Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein, wie könnte arbeitsbezogenes Lernen in 5-10 Jahren aussehen?
Timo Kortsch:
Ein Blick in die Zukunft ist immer schwierig. Aber die im Buch beschriebenen vielfältigen Fallbeispiele geben doch Hinweise, in welche Richtung sich das Lernen in Unternehmen zukünftig entwickelt. Wir sehen immer häufiger einen Mix aus digitalen und analogen Lernangeboten, die individuell auf die Bedürfnisse der Lernenden zugeschnitten werden können. Das Lernen wird partizipativer werden, wobei Bottom-Up-Prozesse, also z. B. durch Lernende initiierte Lernformate, zunehmend Top-Down-Prozesse ergänzen. Formate wie Barcamps und Working out Loud werden an Bedeutung gewinnen, da sie einen offenen Austausch und gemeinsames Lernen fördern. Die Lernangebote werden sich stärker auf die spezifische Unternehmenskultur ausrichten und sich möglicherweise innerhalb eines Unternehmens differenzieren, weg von "Standardangeboten für alle". Eine individuelle Lernbegleitung wird die Lernangebote verstärkt unterstützen, wodurch dies zunehmend zu einer Kompetenzanforderung für (angehende) Führungskräfte wird. Offene Austauschformate gewinnen an Bedeutung, um in sozialen Kontexten voneinander zu lernen. Unternehmen werden vermehrt experimentieren, um passende Lernformate für individuelle und organisationale Bedürfnisse zu finden, anstatt Großprojekte top-down auszurollen. Beschäftigte werden beim Lernen über Unternehmensgrenzen hinweg denken, und Unternehmen öffnen sich zunehmend gegenüber der Außenwelt, um von externen Impulsen zu profitieren.
Hilko Paulsen:
Fünf Jahre vergehen wie im Flug. Einerseits wird sich viel ändern, es wird neue Möglichkeiten geben. Gleichzeitig ändert sich nicht die Funktionsweise des menschlichen Gehirns – Lernen bleibt eine Eigenleistung des Menschen, daran wird sich so schnell nichts ändern. Es wird jedoch leichter Lerninhalte zu erstellen. Auch dürfte durch die KI allgemein die Menge an Informationen noch weiter zunehmen. Im Buch skizzieren wir eine Lernzieltaxonomie, bei der ein Lernziel die Einschätzung der Relevanz ist. Diese Form der Bewertung wird vermutlich wichtig, um in der Informationsflut handlungsfähig zu bleiben und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Julian Decius:
Ganz egal, wie stark die technologische Entwicklung voranschreitet: Unternehmen können immer nur die Rahmenbedingungen des Lernens beeinflussen, insbesondere in Bezug auf informelles Lernen. Entscheidend ist und bleibt die individuelle Lernmotivation. Wir müssen bedenken, dass nicht für alle Beschäftigten die persönliche Karriereentwicklung im Vordergrund steht. Konzepte zur Förderung des arbeitsbezogenen Lernens dürften zukünftig daher noch stärker Gamification-Ansätze enthalten, um Beschäftigte zu persönlichem Lernengagement zu motivieren, um mit den Veränderungen der Arbeitswelt Schritt halten zu können. Neben dem Kompetenzaufbau spielt hier auch der Erhalt bereits erworbener Kompetenzen eine wichtige Rolle.
Auf der anderen Seite sollten diejenigen, die bereits intrinsisch motiviert sind und gern so viel wie möglich lernen möchten, durch eine positive Lern- und Empowerment-Kultur dazu ermutigt werden. Dies kann etwa durch organisationsspezifische Lernplattformen unterstützt werden. Auch die Förderung proaktiven Arbeitsverhaltens wie Job Crafting – dabei handelt es sich um das Anpassen von Arbeitsaufgaben, das Gestalten von sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz sowie das Verändern von Denkweisen über die Arbeit – ist empfehlenswert. Zusammengefasst und auf den Punkt gebracht wird das arbeitsbezogene Lernen in den nächsten Jahren also vermutlich technologiebasierter, individualisierter und motivationsorientierter.
Herzlichen Dank für das Gespräch!