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Wie man den passenden Sport findet

Das Problem kennen viele: Motiviert beginnt man mit einer Sportart, dann geht es immer seltener zum Training, schließlich hört man vielleicht ganz auf. Dies kann daran liegen, dass Person und Sportart nicht zusammenpassen, etwa weil die Aktivität nicht zu den Beweggründen passt, um den Sport auszuüben. Pauschale Empfehlungen für bestimmte Bewegungsarten sind daher oft nicht zielführend, eine Bewegungsart, die keine Freude bereitet, wird auf Dauer nicht regelmäßig ausgeübt. Wie kann eine optimale Passung erreicht werden und was bewirkt sie? Wir haben mit PD Dr. Julia Schmid aus dem Autorenteam von „Welcher Sport für wen?“ zu dem auch Dr. Vanessa Gut, Dr. Nina Schorno, Prof. Dr. Gorden Sudeck und Prof. Dr. Achim Conzelmann gehören über diese Fragen gesprochen.

 

Wie viele Menschen in den DACH-Ländern sind sportlich aktiv?

Die Zahlen variieren von Land zu Land. In Deutschland sind etwa 45% der Erwachsenen sportlich aktiv, in der Schweiz sind es rund 70 % und in Österreich liegt der Anteil bei 50 bis 60 %. Der Vergleich zwischen den Ländern ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da die Erhebungsmethoden unterschiedlich waren und dies die Ergebnisse beeinflussen könnte. Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass wir im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld liegen. Dies spiegelt sich in einer guten Sportinfrastruktur, der Kultur und den natürlichen Gegebenheiten der Länder wider.

Warum ist es wichtig, dass Person und Sportaktivität zusammen passen?

Wir konnten in mehreren Studien aufzeigen, dass sich eine gute Passung zwischen der Person und der sportlichen Aktivität positiv auf das Befinden auswirkt. Übt man also eine Tätigkeit aus, die einem entspricht, fühlt man sich während und nach der Aktivität wohler und erlebt mehr Freude. Das wiederum führt dazu, dass ich die sportliche Tätigkeit regelmäßiger ausübe. 

Aktuell wird die Person-Sport-Passung in unseren Augen in der Praxis noch zu wenig berücksichtigt. Viele Einsteiger*innen wird z.B. universal Nordic Walking empfohlen. Aus unserer Sicht greifen solche „all size fits one“-Empfehlungen zu kurz. Denn sie übersehen zwei Aspekte: Erstens, dass Menschen sehr unterschiedlich sind. Sie haben unterschiedliche Möglichkeiten und Bedürfnisse. Zweitens, dass es sich beim Sport um ein vielfältiges Phänomen handelt mit sehr unterschiedlichen Inhalten und Realisierungsformen. In der Bewegungs- und Sportförderung kann man folglich nicht alle Menschen „über einen Kamm scheren“. Vielmehr sollte es ein Ziel sein, eine möglichst gute Passung zwischen der Person und der sportlichen Aktivität herzustellen.

Wie kann man in der Bewegungs- und Sportförderung optimale Passungsverhältnisse erreichen? Welche Schritte sind hier notwendig?

Wenn man als wenig aktive Person eine passende Sportaktivität finden möchte, geht es in einem ersten Schritt darum, sich den eigenen Motiven im Sport bewusst zu werden: Welche Beweggründe habe ich zum Sporttreiben? Unser Fragebogen (https://bmzi.ispw.unibe.ch/) gibt in wenigen Minuten einen Überblick. Er zeigt einem also auf, welche Motive bei einem im Vordergrund stehen, und welche eher weniger wichtig sind. Weiter werden Aktivitäten vorgeschlagen, die dem eigenen Motivprofil entsprechen. In einem zweiten Schritt taucht man in unterschiedliche Aktivitäten ein, indem man unterschiedliche Sportaktivitäten schnuppern geht. Das kann allein gemacht werden oder mit Begleitung. In der individuellen Sportberatung folgt eine anschließende angeleitete Reflexion. Diese Reflexion kann alternativ auch mit dem Freund bzw. der Freundin gemacht werden. Es geht darum, sich zu überlegen, wie man diese Sportaktivität erlebt hat: Welche meiner Motive wurden angesprochen? Wie wurden sie angesprochen? Es hat sich gezeigt, dass eine solche Reflexion notwendig ist, um ein tieferes Verständnis für die Passung zu kriegen.

Welche Motive oder Ziele gibt es beim Sport eigentlich und wandeln sie sich im Laufe des Lebens, sind z.B. ältere Menschen weniger ehrgeizig und wettkampfbezogen, geht es in späteren Jahren eher um Gesundheit?

Im mittleren Erwachsenenalter unterscheiden wir folgende Motive: 

  • Figur/Aussehen bezieht sich auf die positive Beeinflussung des Körpergewichts und die Verbesserung der physischen Erscheinungsform.
  • Kontakt bezieht sich einerseits auf das gesellige Miteinander während der Aktivitätsausübung, andererseits auf die Möglichkeit, durch den Sport neue Beziehungen aufzubauen.
  • Wettkampf/Leistung beschreibt die Absicht, sich im Sport mit anderen zu vergleichen und eigene sportliche Ziele zu verfolgen.
  • Ästhetik zielt darauf ab, schöne Bewegungen im Sport zu erleben (z. B. eine harmonische Bewegung im Langlauf oder eine fließende Bewegungssequenz im Tanz).
  • Bei Ablenkung/Stressabbau soll der Sport von Problemen ablenken oder Stress abbauen. 
  • Auch der Motivbereich Aktivierung/Freude zielt auf die Erholung. Im Vergleich zu Ablenkung/Stressabbau werden jedoch nicht negative Emotionen reduziert, sondern positive Emotionen gefördert. Es geht darum, durch den Sport neue Energie zu tanken und Bewegungsfreude zu erleben.
  • Schließlich soll beim Motivbereich Fitness/Gesundheit die körperliche Verfassung gefördert und Krankheitsrisiken minimiert werden.

Es gibt tatsächlich gewisse Altersunterschiede. Zum einen ändert sich die Wichtigkeit einzelner Motive abhängig vom Alter. Beispielsweise nimmt der Wunsch, sich mit anderen zu messen und Leistungsziele zu verfolgen, mit zunehmendem Alter im Durchschnitt ab. Zum anderen tauchen gewisse Motive abhängig vom Alter überhaupt erst auf. Beispielsweise nutzen manche älteren Menschen körperliche Aktivität, um alltagstauglich und mobil zu bleiben – ein Thema, das bei Jüngeren aufgrund ihrer oft guten körperlichen Verfassung noch nicht präsent ist. 

Wenngleich sich gezeigt hat, dass sich die Beweggründe im Laufe des Lebens im Durchschnitt verändern, ist doch wichtig festzuhalten: Innerhalb einer Altersgruppe gibt es eine große Heterogenität! Es gibt also z.B. Menschen, die auch im Seniorenalter ein hoch ausgeprägtes Motiv Wettkampf/Leistung haben. Es ist darum nicht angebracht, Menschen bloß aufgrund ihres Alters gewisse Motive zuzuschreiben. Vielmehr sollten wir jeden Menschen nach seinen individuellen Beweggründen fragen.

Sie nehmen eine Einteilung in verschiedene motivbasierte Sporttypen vor, wie funktioniert das?

Wir betrachten zunächst das individuelle Motivprofil von Personen, wobei wir die gesamte Bandbreite möglicher Beweggründe zum Sporttreiben in den Blick nehmen. Anschließend bilden wir anhand eines statistischen Verfahrens Gruppen von Menschen mit ähnlichen Motivprofilen. Diese Gruppen bezeichnen wir als „motivbasierte Sporttypen“. Für jede dieser Gruppen haben wir dann passende Aktivitäten abgeleitet.

Diese Gruppenbildung hat den Vorteil, dass Berater*innen nicht für jede einzelne Person eine passende Aktivität identifizieren müssen. Stattdessen kann der Sporttyp eines Individuums bestimmt und dann auf die maßgeschneiderten Empfehlungen für diesen Typ zurückgegriffen werden.

Welche Tipps haben Sie, um Ihre Erkenntnisse in der Praxis anwenden zu können, wie könnten z.B. Sportvereine oder Gesundheitsprogramme dies optimal nutzen?

Sportvereine und Gesundheitsinstitutionen könnten unsere Erkenntnisse nutzen, um ihre Angebote noch gezielter auf die Motive ihrer Mitglieder abzustimmen. Dazu wird das bestehende Angebot der Einrichtung aus motivationspsychologischer Perspektive analysiert: Welche Motive werden bereits angesprochen? Welche nicht? Anschließend erfolgt ein Abgleich mit den Motiven der Mitglieder. Es wird überprüft, ob a) bestehende Angebote leicht angepasst werden können (z. B. durch eine stärkere Fokussierung auf den sozialen Kontakt in einem Kurs) oder ob b) ein völlig neues Angebot hinzugefügt werden sollte, um die gesamte Angebotspalette besser auf die Beweggründe der Mitglieder abzustimmen.

Mit unserem Buch möchten wir erreichen, dass die vielfältigen Motive der Sporttreibenden in der Praxis vermehrt berücksichtigt werden. Idealerweise geschieht dies systematisch, indem die Motive bzw. Sporttypen erfasst werden. Doch auch wenn die Leiter*innen sich „nur“ bewusst sind, dass sie es mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun haben und ihr Sportangebot jederzeit entsprechend anpassen können, ist bereits viel gewonnen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

PD Dr. Julia Schmid

PD Dr. Julia Schmid ist Dozentin für Gesundheitsförderung am Institut für Sportwissenschaft der Universität Bern, Schweiz. Forschungsschwerpunkte: Motivation zur regelmäßigen sportlichen Aktivität, maßgeschneiderte Sport- und Bewegungsförderung, körperliche Aktivität und affektives Wohlbefinden.

 

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