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Medizin in Afrika: Bessere Versorgung trotz großem Stadt-Land-Gefälle

Die aktuelle Ausgabe von Praxis – Schweizerische Rundschau für Medizin beschäftigt sich mit der medizinischen Situation in Afrika. Aus diesem Anlass haben wir mit Dr. Maja Weisser gesprochen. Sie ist Forschungskoordinatorin in Tansania und Ärztin am Universitätsspital Basel, das sich seit vielen Jahren an medizinischen Projekten in Afrika beteiligt.

Die medizinische Situation in Afrika hat sich in den letzten Jahren verbessert. Nach wie vor gibt es aber viele Probleme.

Frau Weisser, Afrika ist ein Kontinent mit 55 Ländern und 1,3 Milliarden Einwohnern. Ist es vor diesem diversen Hintergrund überhaupt sinnvoll, generell über seine medizinische Situation zu sprechen?
Es sind in der Tat große Unterschiede der Gesundheitsversorgung vorhanden - nicht nur zwischen verschiedenen Ländern aber auch zwischen Regionen und insbesondere zwischen urbanen und ländlichen Gebieten.

Welche großen Linien kann man trotzdem ausmachen?
Was ähnlich ist, ist dass das Gesundheitssystem fast überall nebst staatlichen auch von kirchlichen Institutionen mitgetragen wird und dass internationale vertikale Programme beispielsweise zur Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und HIV eine wichtige Rolle spielen.

HIV-Infektionen sind zurückgegangen

HIV ist vor allem in Subsahara-Afrika seit Langem ein Thema. Wie ist die aktuelle Entwicklung?
Die HIV-Epidemie im südlichen Afrika hat in vielen Ländern die Bevölkerung dezimiert und die Lebenserwartung reduziert. Dank einem nie dagewesenen internationalen Engagement hat sich die Situation aber stabilisiert. In Afrika sind die Neuinfektionen um 30 % zurückgegangen – mehr als überall sonst auf der Welt. Die Mutter-zu-Kind Übertragung konnte stark reduziert, wenn auch noch nicht eliminiert werden. Dabei haben die Länder viel voneinander gelernt und ähnliche Programme etabliert.

Hat es auch Fortschritte in der Versorgung von bereits infizierten Menschen gegeben?
Ja, die antiretrovirale Therapie ist heutzutage praktisch überall Patienten zugänglich und die Behandlungserfolge sind gleich und manchmal besser als in anderen Regionen der Welt. Trotz diesen Erfolgen sind im Jahr 2017 noch 300.000 Menschen in Afrika an AIDS gestorben – eine viel zu hohe Zahl. Es ist deswegen zentral, dass die Anstrengungen, die Epidemie-Kurve wirklich nach unten zu drücken, nicht nachlassen, da sonst mit einem Wiederanstieg der Neuinfektionen zu rechnen ist.

Wo sehen Sie außerdem noch Handlungsbedarf?
Das ambitionierte Ziel von UNAIDS, dass bis 2030 90 % der Menschen auf HIV getestet sind, 90 % der positiv Getesteten eine Therapie haben und 90 % der Behandelten viral supprimiert sind, wird wahrscheinlich nicht erreicht, und das nicht nur in Afrika. Das bedeutet, dass die Strategie angepasst werden muss, um mehr Menschen früher zu erreichen. Eine besondere Bedeutung hat in Afrika die Verbesserung bei der Diagnose und Behandlung von Jugendlichen, vor allem jungen Frauen, die in besonderem Maße betroffen sind, und für die meist keine Behandlungsangebote bestehen, die auf ihre spezielle Lebenssituation eingehen. Sie zu behandeln bedeutet auch die Transmission zu reduzieren – unter jungen Partnern aber auch von jungen Müttern auf ihr Kind.

An Tuberkulose sterben die meisten Menschen

Neben HIV ist seit Jahren Tuberkulose das große Problem in vielen afrikanischen Staaten. Welche Veränderungen gibt es da?
Die Tuberkulose ist heute die Infektionskrankheit an der am meisten Menschen sterben, ein großer Teil davon im südlichen Afrika. In etwa 20 % der Fälle ist Tuberkulose mit einer HIV-Infektion assoziiert – im südlichen Afrika in bis zu 50 %.

Liegt das an fehlenden Medikamenten?
Im Gegenteil, Medikamente sind überall verfügbar. Die Schwierigkeit ist die frühe Diagnosestellung und Behandlung. Damit einher geht auch, dass die Übertragung auf Mitmenschen nur schwer verhindert werden kann, das betrifft vor allem die Familie und das Arbeitsumfeld. Das Screening einer latenten Tuberkulose und die Behandlung einer solchen ist zurzeit nur für HIV-infizierte Menschen Standard. An besseren präventiven Maßnahmen wird intensiv geforscht, dazu gehört auch eine verbesserte Impfung.

Diese Forschung findet vor dem Hintergrund einer gefährlichen Entwicklung statt. Welche ist das?
In den letzten 10-15 Jahren werden im südlichen Afrika zunehmend Resistenzen beobachtet – ähnlich wie in Osteuropa und Zentralasien. Das ist äußerst besorgniserregend, da es die Behandlung ungleich komplizierter und länger macht und ein schlechteres Therapieansprechen zur Folge hat.

Dennoch steigt die Lebenserwartung in vielen afrikanischen Staaten glücklicherweise wieder – auch wenn sie weiterhin unterdurchschnittlich ist. Welche weiteren Gründe gibt es hierfür?
In den letzten Dekaden hat sich vieles parallel verändert: Nicht nur die HIV-assoziierten Todesfälle sind zurückgegangen, auch Malaria ist dank besseren Behausungen, Bettnetzen und raschem Therapiebeginn deutlich seltener geworden. Der Zugang zu sauberem Wasser hat an vielen Orten zu einer Reduktion von Durchfall-Erkrankungen geführt. Dann hat sich die Kindersterblichkeit dank gezielter Interventionen deutlich verbessert. Diese Veränderungen konnten auch stattfinden vor dem Hintergrund einer zumindest teilweise stattfindenden ökonomischen Stabilisierung, Reduktion der Unterernährung und einem höheren Ausbildungsniveau.

Mit steigender Lebenserwartung geraten andere Krankheiten in den Fokus

Wie verändern sich dadurch die medizinischen Bedürfnisse der Menschen?
Traditionellerweise ist die medizinische Versorgung in einem Setting mit eingeschränkten Ressourcen auf die Behandlung akuter Krankheiten, vor allem Infektionskrankheiten, ausgerichtet. Mit der steigenden Lebenserwartung werden aber Programme für die Behandlung chronischer Krankheiten notwendig. Nichtübertragbare Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes oder Nierenerkrankungen werden wichtiger. Außerdem erkranken ältere Menschen häufiger an kardiovaskulären oder Krebsleiden.
Die Ressourcen, die Erfahrung und die Strukturen für eine Behandlung chronischer Krankheiten müssen aufgebaut werden. HIV hat hier eine Vorreiterrolle: Für eine erfolgreiche Therapie braucht es die dauernde Einnahme von Medikamenten, das regelmäßige Überwachen der Therapie und, wo nötig, Anpassungen. Nicht zuletzt braucht es eine Sensibilisierung für diese Krankheiten in der Bevölkerung.

Wirkt sich das Bevölkerungswachstum auch auf die Finanzierung der medizinischen Infrastruktur aus?
Ja, der Bevölkerungszuwachs hat zur Folge, dass zusätzliche Ressourcen alleine für den Erhalt der jetzigen Gesundheitsleistungen aufgebraucht werden. So ist es schwierig, dringende Verbesserungen im Gesundheitssystem zu erreichen. Die Kosten für zusätzliche Dienstleistungen aber auch für die Ausbildung von Fachkräften können nur gedeckt werden, wenn funktionierende Steuersysteme, staatliche Unterstützungen und Krankenkassen aufgebaut werden.

Medizinische Infrastruktur: Stadt-Land-Gefälle ist immens

Wie sieht denn generell die medizinische Infrastruktur in afrikanischen Ländern aus?
Das kann sehr unterschiedlich sein. In Privatspitälern in den rasch wachsenden Metropolen kann der Standard exzellent sein, während auf dem Land oftmals weiterhin eine sehr rudimentäre Versorgung besteht.

Welches sind die drängendsten Probleme auf dem Land?
Hier macht vor allem die instabile Stromversorgung Sorgen. Sie ist für operative Eingriffe, Laborgeräte und auch für zunehmend verwendete elektronische Patientendokumentationssysteme ein Problem. Dann bleibt in abgelegenen Gebieten die Logistik der Lieferkette schwierig. Dadurch sind Sauerstoff und Verbrauchsmaterialien aber auch Medikamente nicht lückenlos vorhanden. Und nicht zuletzt ist die Wartung von medizintechnischen Geräten ein Problem: Staub, feuchtheißes Klima, Stromunterbrechungen oder Stromstöße führen zu rascherem Verschleiß und das Knowhow, sie in Stand zu halten, ist oft nicht vorhanden.

Wie sieht es mit dem Zugang zu Medikamenten aus?
Der Zugang zu Medikamenten ist deutlich besser geworden, insbesondere auch die Qualität der Medikamente, da die meisten Länder Kontrollen eingeführt haben, um dem Verkauf von „fake drugs“ entgegenzuwirken. Betreffend Finanzierung bestehen enorme Unterschiede: Während in gewissen Ländern die wichtigsten Medikamente vom Staat finanziert werden, müssen anderorts Patienten selbst für die Kosten aufkommen, was gerade bei chronischen Krankheiten sehr problematisch ist.

Frau Dr. Weisser, vielen Dank für das Gespräch!

Das Thema nimmt Bezug auf das Schwerpunktthema „Medizin im Wandel in Subsahara-Afrika“ unserer Fortbildungszeitschrift Praxis. Ärzte und Ärztinnen lesen Praxis vom Studium über die Assistenzjahre bis in die eigene Praxis. Originalartikel, Mini-Reviews, Praxis-Fälle und die klinischen Kurzstandards sind Peer-reviewed; CME-Artikel werden von SGAIM und SGUM als Fortbildung anerkannt und zeichnen sich durch ihren hohen Praxisbezug aus; grosses Gewicht wird auf problemorientierte Abklärungsstrategien gelegt.

Maja Weiser

Maja Weisser hat in Basel Medizin studiert. Hier ist sie seit 1995 mit Stationen in Luzern und Liestal und in den letzten Jahren vor allem am Universitätsspital Basel als Ärztin vornehmlich in der Infektiologie tätig. Außerdem ist sie Forschungskoordinatorin an der Chronic Disease Clinic Ifakara in Tansania, wo sie 50 % ihrer Arbeitszeit verbringt. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Themen HIV und Tuberkulose.