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Selbstunterstützung für Psychotherapeuten

Psychotherapeut*innen begegnen in ihrem Beruf vielen Anforderungen und Belastungen. So lernen sie Strategien für einen besseren Umgang damit.

Insgesamt sind Psychotherapeut*innen eine sehr zufriedene Berufsgruppe. Die große Mehrheit würde ihren Beruf wiederwählen. Neben den schönen und befriedigenden Seiten des Berufs gibt es aber auch spezifische Anforderungen und Belastungen. Therapeut*innen müssen eigene Strategien entwickeln, um mit diesen umzugehen. Gerade weil ihr Fokus auf der Unterstützung anderer liegt, sollten sie das eigene Wohlbefinden nicht aus den Augen verlieren. Denn nur, wenn sie selbst gesund und zufrieden bleiben, können sie anderen dauerhaft helfen.

Bettina Lohmann hat sich mit den alltäglichen und speziellen Herausforderungen von Psychotherapeut*innen beschäftigt. Sie diskutiert sie in ihrem Buch „Selbstunterstützung für Psychotherapeuten“ und erläutert praktische Tipps zum erfolgreichen Meistern solcher Situationen. Einige davon haben wir ausgewählt. Sie werden im folgenden überblicksartig dargestellt. Im Anschluss schauen wir uns dann Gegenstrategien zu einem Problem etwas genauer an, das viele von uns begleitet: Was tun, wenn man nach Feierabend nicht richtig abschalten kann?

Die herausfordernden Seiten des Berufs

Zweifel und Frustration durch begrenzte therapeutische Möglichkeiten

Es wird im Laufe der therapeutischen Karriere immer wieder Patient*innen geben, denen man nicht helfen kann. Wenn sich der Therapieerfolg beispielsweise nur sehr schleppend einstellt, schnell wieder verloren geht oder gänzlich ausbleibt, bietet das einen Nährboden für Zweifel an den eigenen Fertigkeiten oder der Wirkung von Psychotherapie an sich. Halten die Zweifel an, leiden das Wohlbefinden und die therapeutische Arbeit darunter.

Viele der Patient*innen haben außerdem keine eindeutigen Ziele oder tun sich schwer, diese dauerhaft zu verfolgen. Und nicht jedes Problem, das jemand in der Therapie anspricht, möchte er auch lösen. So ein Mangel an Veränderungsmotivation kann schwer nachvollziehbar und frustrierend für Therapeut*innen sein.

Zwischenmenschlich schwierige Patienten

Ein Teil der Menschen, die sich in eine psychotherapeutische Behandlung begeben, hat grundsätzliche Schwierigkeiten im Kontakt mit anderen Menschen. Oft werden die problematischen Verhaltensmuster auch gegenüber den Therapeut*innen gezeigt. So kann es zum Beispiel sein, dass Patient*innen Therapeut*innen abwerten, persönliche Grenzen überschreiten oder sogar körperlich aggressiv werden.

Therapeut*innen müssen in diesen Situationen schnell und flexibel reagieren können. Sie müssen ihre eigene Reaktion kontrollieren und die Situation so gut wie möglich therapeutisch nutzen. Es ist zudem ein schwieriger Balance-Akt, die eigenen Grenzen Patient*innen gegenüber deutlich zu machen und gleichzeitig die therapeutische Beziehung nicht zu gefährden. All diesen Ansprüchen gerecht werden zu wollen, kann Therapeut*innen sehr unter Druck setzen.

Sich emotional überflutet fühlen

Trotz guter Ausbildung und erprobter Abgrenzungsstrategien können sich Therapeut*innen in manchen Situationen emotional überflutet fühlen. Zum Beispiel wenn es um besonders schwere Schicksalsschläge und Traumata geht. Therapeut*innen müssen ihre intensive emotionale Reaktion dann innerhalb kurzer Zeit in oder zwischen den Sitzungen regulieren. Es ist wichtig, geeignete Strategien dafür zu haben, um mit eventuellen Gefühlsausbrüchen von Patient*innen umgehen zu können.

Risiko Mitgefühlserschöpfung

Nach vielen Jahren im Therapieberuf kann die Einseitigkeit der therapeutischen Beziehung zu einem chronischen Gefühl der Erschöpfung führen. Es kann der Eindruck entstehen, zu wenig zurück zu bekommen für das, was man gibt. Dieses Gefühl macht es schwerer mit Patienten mitzufühlen. Therapeut*innen fühlen sich leer und erleben dann möglicherweise sogar abwertende Gedanken den Patienten gegenüber. Auch die Behandlung von sehr schwer traumatisierten Patient*innen kann eine Mitgefühlserschöpfung hervorrufen.

Therapeuten-Rolle in privaten Beziehungen

Als Therapeut*in kann es leicht passieren auch in engeren privaten Beziehungen in eine Therapeuten-Rolle zu rutschen. Freunde und Familienmitglieder sind oft sehr dankbar, wenn auch ihnen gut zugehört wird. Schließlich gibt man die eigenen Fertigkeiten nicht beim Verlassen der Klinik an der Garderobe ab und möchte Menschen, die einem nahestehen, gerne helfen.

Allerdings können Beziehungen dadurch sehr einseitig und zum Teil unbefriedigend werden. Zusätzlich besteht das Risiko, dass man auch in der eigenen Freizeit viel mit den Problemen anderer beschäftigt ist, obwohl es gesünder wäre, mal etwas anderes zu tun.

Strategien zum Umgang mit belastenden Situationen

Zu den oben genannten Themen bis hin zu besonders problematischen Ereignissen, wie dem Tod oder Suizid von Patient*innen, zeigt Bettina Lohmann in „Selbstunterstützung für Psychotherapeuten“ hilfreiche Strategien, Verhaltensweisen und Übungen auf. Ein Beispiel ist der Umgang mit einer mangelnden Distanz vom Arbeitsalltag.

Was tun, wenn man in der Freizeit nicht richtig abschalten kann?

Viele Psychotherapeut*innen denken nach der Arbeit noch weiter über einen Patienten oder eine bestimmte Sitzung nach. Gerade zu Beginn der therapeutischen Laufbahn, wenn man mit vielen individuellen Leidenswegen konfrontiert wird, noch wenig Erfahrung hat und trotzdem alles richtig machen möchte, tritt es verstärkt auf.

Doch auch Therapeut*innen mit langjähriger Erfahrung können vor allem bei kniffligen Fällen manchmal Schwierigkeiten haben, in ihrer Freizeit richtig abzuschalten. Kommt dies häufig vor, kann das sehr belastend sein. Der wichtige Ausgleich durch die Freizeit und die Erholung werden beeinträchtigt. Es gibt aber verschiedene Strategien, die helfen können, den beruflichen Alltag hinter sich zu lassen, wenn es einmal schwerer fällt.

Den Arbeitsalltag bewusst beenden

Es gelingt besser, die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen, wenn man sich die Zeit nimmt, den Übergang in den Feierabend oder das Wochenende bewusst zu erleben. Statt hektisch die Tasche zu packen und nach Hause zu eilen, kann es hilfreich sein, sich ein Ritual zu überlegen, mit dem der Arbeitstag beendet wird. Man wählt beispielsweise eine Aufgabe, die sich in dieser Zeit noch abschließen lässt und führt diese aus. Anschließend kann man in Ruhe den Computer herunterfahren, die Tasche packen, sich verabschieden und Klinik oder Praxis verlassen.

Zwischenräume wahrnehmen

Auch der Heimweg kann dazu genutzt werden, den Übergang zwischen Arbeit und Freizeit sehr bewusst wahrzunehmen. Es ist besser, möglichst ruhig statt möglichst schnell nach Hause zu fahren. Die Zeit des Heimwegs lässt sich auch mit etwas füllen, das man gerne und nur für sich tut – ein Hörbuch oder Musik hören, Zeitung lesen oder die vorbeiziehende Natur betrachten.

Sich Problemen kontrolliert zuwenden

Um nicht immer wieder zwischendurch, wenn man gerade zur Ruhe kommt, von Gedanken an den Arbeitstag heimgesucht zu werden, kann man einen festen Zeitpunkt und Ort für eine Auseinandersetzung mit diesen Gedanken festlegen. Beispielsweise könnte man um 19:40 für 20 Minuten am privaten Arbeitsplatz über den Patienten nachdenken, der wieder begonnen hat, sich selbst zu verletzen. Dieses Vorgehen ermöglicht auch, zielgerichteter und produktiver über die offenen Fragen und Probleme nachzudenken.

Fällt es schwer die Gedanken bis zu dem festgelegten Zeitpunkt zu verbannen, kann man sich eine Pressekonferenz in eigenen Kopf vorstellen. Bis zum Zeitpunkt, an dem die Pressekonferenz beginnt, beantwortet man alle aufkommenden Fragen und Gedanken mit „kein Kommentar“.

Sich durch achtsames Schreiben distanzieren

Vor allem Erlebnisse des Arbeitsalltags, die wir als negativ bewerten, hängen uns in der Freizeit nach. Beim achtsamen Schreiben werden die Ereignisse des Tages vollkommen wertungsfrei niedergeschrieben. So kann eine Distanz zu den negativen Bewertungen und damit einhergehenden Gefühlen wie Ärger oder Hilflosigkeit geschaffen werden. Dadurch wird es leichter, diese hinter sich zu lassen.

Die eigenen Ressourcen aktivieren

Ein wirksames und in vielen Therapien eingesetztes Mittel zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden ist die gezielte Aktivierung der eigenen Ressourcen. Auch Therapeut*innen können sich zu Nutze machen, was sie ihren Patient*innen vermitteln. Sie können sich damit auseinandersetzen, wie sie ihren Arbeitsalltag und ihre Freizeit so gestalten können, dass ihre Grundbedürfnisse befriedigt werden. Dazu ist es hilfreich, sich folgende Fragen zu stellen:

  • Wie gut gelingt es mir, in meinen Pausen nicht zu arbeiten?
  • Welche Momente des Wohlbefindens gibt es in meinem Arbeitsalltag?
  • Worauf bin ich in Therapiesitzungen neugierig?
  • Welche Aktivitäten tun mir in meiner Freizeit gut?

Gerade in Phasen, in denen die eigene Wahrnehmung stärker von Erschwernissen und negativen Erlebnissen bestimmt wird, kann der Fokus auf die privaten und beruflichen Ressourcen hilfreich sein.

Die eigenen Fähigkeiten nutzen

Zwar haben Psychotherapeut*innen oft mit speziellen Situationen zu tun, die es so in anderen Berufsfeldern nicht gibt. Sie haben aber aufgrund ihrer Ausbildung auch besondere Fähigkeiten, Belastungen zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Diese Fähigkeiten können sie nutzen, um dauerhaft Spaß am Beruf zu haben und in der Lage zu sein, andere zu unterstützen.