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Wie Lichttherapie helfen kann

Viele Menschen sind vom sogenannten Winterblues betroffen, in der dunklen Jahreszeit entwickelt sich ein Stimmungstief. Es kann aber auch zu einer echten, saisonal abhängigen Depression (SAD) kommen, die besonders erfolgreich mit Lichttherapie behandelt werden kann. Über die Entwicklung dieser Therapieform und ihre Anwendungsmöglichkeiten sprachen wir mit Prof. em. Anna Wirz-Justice, die die Lichttherapie nach Europa gebracht hat.

Woher kommt die Lichttherapie, wie hat sie sich entwickelt?

Die Lichttherapie ist eine der spannendsten und wissenschaftlich interessantesten Entwicklungen in der heutigen Medizin. In den frühen 1980er Jahren fanden Ärzte und Wissenschaftler des US National Institute of Mental Health (NIMH) heraus, dass helles Licht die Ausschüttung der Zirbeldrüsenhormon Melatonin beim Menschen unterdrückt. Vorher war dieser Effekt nur bei Labortieren beobachtet worden. Die Lichtwirkung zeigte, dass die innere Uhr des Menschen doch beeinflusst werden kann und war der Ansatz für den klinischen Einsatz von Licht zur Verschiebung und Stabilisierung zirkadianer Rhythmen bei Menschen. Der Bericht in "Science" wurde von Herbert Kern gelesen, einem Chemieingenieur, der seine wiederkehrenden depressiven Episoden im Winter seit mehr als zwanzig Jahren dokumentiert hatte. Er erkannte den Zusammenhang zwischen Licht, Jahreszeiten und seinen Stimmungsmustern und wurde der erste Patient, der am NIMH mit hellem Kunstlicht behandelt wurde. Dabei bestätigte sich die schnelle Wirksamkeit von Licht als Antidepressivum bei saisonalem Syndrom, dem so genannten SAD. Es war die erste therapeutische Behandlung, die aus der Grundlagenforschung kam!

Daraufhin haben wir uns in der Schweiz ebenfalls mit SAD-Studien befasst, die die Ergebnisse des NIMH wiederholten und erweiterten. Wir starteten Aufrufe, Anzeigen in der Zeitung, um Probanden zu gewinnen und es meldeten sich Hunderte von Menschen. Das zeigte, dass SAD auch bei uns existiert – sogar recht häufig, ca 2% der Bevölkerung sind davon betroffen.

Die Lichttherapie wird z.B. bei SAD, also saisonal affektiver Störung (Seasonal Affective Disorder) eingesetzt, was sind die Besonderheiten dieser „Winterdepression“?

Typisch bei der SAD sind wiederkehrende Phasen einer Major Depression im Herbst/Winter und eine spontane Remission im Frühjahr/Sommer bzw. weniger Episoden. Außerdem treten Symptome auf, die bei einer nicht-saisonalen Depression atypisch sind, nämlich Müdigkeit am Tag, ein erhöhtes Schlafbedürfnis und gesteigerter Appetit, vor allem auf Süßes, auf Kohlenhydrate. Dadurch kommt es dann auch häufig zu einer Gewichtszunahme. SAD-Patienten werden oft nicht hospitalisiert, sondern eher in der Allgemeinpraxis gesehen, obwohl sie die Kriterien einer Major Depression erfüllen. Darüber hinaus gibt es aber auch eine größere Gruppe mit leichter Depression und saisonalem Verlauf, „sub-syndromale“ SAD oder "Winterblues" genannt.

Wie wirkt die Lichttherapie, was bewirkt überhaupt Licht im Körper?

Licht wirkt auf zwei Bahnen zum Gehirn, nicht nur über die Netzhaut und die Sehnerven zu den Sehzentren, sondern es wurde auch erst vor zwanzig Jahren entdeckt, dass es eine nicht-visuelle Bahn über Photorezeptoren in den Ganglienzellen der Netzhaut gibt. Diese Zellen enthalten ein Photopigment, Melanopsin, das eine besondere Empfindlichkeit für kurzwelliges, blaues Licht aufweist. Sie senden Signale an die innere Uhr im Gehirn. die den Organismus über den Tag- und Nachtrhythmus taktet. Gleichzeitig wird dabei durch Licht auch die Produktion von Serotonin angeregt, was sich auf unsere Stimmung auswirkt.

Und welche Rolle spielt Dunkelheit, ist auch sie therapeutisch wirksam?

Auch Dunkelheit ist wichtig, wir haben zu viel Licht in der Nacht!  Ein Beispiel: Menschen mit einer bipolaren (manischen) Störung wurden mit „Dunkelheit“ (14-stündige Nächte) behandelt – mit Erfolg. Eine einfachere Behandlung als lange Nächte ist, mit bernsteinfarbenen Brillen zu arbeiten, die die blauen Wellenlängen blockieren und damit Schlafzyklus und Stimmung stabilisieren.  Die nächtliche Ausschüttung von Melatonin ist eine weitere Form von „Dunkelheit“, für den Organismus das Signal zur Vorbereitung auf den Schlaf.  Melatonin wird daher auch bei bestimmten Schlafstörungen eingesetzt, z.B. bei sehbehinderten Menschen.

Bei welchen Krankheitsbildern kann Lichttherapie noch erfolgreich eingesetzt werden?

Die Lichttherapie wirkt bei der SAD sehr wirksam und schnell, innerhalb von wenigen Wochen, aber auch die Wirksamkeit bei nicht-saisonal bedingter Depression ist nachgewiesen, hier muss man allerdings mit einem längeren Zeitraum rechnen. Angesichts der Tatsache, dass Stimmungs- und Schlafstörungen bei den meisten psychiatrischen und medizinischen Erkrankungen auftreten, ist der Einsatz von Licht als Ergänzung zu der konventionellen Medikation angezeigt, z.B. bei Essstörungen, ADHS, Alzheimer, Parkinson usw., ebenso bei chronobiologischen Schlafstörungen oder Jetlag.

Welchen Vorteil hat die Lichttherapie gegenüber anderen Therapien gegen Depressionen?

Die Lichttherapie hat so gut wie keine Nebenwirkungen, vereinzelt können Augenempfindlichkeiten auftreten, die aber vorübergehend sind. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass die Patienten selbst ihre Therapie steuern können, es kann individuell eingestellt werden. Die Patienten nehmen Lichttherapie als Naturtherapie wahr, was positiv bewertet wird. Außerdem lässt sich die Lichttherapie sehr gut mit anderen Therapien kombinieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Schwangerschaftsdepression – wenn keine Antidepressiva eigenommen werden sollten, ist die Lichttherapie eine sehr gute Alternative, wie Studien gezeigt haben.

Wie könnte die Entwicklung der Lichttherapie in den nächsten Jahren weitergehen, wie könnte man ihre Potentiale ausschöpfen?

Gerade in der Medizin gibt es ein hohes Potential für die Anwendung der Lichttherapie, wie bereits gesagt, begleitend und in Kombination mit anderen Therapien. Auch bei Schlafstörungen nach schweren Operationen, wie z.B. einer Nierentransplantation, kann Lichttherapie erfolgreich eingesetzt werden. 
Über die Medizin hinaus haben die Forschungsergebnisse der Chronobiologie Bedeutung für die Beleuchtungsforschung, Produktinnovation und Architektur, z.B. in Seniorenheimen. Viele Informationen findet man auf der Seite des Center for Environmental Therapeutics (siehe Button unten), die ich hier gern empfehlen möchte!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview führte Anja Kütemeyer

Porträtfoto von Anna Wirz-Justice.

Prof. em. Anna Wirz-Justice

Anna Wirz-Justice, PhD, ist Neurobiologin und emeritierte Professorin am Zentrum für Chronobiologie der Psychiatrischen Klinik der Universität Basel. Sie führte die Lichttherapie in Europa ein und untersuchte nicht nur die saisonal abhängige Depression, sondern auch Depression während der Schwangerschaft, die Borderline-Persönlichkeitsstörung und Demenz. Anna Wirz-Justice ist ehemalige Präsidentin der Gesellschaft für Lichtbehandlung und biologische Rhythmen sowie der Schweizerischen Gesellschaft für Schlafforschung, Schlafmedizin und Chronobiologie und war Mitglied des Vorstands der Daylight Academy.