Könnte und sollte die idiographische Systemmodellierung in Aus- und Weiterbildung Anwendung finden?
Günter Schiepek:
Ich würde gern zunächst noch etwas zur Qualitätssicherung sagen. Ich war kürzlich bei einer Veranstaltung der Bundespsychotherapeutenkammer zum Thema Evaluation und Qualitätssicherung in der Psychotherapie. In ihrem Abschlussvortrag stellte eine Vorstandskollegin Kriterien vor, die eine sinnvolle Evaluation erfüllen sollte, eine Evaluation, die direkt aus der Praxis kommt, den laufenden Prozess begleitet und konkrete Hilfestellungen bietet. Genau hier setzt unser Buch an: Es zeigt, wie Feedback im therapeutischen Prozess integriert, gemeinsam mit den Patient*innen reflektiert und für die weitere Arbeit genutzt werden kann – engmaschig, praxisnah und detailliert. Damit wird eine Evaluation geschaffen, die nicht nur der Qualitätssicherung dient, sondern die Therapie aktiv unterstützt.
Die Systemmodellierung als grundlegendes Element in der Praxisausbildung zu verankern, wäre ein großer Wunsch. Insbesondere als Unterstützung von Selbstorganisationsprozessen. Diese verlaufen nicht linear, sondern in qualitativen Sprüngen, durch Phasen der Destabilisierung und anschließender Neuordnung. Ein solches Prozessverständnis ist anspruchsvoll und weicht von den oft diskutierten „Standardtracks“ ab – denn in der Psychotherapie gibt es keine festen Abläufe. Jeder Prozess ist individuell, komplex und nicht vorhersehbar. Genau hier setzt das SNS an.
Bettina Siebert-Blaesing:
Meine Wahrnehmung ist, dass man das SNS sehr gut in den Master mit reinnehmen kann, es sind aber wirklich Einzelfälle, wo synergetisch motivierte Professor*innen sagen: Das ist ein Tool, was wir nutzen können und dann setze ich das auch mit ein. Aber das ist sehr innovativ, es ist noch nicht bekannt.
Marcus B. Hausner:
Ich nutze es auch in meinen Lehrveranstaltungen am Institut für Bildungswissenschaft in Heidelberg im Masterstudium mit Schwerpunkt Organisationsentwicklung. Die Studierenden greifen es fast intuitiv auf, die Idee der Modellierung und den Umgang mit einem nicht linearen, sondern komplex dynamischen Zugang zu organisationalen Wirklichkeiten sicherzustellen. Es sind Einzelerfahrungen, die wir haben, die aber ermutigend sind.
Bettina Siebert-Blaesing:
Zwei Punkte möchte ich noch ergänzen. Erstens: Für alle, die sich mit der Methode näher beschäftigen möchten, gibt es die Zusatzausbildung „Synergetisches Prozessmanagement“. Ich habe sie selbst durchlaufen und fand sie äußerst wertvoll – insbesondere den interdisziplinären Austausch mit anderen Teilnehmenden. (Link siehe unten)
Zweitens: Nach dem Tod von Hermann Haken befindet sich die synergetische Szene im Umbruch. Es geht darum, sich strategisch neu aufzustellen, Fördermöglichkeiten zu erschließen und die eigene Arbeit sichtbarer zu machen. In den nächsten Jahren wird sich hier viel entwickeln. Unser Buch soll genau diesen Prozess anstoßen und zeigt, wie das SNS praxisnah genutzt werden kann.
Gerade in Zeiten des Wandels stellt sich die Frage: Wie gehen wir mit Komplexität um? Wo bleiben wir handlungsfähig? Das fasziniert viele Kolleg*innen – insbesondere der Umgang mit Übergangsphasen, in denen das Alte nicht mehr passt, das Neue aber noch nicht greifbar ist. Wir sehen das in der Politik genauso wie bei jungen Erwachsenen, die zwischen Kindheit und Erwachsenenalter stehen. Wie können wir in solchen instabilen Phasen Orientierung finden? Die Synergetik liefert hier wertvolle theoretische Grundlagen, die wir in der Praxis nutzbar machen – auch durch den Austausch zwischen verschiedenen Disziplinen und Schulen.