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Wie kann ich erfolgreich mit Stress umgehen?

Verschiedenste Einschränkungen im Alltag, die Ungewissheit der nahen Zukunft, das „Zuhause Bleiben“ und medizinische sowie wirtschaftliche Unsicherheit begünstigen Stresszustände.
Oft haben Menschen individuelle Strategien, wie sie mit erhöhten Belastungen umgehen. Doch sind diese auch hilfreich in der jeweiligen Situation? Zunächst wird ein Überblick zur Entstehung von Stresserleben, den möglichen Folgen und Bewältigungsmöglichkeiten gegeben. Danach wird beleuchtet, welche Strategien im Umgang mit Stress wirksam sind und wie die eigene Stressbewältigung verbessert werden kann.

Was ist Stress?

Stresserleben tritt dann auf, wenn die Anpassungsfähigkeit eines Menschen bis an die Grenzen beansprucht oder überstiegen wird. Dies bedeutet, dass die Ressourcen eines Individuums nicht mehr ausreichen, um mit einer schwierigen Situation (genannt Stressor) zurecht zu kommen, was eine standardmäßige physiologische Reaktion zur Folge hat.
Evolutionär gesehen hat Stress sehr adaptive Funktionen: Er fungiert als Alarmsystem bei Bedrohungen des Organismus sowie als Antriebssystem, welches den Organismus zu erhöhter Leistung antreibt. Somit kann ein kurzzeitiger Stresszustand, beispielsweise bei einer Prüfung, dabei helfen, unsere Konzentration zu maximieren.
In der Regel sind es alltägliche Situationen, wie zu viel Arbeit oder Termindruck, die uns an unsere Grenzen bringen. Seltener ist die Belastung durch kritische Lebensereignisse bedingt, wie der Verlust der Arbeit oder der Tod eines Angehörigen. Dabei handelt es sich um nur schwer zu bewältigende Situationen, die unsere Lebenssituation maßgeblich verändern und für die Psyche und den Körper großen Stress bedeuten.
Doch was passiert eigentlich in unserem Körper, wenn wir unter Stress stehen?

Die Stressreaktion

Bei einem Stresserleben schüttet die Nebenniere sehr schnell Adrenalin und Noradrenalin aus. Diese Hormone erhöhen den Herzschlag und den Blutdruck sowie die Anspannung in den Muskeln. Etwas langsamer schüttet die Nebenniere das Stresshormon Cortisol aus. Cortisol regt den Stoffwechsel an, wirkt entzündungshemmend und sorgt für einen höheren Blutzuckerspiegel.
Durch diese körperlichen Reaktionen werden unserem Körper also mehr Sauerstoff und Energie bereitgestellt, um schnell handeln zu können. Treten Stressoren wiederholt und/oder dauerhaft auf, kann dieser erhöhte Cortisolspiegel jedoch auch negative Konsequenzen haben.

Chronischer Stress

Chronischer Stress tritt dann auf, wenn die beschriebene Stressreaktion nicht zur Bewältigung des Stressors führt. Das Ungleichgewicht zwischen wahrgenommenen belastenden Anforderungen und verfügbaren Regulationsressourcen und somit der Stressor selbst bleiben damit bestehen. Dies kann dann der Fall sein, wenn wir ständig von Termin zu Termin hetzen oder wenn sich zuhause familiäre Konflikte häufen. Chronischer Stress kann sich auf das eigene Verhalten und auf das soziale Leben auswirken. So sind wir beispielsweise gereizter oder ziehen uns sozial zurück.
Chronischer Stress kann auch gesundheitliche Folgen haben, wie ein geschwächtes Immunsystem, Herzrhythmusstörungen oder ein erhöhtes Risiko für neurologische Krankheiten. Psychische Störungen oder Syndrome wie Depression oder Burnout werden ebenfalls durch Dauerstress begünstigt.
Es ist daher entscheidend, Stress adäquat zu bewältigen, um chronischen Stress erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dabei können je nach Situation und Person unterschiedliche Bewältigungsstrategien, sogenannte Copingstile zum Einsatz kommen.

Copingstile im Umgang mit Stress

Einige Bewältigungsstrategien zielen darauf ab, den Stressor «an der Wurzel zu behandeln», andere funktionieren mehr wie ein «Pflaster» und bewirken lediglich eine Symptomlinderung. Aufteilen lassen sich die Strategien in verschiedene Copingstile, die im Folgenden beschrieben sind:

 

Aufgabenorientiertes Coping

Es wird zielgerichtet versucht, die stressauslösende Situation in den Griff zu bekommen. Dies geschieht durch die Planung von Lösungsschritten, der Priorisierung dieser Schritte sowie der Analyse der Situation. Bei diesem Copingstil denken wir darüber nach, wie wir ähnliche Probleme in der Vergangenheit gelöst haben und arbeiten einen konkreten Plan aus.

 

Emotionsorientiertes Coping

Die Reaktionen auf den Stressor sind stark auf sich selbst und das eigene Erleben bezogen. Es wird darauf abgezielt, Stressgefühle zu reduzieren, was aber nicht zwingend erreicht wird. Zu diesem Stil gehören emotionale Reaktionen, sorgenvolle Gedanken sowie Gedankenschweifen. Die Anwendung dieses Copingstils zeigt sich dann zum Beispiel darin, dass wir aus der Fassung geraten, wütend werden, uns Vorwürfe machen und uns wünschen, wir könnten die Situation ungeschehen machen.

Vermeidungsorientiertes Coping

Es werden Schritte unternommen, um eine Auseinandersetzung mit dem Stressor zu vermeiden. Bei der Anwendung dieses Copingstils suchen wir folglich nach Ablenkung.

  • Sozial-ablenkungsorientiertes Coping: Der soziale Kontakt zu Mitmenschen wird gesucht (z.B. man ruft seinen Freundeskreis an).
  • Zerstreuungsorientiertes Coping: Man wendet sich anderen Dingen zu (z.B. Fernsehen).

 

 

Warum sind Personen unterschiedlich erfolgreich bei der Bewältigung von Stress?

Während einige Personen selbst in den anspruchsvollsten Situationen völlig gelassen bleiben, leiden andere bereits stark unter kleinsten Veränderungen im Alltag. Dies hat unter anderem damit zu tun, dass einige Strategien zur Stressbewältigung adaptiver, also wirksamer sind als andere. Neben oben genannten Copingstilen kann auch zwischen adaptiven und maladaptiven Strategien unterschieden werden.

Maladaptive Strategien sind meist oberflächlicher Natur, helfen nur kurzfristig und verbessern das Wohlbefinden nicht grundlegend. Beispiele dafür sind:

  • Sich in andere Tätigkeiten hineinbeißen, sodass keine Zeit bleibt, sich mit dem Stressor auseinanderzusetzen.
  • Passive Ablenkung, bei der kein kognitiver Aufwand betrieben werden muss (z.B. Filme schauen).
  • Das Klammern an Objekte mit sentimentalem Wert, die durch ihre Vertrautheit Trost spenden.
  • Sich materielle Statussymbole anschaffen, die ein Gefühl von Erfolg vermitteln sollen (wie beispielsweise eine teure Uhr).
  • Starken Kontrollzwang gegenüber Mitmenschen oder Objekten ausüben.
  • Betäubung der Gefühle durch den Gebrauch von Suchtmitteln oder die Suche nach Stimulation durch immer extremere Risikosituationen.
  • Aufgrund einer emotionalen Erschöpfung in einen apathischen, abgestumpften Zustand verfallen.

Adaptive Strategien sind hingegen mit einer langfristigen positiven Wirkung auf Stressreduktion und Wohlbefinden verbunden. Beispiele dafür sind:

  • Die Aufmerksamkeit auf die Gegenwart lenken.
  • Sich nicht durchgehend mit Stressoren auseinandersetzen, sondern eine geeignete Zeit fest einplanen, um sich damit zu beschäftigen. Diese Strategie ist vor allem bei Stressoren adaptiv, die die Funktionsweise auch in anderen Bereichen einschränken.
  • Ein Tagebuch führen, um einen strukturierten Überblick über die eigenen Gedanken und Gefühle zu erhalten.
  • Eigene Perspektiven durch das Lesen von Literatur erweitern.
  • Beziehungen zu Menschen pflegen, vor denen man sich nicht verstellen muss.
  • Perspektivenwechsel und Optimismus trainieren.

Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden, welche Bewältigungsstrategien nun adaptiv oder maladaptiv sind. Tatsächlich gibt es keine Strategie, die für jede Stresssituation geeignet ist. Stattdessen sollte zwischen den Strategien abgewechselt werden. Manchmal kann es beispielsweise hilfreich sein, sich zunächst von der stressreichen Situation abzulenken, um wieder in eine positivere Stimmung zu kommen. Im Anschluss kann dann aufgabenorientiertes Coping eingesetzt werden, um die Situation aktiv zu verändern.
Auch emotionsorientiertes Coping ist nicht per se als maladaptiv zu bezeichnen. Es ist völlig normal und in Ordnung, aufgrund einer starken Stresssituation zu weinen, wütend zu werden oder sich Sorgen zu machen. Wenn allerdings keine anderen Copingstile eingesetzt werden und die Gedanken permanent um den Stressor kreisen, ist dies psychisch belastend.
Insofern ist es nicht überraschend, dass in Studien überdurchschnittlich eingesetztes emotionsorientiertes Coping eher mit schlechterem Wohlbefinden assoziiert ist. Auch ist es nicht erstaunlich, dass übermäßiges zerstreuungsorientiertes Coping nicht dazu beiträgt, dass es den betroffenen Personen langfristig besser geht. Hohe Ausprägungen im aufgabenorientierten sowie im sozial-ablenkungsorientierten Coping sind hingegen eher mit besserem Wohlbefinden assoziiert.

Wie gehe ich mit Stress um? Kann ich meine Stressbewältigung verbessern?

Um konkrete präventive Maßnahmen treffen zu können oder Anpassungen der eigenen Bewältigungsstrategien vorzunehmen, ist es zunächst sinnvoll, das eigene Verhalten zu analysieren. Nur, wenn ich meinen eigenen Umgang mit Stress kenne, weiß ich auch, wo ich ansetzen muss, wenn ich diesen verändern will. Doch dies ist häufig gar nicht so einfach. Ein wichtiger Schritt ist es, sich selbst zu beobachten.
Woran merke ich zunächst, dass ich unter Stress stehe? Reagiere ich schneller gereizt, streite ich mich häufiger oder intensiver in der Partnerschaft? Treffe ich mich seltener mit Freunden? Wenn man seine persönlichen Anzeichen erst einmal kennt, kann man Stresssituationen zuverlässiger einschätzen und seine eigenen Grenzen besser kennenlernen. Dies kann dabei helfen, potenziellen Stressoren schon früh entgegenzuwirken.
Doch trotz aller Präventionsmaßnahmen lässt sich das Auftreten von Stress nicht immer verhindern. Deshalb ist es wichtig, in diesem Zusammenhang die eigenen Bewältigungsstrategien zu reflektieren. Traue ich mich, mich mit der Stresssituation auseinanderzusetzen und konkrete Pläne zu machen? Denke ich typischerweise: „Ich wünschte, ich könnte diese Situation ungeschehen machen“? Oder gerate ich aus der Fassung?
Oftmals ist es schwierig, die eigenen Bewältigungsstrategien und damit auch die verwendeten Copingstile zu identifizieren, da diese Prozesse in der Regel unbewusst ablaufen. Um Copingstile systematisch einschätzen zu können, ist daher eine genaue Diagnostik mittels psychologischer Testverfahren hilfreich.

Das Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen (CISS) kann von Psycholog*innen eingesetzt werden, um zu ermitteln, welche Copingstile bei einer Person im Vergleich zu anderen Personen häufiger oder seltener angewendet werden. Mit 24 Fragen in Bezug auf Stresssituationen werden aufgabenorientiertes Coping, emotionsorientiertes Coping und vermeidungsorientiertes Coping erfasst.
Das Besondere am CISS ist, dass konkrete Situationen und mögliche Reaktionen geschildert werden. Dies erleichtert es den Teilnehmenden, sich in die Situation hineinzuversetzen, und so akkurate Aussagen über die eigene Verhaltensweise zu treffen. Die Ergebnisse können in der Beratung, in der Personalentwicklung sowie in Coachingprozessen Anwendung finden. So können diese als Ausgangspunkt benutzt werden, um konkrete Maßnahmen zur Verhaltensänderung abzuleiten.

Quellenangaben

Kälin, W., & Semmer, N. K. (2020). CISS - Coping-Inventar zum Umgang mit Stress-Situationen. Bern: Hogrefe.

Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. Springer publishing company.

Stächele, T., Heinrichs, M., & Domes, G. (2020). Ratgeber Stress und Stressbewältigung. Reihe: Ratgeber zur Reihe »Fortschritte der Psychotherapie«, Band 43. Göttingen: Hogrefe.

Webb, J. T. (2020). Die Suche nach Sinn – Intelligenz im Spannungsfeld von Idealismus, Desillusionierung und Hoffnung. Bern: Hogrefe.

Laura Achermann

Laura Achermann ist Masterstudentin der Psychologie und studentische Mitarbeiterin beim Hogrefe Verlag in Bern.

Helen Golombek

Helen Golombek ist Psychologin und Projektmanagerin im Bereich Psychodiagnostische Testverfahren beim Hogrefe Verlag in Bern.

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Das sagt der Dorsch zu:

Stressbewältigung (= S.) [engl. Coping], [EM, GES, KOG], bez. alle Anstrengungen einer Person, mit externen und internen Anforderungen, die die eigenen Fähigkeiten beanspruchen oder übersteigen, fertigzuwerden. Das Konzept beruht auf dem transaktionalen Stressmodell. Danach findet Bewältigung immer dann statt, wenn eine Diskrepanz zwischen Anforderungen und eigenen Reaktionskapazitäten wahrgenommen wird und einfache Anpassung mittels automatisierter Reaktionen nicht ausreicht. ...

 

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