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Warum Cloud Transformationen aktives Change Management erfordern

Von Insa Uhlenkamp und Dr. Galia Diez.

In der Zeit der disruptiven Geschäftsmodelle und Plattformökonomie stehen Unternehmen unter ständigem Druck, ihre Innovationsfähigkeit, Veränderungsbereitschaft und Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Dieser wird verstärkt durch fortwährend neue technologische Möglichkeiten. Ein prominenter Beschleuniger der oben beschriebenen Marktsituation ist die „Cloud Transformation“ – die Bewegung weg von eigenen Rechenzentren hin zu modernen Cloud-Lösungen.

Bei der Cloud Transformation geht es längst nicht mehr um die Veränderung oder Modernisierung auf technischer Ebene. Der Anspruch der Organisationen ist es, nicht nur effizienter und effektiver zu werden, sondern die Cloud Transformation als Vehikel zu nutzen, um neue Business-Modelle und innovative Lösungen für den Markt zu entwickeln.

In diesem Artikel zeigen wir auf, warum eine Cloud Transformation das gesamte Unternehmen betrifft und auf allen Ebenen in der Organisation Veränderungen verlangt. Solche Veränderungen sind derart komplex und transformational, dass Unternehmen dieser Herausforderung nur mit einem gleichwertig komplexen und transformationalen Lösungsansatz begegnen können. Im Zentrum der Lösung steht, wie in jedem Wandel, der Mensch. Die Individuen einer Organisation und ihre Bereitschaft sich und ihre Umgebung zu verändern. Im ersten Teil dieses Artikels erläutern wir deshalb, wie Change Management in Cloud Transformationen gestaltet werden kann. Außerdem spielt hier die Unternehmenskultur eine zentrale Rolle, auf die wir uns in Teil 2 dieses Artikels fokussieren (erscheint am 25.3.2022).

Was passiert in Cloud Transformationen auf technischer Ebene?

In Cloud Transformationen geht es darum, eigene Rechenzentren teilweise oder vollständig durch Rechenkapazität von externen Anbietern zu ersetzen. Klassischerweise nutzen Organisation „On premise-Rechenzentren“. Das sind eigene Rechner, die zumeist auf den Firmengeländen stehen, in der Anschaffung und Instandhaltung teuer sind und wenige Funktionen aufweisen. Mit Cloud-Lösungen sind Online-Infrastrukturen gemeint, die Rechenleistung, Speicherplatz oder Software als Dienstleistung anbieten.

Cloud-Lösungen sind häufig kostengünstiger, da mit flexiblen Pay-as-you-go-Preismodellen benötigte Kapazität nach Verbrauch gekauft werden kann. Diese können privat für Organisationen eingerichtet werden – oder öffentlich genutzt werden. Die bekanntesten Anbieter für die öffentliche (Public) Cloud sind AWS (Amazon), Microsoft Azure und die Google Cloud. Um das enorme Potenzial der Cloud-Technologie als Gesamtes einzuschätzen, reicht erstmal die Information aus, dass Amazon mit der Cloud-Lösung AWS bereits mehr verdient als mit dem Online-Shop. 

Neben den Preisvorteilen bieten die großen Cloud-Anbieter innovative Services, die den klassischen IT-Betrieb auf das nächste Level bringen (Vahland et al., 2021). Dazu gehören Services, die zusätzliche Rechenkapazität sehr schnell und automatisiert zur Verfügung stellen können. Die Skalierungsmöglichkeiten bieten eine hohe Flexibilität, die bei einem hohen Aufkommen an Nutzungsanfragen notwendig ist.

Um solche technologischen Vorteile effektiv zu nutzen, ist allerdings eine Veränderung von Organisationen notwendig. Hier sind häufig drei Treiber zu beobachten.

Die wesentlichsten Treiber in der Cloud Transformation auf organisationaler Ebene

1) die Veränderung der hierarchischen Organisation hin zu einer Netzwerkorganisation
2) die Demokratisierung im Zuge der Einführung der Netzwerkorganisation
3) Befähigung jedes Einzelnen zu einem informierten, mündigen und selbstbestimmten Teil der demokratischen Entscheidungsprozessen

Schauen wir uns diese im Detail an:

1) Netzwerkorganisationen

Die meisten Organisationen sind nach wie vor klassisch hierarchisch strukturiert – es wird in einer pyramidalen Struktur gearbeitet. In solchen Strukturen sehen sich Führungskräfte in der Rolle, ihre Mitarbeitenden zu koordinieren und haben die Informationen, die die Mitarbeitenden benötigen, um ihren Job gut auszuführen. Klassische Hierarchien funktionieren ausreichend gut bei niedriger Komplexität (Laloux, 2015). Kommt es allerdings zu hoch komplexen Situationen, wie zum Beispiel bei einer Cloud-Organisation, reicht diese Organisationsform nicht mehr aus.

Es werden wirkungsvolle und  fluide Systeme benötigt, in der Autorität über alle Köpfe verteilt ist und und kollektive Intelligenz genutzt werden kann (Laloux, 2015). Dies entsteht, indem in Netzwerken gearbeitet wird.  Hier sind Fachkräfte mit Kolleg*innen im direkten Austausch, um gemeinsame Ziele bestmöglich voranzutreiben. Eine klassische pyramidale Organisationsstruktur wird nicht mehr vorgegeben. So stehen die Beziehungen zwischen den Menschen im Mittelpunkt und bieten die Basis für eine möglichst reibungslose Zusammenarbeit.

2) Demokratisierung

Durch die Verteilung von Zuständigkeiten und Wissen im Rahmen einer Cloud Transformation findet eine Neuzeichnung des Bildes eines mündigen und selbstbestimmten Mitarbeiters statt (Moser, 2017). Hierarchielosigkeit bedeutet mehr Verantwortlichkeit unmittelbar bei den Fachkräften. Führungskräfte tragen nicht mehr die Informationen von einem Routinetermin in den nächsten. Stattdessen liegt ihre Rolle darin, die Fachkräfte bestmöglich darin zu unterstützen, ihre Arbeit zu verrichten. In agilen Strukturen wird dies als „Servant Leadership“ bezeichnet. Diese Entwicklung ist häufig eine kulturelle Herausforderung für Organisationen, da mit einer Demokratisierung Macht stärker verteilt und von Führungskräften genommen wird. (Richter et al., 2021) Erfahrungsgemäß führt dies häufiger zu Resistenzen bei Führungskräften.

3) Befähigung jedes Einzelnen

Zudem geschieht der Prozess der Demokratisierung bei gleichzeitiger Befähigung jedes Einzelnen während des Wandels. Wenn klassische Strukturen aufgelöst werden, gibt es zunächst einige Unbekannte. Mitarbeitende finden sich nicht mehr in den gewohnten Strukturen wieder. Rollen und Verantwortlichkeiten sind in der Entwicklung hin zu einer Netzwerkorganisation plötzlich unklar und Prozesse wage. Dadurch sind Mitarbeitende herausgefordert und zugleich überfordert (Moser, 2017). Hier ist zentral, dass Einzelne verstehen, worin ihr Handlungsspielraum liegt. Zeitgleich gilt es, Vertrauen in ein sicheres Umfeld aufzubauen. So kann eine Organisation eine neue Ebene der Selbstführung erreichen, in der Fachkräfte ihre Entscheidungen selbst oder durch kooperative Beratungsprozesse fällen (Laloux, 2015).

Um diese organisationalen Treiber auf menschlicher Ebene gut zu begleiten, ist aktives Change Management erforderlich.

Ein ganzheitlicher Ansatz zur Begleitung von Cloud-Transformationen – das Cloud Change Advisory Framework

Wie oben ausgeführt, handelt es sich bei einer Cloud Transformation um eine komplexe und vielschichtige Veränderung, die die gesamte Organisation über einen langen Zeitraum herausfordert. Die groß angelegten Programme zur Cloud Transformation benötigen daher einen integrierten Change Approach, um entlang der unterschiedlichen Phasen und Zeitpunkte in der Transformation die richtigen Maßnahmen einzusetzen und der dynamischen Komplexität adäquat zu begegnen.

Hierfür wurde in Zusammenarbeit mit technischen Expert*innen und Organisationspsycholog*innen ein Modell entwickelt, mit dem eine Cloud Transformation von Start bis Ende durch unterschiedliche Assessments, Maßnahmen und Formate begleitet werden kann. Das Framework ermöglicht, dass die zentralsten Bausteine auf der Cloud Journey reibungslos ineinanderfließen.

Cloud Change Advisory (CCA) Framework: Öffentliche Cloud-Anbieter (Hyperscaler) als Skalierungs-Grundlage und andere IT-Trends als Beschleuniger (Accelerator)

Unterteilt in die drei Kern-Module „Cloud Model“, „Cloud Culture“ und „Cloud Fluency“ stellt das Framework eine ganzheitliche Adressierung aller in der Transformation auftretenden Dynamiken sicher und macht den Fortschritt in der Transformation transparent. Die Bausteine können flexibel auf Basis der Kundenanforderung und organisatorischen Bedürfnisse zusammengestellt werden, so dass für jedes Projekt eine spezifische und angepasste Vorgehensweise entworfen werden kann.

Das Modul „Cloud Model“ fokussiert sich auf die Qualifizierungsphase der Transformation. Hier wird die Strategie festgelegt und die Transformation geplant. Dabei wird im Change sichergestellt, dass die Vision und Ziele klar definiert werden und es bei den Hauptakteur*innen der Transformation ein gemeinsames Verständnis über diese Ziele gibt. Weiterhin wird über das CCA Framework hervorgehoben, dass die Implikationen auf die Menschen in der Organisation von Anfang an klar herausgestellt und berücksichtigt werden. Die Weichen für eine erfolgreiche Projektorganisation werden gelegt, in dem bei der Besetzung von Schlüsselpositionen und Teams auf Qualifikation, Diversität und Teamdynamiken geachtet wird.

Das Modul „Cloud Culture“ beinhaltet alle Change & -Kommunikationsmaßnahmen, die im Rahmen der Transformation notwendig sind. Die gesamte Organisation wird über adäquate Teilhabe-Formate aktiv in der Veränderung mitgenommen. Zudem definiert dieses Modul den Beitrag von Change Advisory bei der Definition von Rollenbeschreibungen und entwickelt innovative Karrierepfade im Kontext des Demokratisierungstrends.

Das Modul „Cloud Fluency“ ist auf die Befähigung von Organisationseinheiten, Schlüssel- und Führungsfunktionen sowohl im Rahmen der Veränderung als auch im Hinblick auf die Zielorganisation fokussiert. Im Beratungskontext liegt hier ein besonderer Fokus auf der Übergabe von Wissen in die Kundenorganisation. Zunächst sukzessive und spätestens zum Ende des Projektes sollen Organisationen die Cloud eigenständig und professionell nutzen und den eigentlichen Mehrwert der Transformation heben können.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Cloud Organisationen gänzlich verändert. Um die echten Wertbeiträge aus der Cloud Transformation zu heben, sind Unternehmen darauf angewiesen, Mensch und System in den Mittelpunkt der Veränderung zu stellen. Auf die Relevanz eines Kulturwandels bei der Einführung von Cloud-Technologie gehen wir im zweiten Teil dieses Artikels ein.

 

Literatur

Vahland, M, Knapp, L., & Polomana, U. (2021). Journey to Cloud: Change Management als Treibstoff. Retrieved from www.accenture.com/de-de/blogs/ies-asg/change-management-als-treibstoff

Laloux, Frederic (2015): Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen.

Moser, Michaela (2017): Hierarchielos führen. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Richter, T., Ingerfeld, A., Menchau, M., & Rachlitz, K. (2021). Aufbruch: Agilität markiert eine neue Identität. In: Growth, T., Krejci, G.P., & Günther, S., eds.: New Organizing. Wie Großorganisationen Agilität, Holoracy & Co. einführen – und was man daraus lernen kann. Carl-Auer Verlag.

 

 

Insa Uhlenkamp

Insa Uhlenkamp, Psychologin, studierte an der Universität Osnabrück, der Marmara Üniversitesi Istanbul und der Georg-August Universität Göttingen. Als Consultant und  Coach begleitet sie Organisationen und Menschen in (digitalen) Transformationen. Sie war bei einem führenden Unternehmen in der Luft- und Raumfahrtbranche tätig und leitet aktuell das Angebotsportfolio im Cloud Change Advisory bei Accenture.

Dr. Galia Diez

Dr. Galia Diez, Informatikerin, studierte an der University of Applied Sciences in Frankfurt und University of Liverpool, UK. Promotion in Organizational Leadership an der University of Phoenix, USA. Dr. Diez begleitet seit über 15 Jahren digitale Transformationsprozesse in internationalen Unternehmen und leitet derzeit den Bereich Cloud Change Advisory DACH.