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Pflegeroboter: Ethik und Moral als Maxime ihres Handelns

Der Einsatz von Pflegerobotern gilt oft als Hoffnungsträger, wenn es um die Zukunft der pflegerischen Versorgung geht. Dabei können technische Systeme den Pflegenotstand nicht lösen, sondern lediglich abmildern, meint Catrin Misselhorn, Philosophieprofessorin an der Universität Göttingen. Sie beschäftigt sich mit der Frage: Können und sollten Roboter moralisch handeln? Und wie könnte das im Bereich der Pflege aussehen?

Frau Professorin Misselhorn, als Argument für den Einsatz von technischen Pflegesystemen wird meist der Pflegenotstand genannt. Sind technische Systeme derzeit so weit, dass sie etwas gegen den Pflegemangel ausrichten können?
Ausgehend von der Science-Fiction-Literatur stellt man sich Pflegesysteme häufig als Butler oder Diener in Roboterform vor, die älteren Menschen dabei helfen, den Alltag möglichst eigenständig zu bewältigen. Im Extremfall würden sie eine Pflegekraft eins zu eins ersetzen. Ein solcher Pflegeroboter steht derzeitig nicht in Aussicht. Die Alternative ist die Unterstützung durch Systeme, die sehr spezialisierte Aufgaben übernehmen.

Pflegeroboter übernehmen bislang kaum praktische pflegerische Handlungen

Gibt es schon Pflegeroboter, die praktische pflegerische Handlungen übernehmen, zum Beispiel das Positionieren oder Anreichen von Mahlzeiten?
Die Gabe von Essen und Trinken an Pflegebedürftige ist eine sehr komplexe Aufgabe, die eine Reihe sensibler Entscheidungen erfordert. Das beginnt beim Grad der Unterstützung, den Pflegebedürftige benötigen und der von sehr selbstständig bis zu sehr hohem Hilfebedarf reichen kann. Es geht um die beste Position bei der Nahrungsaufnahme, etwa liegend im Bett oder sitzend am Tisch, auf der Bettkante oder im Bett.

Zu beachten ist auch, ob Patienten oder Patientinnen Hilfsmittel wie Brille oder Zahnprothese beim Essen benötigen. Können Pflegebedürftige das Essen nicht selbst zum Mund führen, so muss die Pflegekraft das für sie in angemessener Geschwindigkeit tun und sehen, wann sie gekaut und geschluckt haben sowie wann sie bereit sind, den nächsten Bissen aufzunehmen. Verschlucken sich Pflegebedürftige oder leiden an Beeinträchtigungen beim Schlucken, kann das sogar zu erheblichen Gefahren führen. Künstliche Systeme, die eine so komplexe Tätigkeit ausführen können, gibt es bislang nicht.

Was können Pflegeroboter bislang übernehmen? 
Der Roboterassistent Care-O-bot 4 vom Fraunhofer-Institut kann zum Beispiel eine Bestellung aufnehmen oder ein Tablett befördern. Zu beachten ist allerdings, dass sich das Gerät erst in der Entwicklung befindet und noch nicht serienmäßig in der Pflege eingesetzt wird.

In Pflegeeinrichtungen werden derzeit vor allem der Roboter Pepper und die Roboterrobbe Paro eingesetzt, die beide der Unterhaltung und Betreuung von Menschen mit Demenz dienen. Ist dieser Einsatz aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Das hängt sehr von der Art und Weise ab, wie solche Roboter verwendet werden. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Interaktion mit der Robbe Paro das Wohlbefinden steigert. Die Pflegebedürftigen lachten mehr, ihre Mimik hellte sich auf und sie gaben an, sich weniger einsam und entspannter zu fühlen. Dies bestätigte auch die Messung physiologischer Parameter, die zeigt, dass weniger Stresshormone ausgeschüttet werden. Das trifft vor allem dann zu, wenn die Roboterrobbe angeleitet von einer Fachkraft in der Gruppe eingesetzt wurde. Lässt man Demenzbetroffene hingegen mit der Robbe im Arm allein, dann trägt das häufig zur sozialen Isolation bei. Gerade in Fällen von Demenz, die die soziale Interaktion mit anderen Menschen sowie Tieren stark belasten, kann der Einsatz von Paro unter therapeutischer Anleitung in einer Gruppe durchaus sinnvoll sein.

Sollten Pflegeroboter generell möglichst menschlich gestaltet werden, um dem Gefühl einer sozialen Isolation vorzubeugen?
Wir Menschen haben eine starke Tendenz zur Anthropomorphisierung von unbelebten Objekten. Das heißt, wir sind nur allzu bereit, Emotionen oder andere geistige Zustände auf Dinge zu projizieren, die Menschen nur oberflächlich ähnlich sehen. Soziale Roboter wie Paro laden dazu besonders ein, weil sie von sich aus Verhaltensweisen initiieren können, eine gewisse Vielfalt an Verhaltensmustern aufweisen sowie über Reaktions- und Lernfähigkeit verfügen. Die US-amerikanische Wissenschaftlerin Sherry Turkle bezeichnet sie deshalb als relationale Artefakte, weil diese Eigenschaften zu einer sozialen Interaktion von besonderer Qualität führen. Sie unterscheidet sich von derjenigen mit Stofftieren auf der einen Seite und echten Menschen oder auch Tieren auf der anderen.

Moralisches Handeln von Maschinen

Sie beschäftigen sich als Wissenschaftlerin vor allem mit dem moralischen Handeln von Maschinen. Können Pflegeroboter denn so programmiert werden, dass sie moralische Entscheidungen treffen können?
Meine Vision habe ich in meinem Buch „Grundfragen der Maschinenethik“ am Beispiel eines Softwaremoduls für einen Pflegeroboter dargelegt. Dieses Softwaremodul soll in der Lage sein, moralische Situationen in der Altenpflege zu erkennen. Durch Training und die permanente Interaktion mit dem Nutzer, der Nutzerin soll es sich dann auf die individuellen Moralvorstellungen des einzelnen Menschen einstellen können und diese nach ihren eigenen Moralvorstellungen behandeln.

Der Pflegeroboter wäre also so etwas wie ein moralisches Ebenbild der Person, die ihn nutzt.
Genau. Das Ideal wäre, dass das Pflegesystem so etwas wie ein moralischer Avatar des Nutzers ist. Ein solches System könnte die Selbstbestimmung praktisch fördern, weil die Nutzer und Nutzerinnen länger in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung leben können. Weil sie selbst bestimmen, wie das System sie behandelt, und sich nicht permanent als abhängig von anderen erfahren, könnte das auch ihre Selbstachtung stärken.

Menschliche Selbstbestimmung fördern statt zu beeinträchtigen

In der Pflege geht es oft darum, zwischen gesundheitlichen Risiken und der Selbstbestimmung abzuwägen. Wie könnte ein Roboter handeln, wenn ein pflegebedürftiger Mensch zum Beispiel sein Medikament nicht nehmen möchte?
Im Sinn der dargelegten Vision würde ich bei einer Person, die kognitiv in der Lage ist, selbst Entscheidungen über ihr Leben zu fällen, diese ungern einem Roboter überlassen. Roboter sollen die menschliche Selbstbestimmung fördern und sie nicht beeinträchtigen – selbst wenn es zu seinem vermeintlich Besten ist. Die Zielgruppe des beschriebenen Softwaremoduls sind Menschen, die kognitiv in der Lage sind, grundlegende Entscheidungen über ihr Leben zu treffen, aber körperlich so eingeschränkt sind, dass sie nicht ohne Pflege zu Hause leben können. Und für solche Menschen könnte ein solches Pflegesystem einen Beitrag dazu leisten, dass sie so lange es geht selbstbestimmt in ihrer häuslichen Umgebung leben können.

Also würde der Roboter es akzeptieren, dass der Mensch sein Medikament nicht nehmen möchte.
Ja. Selbstbestimmung bedeutet halt manchmal auch, dass man Entscheidungen trifft, die andere Menschen nicht richtig finden, wie zum Beispiel, ein bestimmtes Medikament nicht zu nehmen. Wichtiger als die Intervention eines Roboters wäre in einem solchen Fall das persönliche Gespräch. Vielfach hilft es schon, wenn die Angehörigen einem Patienten, einer Patientin deutlich machen können, wie viel ihnen an seinem, ihrem Wohlbefinden und Leben liegt. Ein permanent insistierender Roboter kann ein solches Gespräch nicht ersetzen, sondern wird einem auf die Nerven gehen.

Was sind weitere ethische Entscheidungen, die Pflegeroboter betreffen?
Andere ethische Entscheidungen betreffen etwa die Fragen: Erstens: Wann sollte ein Pflegeroboter die Angehörigen verständigen oder den medizinischen Dienst alarmieren, wenn jemand sich eine Zeit lang nicht rührt? Zweitens: Soll das System den Nutzer rund um die Uhr überwachen? Und drittens: Wie ist mit den Monitoring-Daten zu verfahren? In solchen Situationen muss das System zwischen bestimmten moralischen Werten abwägen: Im ersten Fall zum Beispiel zwischen der Selbstbestimmung des Nutzers und bestimmten gesundheitlichen Risiken. Im zweiten Fall zwischen der Selbstbestimmung der Nutzer und Nutzerinnen, der Sorge der Angehörigen und erneut der Gesundheit. Im dritten Fall geht es wiederum um die Selbstbestimmung der Nutzer und Nutzerinnen, insbesondere um ihre informationelle Selbstbestimmung, Gesundheit und die Sorge der Angehörigen.

Wird die ethische Perspektive bei der Entwicklung von Robotern berücksichtigt, indem Ethikexperten und -expertinnen eingebunden werden?
In öffentlich geförderten Forschungsprojekten, etwa vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, kurz BMBF, ist dies zunehmend der Fall. Bei der Förderung wird ein Augenmerk darauf gelegt, dass auch sogenannte ELSI-Forschung stattfindet. Diese Abkürzung steht für „Ethical, Legal and Social Implications“. Untersucht werden also ethische, rechtliche und soziale Auswirkungen von Technologien. Im Fall von Unternehmen ist das in den allermeisten Fällen hingegen nicht so. Es gibt in Firmen manchmal Beratergremien, an denen auch Ethikexperten und -expertinnen mitwirken, aber der Einfluss bleibt doch gering.

Mittels technischer Systeme können viele hochsensible Daten von pflegebedürftigen Menschen aufgezeichnet und weitergegeben werden. Wie ist es um die Sicherheit dieser Daten bestellt?
Ich plädiere auch in diesem Fall dafür, den Nutzern und Nutzerinnen die Möglichkeit zu geben, selbst zu bestimmen, wie viele und welche Daten sie preisgeben wollen und für welchen Gebrauch. Wie wir an unserem Alltag mit smarten Technologien sehen, ist es allerdings ein großes Problem, informationelle Selbstbestimmung und Datensicherheit zu gewährleisten.

Technologien allein können den Pflegenotstand nicht lösen

Welche weiteren Risiken sehen Sie beim Einsatz von technischen Systemen in der Pflege?
Das größte Risiko besteht in dem Irrglauben, Technologien allein könnten eine Lösung des Pflegenotstands darstellen. Vielleicht können sie einen Beitrag dazu leisten. Nicht zu vernachlässigen ist aber, dass es immer auch vom gesellschaftlichen Hintergrund abhängt, ob ein solches System segensreich ist oder nicht.

Segensreich wäre also nicht, wenn alte Menschen allein in ihrer Wohnung leben und von einem Roboter oder Alexa an den Toilettengang, das Essen und die Medikamenteneinnahme erinnert werden.
Ein technisches Pflegesystem darf keineswegs dazu führen, dass Menschen in ihren Wohnungen vereinsamen. Deshalb muss auch eine sinnvolle soziale Einbettung dieser Technologien gewährleistet sein. Der Schwerpunkt wird am Ende immer auf der Frage liegen, wie wir alte Menschen in unserer Gesellschaft behandeln wollen und in welcher Gesellschaft wir selbst leben wollen, wenn wir alt sind. Eine rein technische Lösung des Pflegenotstands kann es nicht geben.

Was denken Sie, was in 20 Jahren im Hinblick auf Pflegerobotik möglich sein wird?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Sie vernachlässigt, dass es immer zwei relevante Parameter gibt: Was ist technisch möglich, und was wollen wir erreichen? Dabei wäre es falsch, davon auszugehen, dass wir erst mal die technischen Möglichkeiten schaffen und dann die Ziele bestimmen, für die wir sie einsetzen wollen. Vielmehr ist es so, dass die Entwicklung davon abhängt, was wir erreichen wollen bzw. umgekehrt auf bestimmte Ziele hinführt und andere ausschließt. Das geschieht allerdings häufig nur implizit und nicht reflektiert, was eine Gefahr darstellt. Ich sehe ethische Überlegungen deshalb nicht als Entwicklungshemmnisse, sondern als Motoren, die die Innovation in eine bestimmte Richtung lenken.

Das Interview führte Brigitte Teigeler, NOVAcura.

Was ist Roboter- oder Maschinenethik?

Die Maschinenethik ist ein neues Forschungsfeld an der Schnittstelle von Informatik, Philosophie und Robotik. Gegenstand der Maschinenethik ist die Entwicklung einer Ethik für Maschinen. Man spricht in Analogie zu „Artificial Intelligence“ auch von „Artificial Morality“. Während „Artificial Intelligence“ zum Ziel hat, die kognitiven Fähigkeiten von Menschen zu modellieren oder zu simulieren, geht es bei der „Artificial Morality“ darum, künstliche Systeme mit der Fähigkeit zu moralischem Entscheiden und Handeln auszustatten. Das ist natürlich nicht beliebigen Maschinen zuzutrauen, sondern nur Computern. Die Idee ist also, Computer so zu programmieren, dass sie moralische Entscheidungen treffen können.

Was können das für Systeme sein?
Das sind zum Beispiel Geh- und Mobilitätshilfen, robotergestützte Geräte für Rehabilitationsmaßnahmen oder Notfallassistenten. Manche Systeme haben vorrangig das Ziel, die Pflegekräfte zu entlasten, beispielsweise beim Transport oder Heben schwerer Lasten. Es besteht zumindest die Hoffnung, dass man durch den Einsatz technischer Systeme den Pflegenotstand abmildern kann.

Da der Pflegenotstand ein so ernstes Problem ist, sollte man möglichst viele verschiedene Optionen im Umgang damit verfolgen, darunter auch technische. Allerdings bin ich der Auffassung, dass es keine rein technische Lösung des Pflegenotstands geben kann, sondern dass es immer auch auf die gesellschaftliche und soziale Einbettung technologischer Entwicklung ankommt.

Welche Pflegeroboter gibt es und was können sie leisten?

Pepper: Pepper ist ein Roboter, der der menschlichen Gestalt nachempfunden ist. Er ist etwa 1,20 Meter groß, hat einen runden Kopf mit großen Augen und spricht mit hoher kindlicher Stimmlage. Er spricht verschiedene Sprachen und kann sich Gesichter merken. Eingesetzt wird er zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen, aber auch auf Kinderstationen in Krankenhäusern.

Robbe Paro: Die Roboterrobbe ist etwa 60 cm groß, drei Kilo schwer und hat ein kuscheliges Fell. Paro wirkt dabei wie ein lebendiges Robbenbaby. Sie wird zu therapeutischen Zwecken eingesetzt und soll einen beruhigenden Einfluss auf Patienten haben. Die Robbe Paro wird derzeit in zahlreichen Pflegeeinrichtungen in Deutschland getestet.

Care-o-bot: Der Roboterassistent „Care-O-bot“ wurde vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) entwickelt. Die neueste Generation ist der „Care-O-bot 4“. Er kann zum Beispiel gewünschte Objekte heranbringen, an wichtige Termine wie die Einnahme von Medikamenten erinnern oder sich auf eine gestürzte Person zubewegen und eine Videoverbindung zu einem Notfallcenter aufbauen. Über den interaktiven Touchscreen des Roboters können die Nutzer und Nutzerinnen Videotelefonate führen, kognitive Trainings absolvieren oder Musik- sowie Hörspiele abspielen. Der „Care-O-bot“ ist ein Prototyp, der noch nicht serienmäßig in der Pflege eingesetzt wird.

Robear: Der Bär-ähnlich gestaltete Pflegeroboter Robear kommt aus Japan und soll – ähnlich wie die Vorgänger Ri-Man und RIBA – Pflegebedürftige heben können. Dabei unterstützt Robear das Pflegepersonal gezielt, indem er beispielsweise das Heben der Patienten und Patientinnen vom Bett oder Sofa in den Rollstuhl übernimmt. Er wurde 2015 vom japanische Forschungsinstitut Riken vorgestellt, ist aber noch nicht serienmäßig im Einsatz.