DeutschWissen und GesellschaftKlinik und Therapie

Wenn das Glückgefühl ausbleibt – Postpartale Depression

Die Postpartale Depression (PPD) ist keine seltene Erkrankung und hat schwerwiegende Folgen für die Betroffenen und ihre Kinder. Wie sich PPD diagnostizieren lässt, welche Risikofaktoren es gibt und welche Therapiemöglichkeiten erfolgreich gegen die Störung eingesetzt werden können, erklärt uns Autorin Dr. Larissa Wolkenstein im Gespräch. Ihr Band zur Postpartalen Depression ist kürzlich in der Reihe „Fortschritte der Psychotherapie“ erschienen.

Postpartale Depression Mutter traurig erschöpft am Kinderbett

Wie häufig ist eine Postpartale Depression und wie äußert sie sich? Wie kann man sie z.B. vom sogenannten „Babyblues“ unterscheiden?

Eine Postpartale Depression kommt deutlich häufiger vor als viele annehmen. Sie betrifft etwa 10-15% der Frauen nach einer Entbindung. Damit ist das Risiko nach der Geburt eines Kindes eine Depression zu entwickeln bis zu zweimal höher als in anderen Lebensphasen einer Frau.

Eine Postpartale Depression ist einer Depression, die unabhängig von Schwangerschaft und Geburt auftritt, nicht unähnlich. Auch Frauen mit einer Postpartalen Depression leiden unter Symptomen wie beispielsweise Niedergeschlagenheit, Interessensverlust, starken Erschöpfungsgefühlen, Konzentrationsschwierigkeiten, Gefühlen von Hoffnungslosigkeit oder Selbstwertverlust. Auch Suizidgedanken können auftreten. Allerdings leiden Frauen mit einer Postpartalen Depression auch oft unter Symptomen, die auf ihr Neugeborenes bezogen sind. Beispielsweise haben sie ambivalente oder auch negative Gefühle gegenüber dem Kind oder das Gefühl als Mutter nicht gut genug zu sein. Das wiederum ruft oft sehr starke Schuldgefühle hervor. Es beeinträchtigt häufig auch die Mutter-Kind-Bindung und die Mutter-Kind-Interaktion. Nicht selten haben betroffene Frauen auch Gedanken, die sonst eher für Zwangsstörungen typisch sind und die sie sehr ängstigen. Z.B. haben manche Frauen den immer wiederkehrenden Gedanken, dass sie ihrem Kind etwas antun könnten.

Im Gegensatz zum sogenannten „Babyblues“, der noch weit mehr – nämlich Studien zufolge 40-80% der Frauen – betrifft, dauern die Symptome der Postpartalen Depression mindestens zwei Wochen lang durchgehend an. Der „Babyblues“ entwickelt sich meist innerhalb der ersten Woche nach einer Entbindung – typischerweise etwa am dritten Tag nach der Entbindung – und klingt innerhalb weniger Tage von selbst wieder ab. Die betroffenen Frauen erleben sich trotz aller Freude über die Geburt ihres Kindes deutlich affektlabil und müssen z.B. manchmal ohne erkennbaren Grund weinen, sind traurig oder ängstlich. Man nimmt an, dass der starke Hormonabfall nach der Entbindung, aber auch der Schlafmangel, die körperliche Anstrengung und die Umstellung, die die neue Lebenssituation erfordert, dafür verantwortlich sind.

 

Wie kommt es zu einer Postpartalen Depression?

Die Gründe für die Entwicklung einer Postpartalen Depression sind vielfältig. Es ist in der Regel ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Bei den betroffenen Frauen liegen meist schon vor der Geburt ihres Kindes Vulnerabilitätsfaktoren – also gewisse Anfälligkeiten – vor. Ganz zentral ist z.B. die psychische Vorbelastung einer Frau. Frauen, die bereits vorher schon unter Depressionen, aber auch anderen psychischen Störungen, gelitten haben, haben ein deutlich höheres Risiko eine Postpartale Depression zu entwickeln. Aber auch das Umfeld der Frauen spielt eine wesentliche Rolle. Frauen, die sich von ihrem sozialen Umfeld gut unterstützt fühlen, bekommen seltener eine Postpartale Depression als Frauen, die wenig soziale Unterstützung erfahren. Auch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften machen vulnerabel. Z.B., wenn man grundsätzlich sehr hohe Ansprüche an sich stellt oder dazu tendiert, Dinge eher negativ zu sehen. Hinzu kommen physiologische Risikofaktoren, wie z.B. eine genetische Prädisposition oder eine Dysregulation verschiedener biologischer Prozesse. Wenn auf einen solchen Boden dann die Stressoren fallen, die mit der Geburt eines Kindes verbunden sein können – z.B. massiver Schlafmangel, ein anspruchsvolles kindliches Temperament oder auch Partnerschaftskonflikte – dann kann dies die Entwicklung einer depressiven Symptomatik begünstigen.

Welche Rolle spielen das Umfeld der Betroffenen und die Erwartungen, die an eine Frau, die gerade Mutter geworden ist, gestellt werden?

Wie gerade schon erwähnt spielt das Umfeld eine durchaus entscheidende Rolle. Wenn sich Frauen nicht unterstützt fühlen oder auch die Paarbeziehung eher schwierig ist, erhöht das das Risiko einer Postpartalen Depression. Hohe oder auch überhöhte Erwartungen seitens des direkten Umfeldes wirken als zusätzlicher Stressor. Frauen, die vor Kurzem ein Kind entbunden haben, sehen sich ohnehin schon mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Das Leben mit einem Neugeborenen kann sehr anstrengend sein. Neugeborene fordern viel Aufmerksamkeit und Zuwendung seitens ihrer Eltern. Die Möglichkeit zur Selbstbestimmung der Mütter ist durch die Versorgung des Kindes, aber auch das Stillen, meist deutlich eingeschränkt. Auch die Veränderungen in der Paarbeziehung und im ganz eigenen Rollenbild einer jungen Mutter erfordern große Anpassungsleistungen seitens der Mütter. Wenn dann das Umfeld noch überhöhte Erwartungen hat, dann ist das eine weitere Belastung, die manche Mütter nicht mehr abfedern können.

Welchen Einfluss hat eine Postpartale Depression auf die Interaktion zwischen Mutter und Kind?

Eine Postpartale Depression kann sich negativ auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirken. Studien haben gezeigt, dass betroffene Mütter oft passiver agieren als gesunde Mütter. Sie sprechen z.B. weniger mit ihren Kindern, schauen sie weniger an und haben im Vergleich zu gesunden Müttern einen reduzierten mimischen Ausdruck. Sie sind durchschnittlich auch weniger empathisch gegenüber ihrem Kind. Kindliche Signale – also z.B. den Gesichtsausdruck oder das Weinen ihres Kindes – können sie oft nicht richtig deuten, was zur Folge hat, dass sie dann auch nicht adäquat auf die Bedürfnisse ihres Kindes reagieren können. Oft sind sie auch weniger emotional verfügbar für ihr Kind und zeigen dem Kind gegenüber widersprüchliches, oder manchmal auch feindseliges Verhalten.

Welchen Einfluss hat eine PPD auf die Entwicklung des Kindes?

All das wirkt sich natürlich auch negativ auf die Kinder der betroffenen Mütter aus. Es fällt auf, dass sie im Vergleich zu anderen Kindern ein abweichendes Selbstregulationsverhalten zeigen. Sie vermeiden zum Beispiel auch ihrerseits Blickkontakt oder wenden häufiger den Kopf ab. Insgesamt können sie sich nicht so gut selbst regulieren wie andere Kinder, was sich bereits in den ersten Lebensmonaten durch vermehrtes Weinen und erhöhte Irritierbarkeit zeigt. Zudem sind auch sie weniger responsiv und eher inaktiv. Mittel- und langfristig zeigen sich deutliche Entwicklungsverzögerungen in ganz verschiedenen Bereichen – z.B. der Sprache, der Intelligenz, aber auch der körperlichen Entwicklung. Außerdem finden sich bei diesen Kindern auch später vermehrt Verhaltensprobleme und Psychopathologien. Sie haben offenbar eine beeinträchtigte Emotionsregulationsfähigkeit.

Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es zur Behandlung einer PPD?

An psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten haben sich insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie und die interpersonelle Therapie als wirksam erwiesen.

Bei der Behandlung der PPD ist es unter anderem ganz wesentlich, das Ausmaß an sozialer Unterstützung zu erhöhen und die Mutter-Kind-Interaktion zu entlasten und zu verbessern. Das sind Themen, an denen oft in der Psychotherapie gearbeitet wird. Zum Beispiel indem man an den sozialen Kompetenzen der Betroffenen arbeitet, so dass es ihr besser gelingt, Hilfe einzufordern oder auch Grenzen zu setzen. Häufig führt man auch ein videogestütztes Sensitivitätstraining durch, um das Erlernen neuer interaktiver Verhaltensweisen zu ermöglichen. Das Ziel eines solchen Trainings ist es, dass die Mütter sensitiver und kontingent auf ihr Kind reagieren. Das wirkt sich positiv auf die Mutter-Kind-Interaktion aus. Neben den spezifischen Interventionen innerhalb der Therapie können Therapeut*innen ihre Patientinnen auch darin unterstützen, externe Hilfsangebote, wie es sie zum Beispiel unter dem Begriff der Frühen Hilfen gibt, in Anspruch zu nehmen.

Insbesondere bei einer schweren Postpartalen Depression kann auch eine pharmakotherapeutische Behandlung – oder eine Kombinationsbehandlung aus Psycho- und Pharmakotherapie – in Erwägung gezogen werden. Allerdings sollte hier – insbesondere dann, wenn die betroffene Frau ihr Kind stillt – zunächst eine ausführliche Kosten-Nutzen-Abwägung erfolgen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Larissa Wolkenstein

Dr. Larissa Wolkenstein, 2000-2005 Studium der Psychologie in Konstanz und Tübingen. 2009 Promotion. 2008-2010 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. 2010 Approbation (Psychologische Psychotherapeutin, Fachkunde Verhaltenstherapie). 2010-2015 Akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seit 2015 Akademische Oberrätin am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der LMU München. Arbeitsschwerpunkte: Affektive Störungen, Traumafolgestörungen, Emotionsregulation, Kognitive Kontrolle, Soziale Kognitionen.