. Übersetzung von Suchan und Thoma (2020) illustriert alltagspraktisch die Umsetzung verschiedener neuropsychotherapeutischer Ansätze in der Behandlung der hier beschriebenen Problemfelder nach Hirnschädigung.
Zusammenfassend bietet die Neuropsychologische Therapie als z.T. noch etwas weniger bekanntes spezialisiertes Tätigkeitsfeld von Psychotherapeut*innen Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen die Chance, die geistigen und emotionalen Folgen von erworbenen Hirnschädigungen günstig zu beeinflussen, ihre alltagspraktische Relevanz zu erkennen und zu kompensieren sowie bleibende Folgen zu akzeptieren. Letztlich geht es auch in dieser Form der Psychotherapie zentral darum, die eigene Lebensqualität angesichts einer Krise bestmöglich zu beeinflussen.