Das Buch, schreiben Sie, soll helfen, „dem Unaussprechlichen eine Sprache zu schenken“ – warum ist es so schwierig, über Trauer und Tod zu sprechen?
Dies ist eine sehr wichtige Frage, zu der ich etwas ausholen möchte. Kurzgefasst: weil wir Erwachsenen es uns selbst schwermachen.
Wenn der Tod in die Kernfamilie kommt, ist das eine einschneidende und potenziell traumatisierende Erfahrung für die ganze Familie, jedoch v.a. für Kinder und Jugendliche. Es ist eine Erfahrung, die v. a. Erwachsene sprachlos macht, sie möchten die Kinder schützen, sie möchten nichts falsch machen und dann müssen sie auch noch ihre eigene Trauer und Betroffenheit aushalten. Die Sprachlosigkeit funktioniert hier wie ein Vakuum in der Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern/ Jugendlichen: Vielen Erwachsenen und auch Fachpersonen fehlt eine angemessene Sprache hinsichtlich Sterben, Tod und Trauer. Ich beobachte hier oft eine riesige Unsicherheit, denn: Alles was uns sprachlos macht, macht uns auch hilflos. Erwachsene versuchen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Sozialisation bzw. Lerngeschichte, in der Sterben, Tod und Trauer noch heute oft tabuisiert wurde und wird, dieses Sprachvakuum bestmöglich zu befüllen:
Erstens: Viele Erwachsene wissen nicht, wie sie Kindern z.B. den Tod erklären können (von Suizid gar nicht zu sprechen) oder enthalten Kindern Informationen oder sogar die Teilnahme an Ritualen vor, auch aus Angst, sie andernfalls zusätzlich zu belasten. Dabei wird auch die Begrifflichkeit rund um den Tod weichgespült („der Papa ist sanft eingeschlafen“), damit es weniger schlimm erscheint. Diese unklare blumige Sprache macht es für das Kind aber nur diffuser und beängstigender („Wacht die Mama dann aus dem Mittagschlaf wieder auf?“).
Zweitens wird das Vakuum scheinbar befüllt mit nicht hilfreichen Floskeln, die „man“ dann sagt. Um zu trösten, um etwas Nettes oder Intelligentes zu sagen („Jetzt wo der Papa tot ist, bist du der Mann im Haus!“). Das ist eigentlich immer gut gemeint, aber gut gemeint ist nicht immer gut. Wir denken, dass wir solche Worte an das trauernde Kind richten, um es zu trösten, aber eigentlich tun wir dies, weil wir Erwachsenen unsere eigene Hilflosigkeit nicht aushalten können. Deswegen greifen wir in unserer Hilf- und Sprachlosigkeit auf Floskeln zurück, die wir in unserer eigenen Lebensgeschichte erlernt haben, einfach weil wir nicht wissen, was wir anstelle dessen tun oder sagen könnten.
Drittens wird dieses Vakuum durch das Tabuisieren aufrechterhalten: So kann ein Teufelskreis des reziproken Schützens entstehen: Erwachsene wollen das Kind schützen, indem sie den Tod möglichst wenig thematisieren. Kinder haben ein sehr feines Gespür und lernen sehr schnell, was Tabu ist. In der Folge sprechen sie selbst den Tod auch nicht an, um die erwachsene Person vor deren Traurigkeit zu schützen und die Erwachsenen denken sich (oft sehr erleichtert): „Gut, wenn das Kind nicht fragt, werde ich es nicht zusätzlich belasten und Tod und Trauer thematisieren.“
All diese Punkte weisen darauf hin, dass wenn wir eine Sprache für etwas haben, wird dieses etwas somit fassbarer, begreifbarer, wir haben einen Begriff von dem, was geschieht und somit erhöht dies unsere Handlungsfähigkeit. Deswegen war mir sehr wichtig, mithilfe des Fachbuchs eine angemessene Sprache anzubieten, die es Erwachsenen ermöglicht, trauernde Kinder und Jugendliche beim Erlernen eines gesunden Umgangs mit Tod und Trauer zu unterstützen. Denn diese brauchen mehr als alles Ehrlichkeit, offene Gesprächsangebote und unser Vertrauen in sie, dass sie das schaffen können.