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Wie man Schlaf erfolgreich trainieren kann

Wer dauerhaft Schlafprobleme hat, steht unter einem erheblichen Leidensdruck. Müdigkeit am Tag, der Druck endlich durchschlafen zu können – die Lebensqualität ist stark betroffen. Mit der Methode der „Schlafkompression“ lässt sich nachweislich ein erholsamer nächtlicher Schlaf aufbauen. Wir haben mit Dr. Tilmann Müller und Dr. Beate Paterok, den Autor*innen von „Schlaf erfolgreich trainieren“ über den Selbsthilfe-Ratgeber, der nun bereits in 4. Auflage erschienen ist, gesprochen.

Guter Schlaf schlafender Löwe steht für guten Schlaf erfolgreich trainiert

Fast jede*r scheint Probleme beim Schlafen zu kennen, aber ab wann spricht man von einer Schlafstörung? Wie viele Menschen betrifft das in etwa?

Tatsächlich gehören gelegentliche Schlafstörungen zum normalen Leben dazu und sind so gesehen erst einmal harmlos, ähnlich wie ein Schnupfen – müssen daher nicht pathologisiert werden. Von einer klinisch bedeutsamen und behandlungsbedürftigen Schlafstörung spricht man erst dann, wenn diese länger als einen Monat andauert und davon mindestens drei Nächte pro Woche betroffen sind. Von solchen chronischen und klinisch relevanten Schlafstörungen sind ca. 10% der Bevölkerung betroffen. In diesen Fällen geht die Erkrankung auch mit einem erheblichen Leidensdruck und Beeinträchtigungen des Alltags einher. Patienten*innen, die sich erstmalig bei spezialisierten Therapeut*innen vorstellen, leiden nicht selten bereits seit Jahren oder Jahrzehnten unter ihren Schlafstörungen. Nach wie vor gibt es für diese Erkrankung zu wenig Anlaufstellen. Deshalb war es uns ein besonderes Anliegen, mit diesem Selbsthilfebuch ein effektives Instrument für Betroffene zur Verfügung zu stellen.

Gibt es verschiedene Arten von Schlafstörungen?

Das ist ein wichtiger Punkt: In der modernen Schlafmedizin unterscheidet man heutzutage über 90 verschiedene Diagnosen: Neben der großen Gruppe der Ein- und Durchschlafstörungen sind das vor allem schlafbezogene Atmungsstörungen, eigenständige Hypersomnien, schlafbezogene Bewegungsstörungen, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus und Störungen mit nächtlichen Verhaltensauffälligkeiten (Parasomnien wie z.B. Schlafwandeln). In unserem Buch können Leser*innen anhand eines kurzen Fragebogens selbst bestimmen, in welche Diagnosegruppe ihre Beschwerden einzuordnen sind.

Welche Ursachen haben Schlafstörungen, sind sie eher physischer oder psychischer Herkunft, also eher z.B. eine Allergie oder Schmerzen oder z.B. Stress? Auch das Alter spielt eine Rolle?

Sowohl körperliche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsenleiden oder Erkrankungen mit ausgeprägten Schmerzsyndromen als auch psychische Erkrankungen gehen häufig mit Schlafstörungen einher. Depressionen beispielweise gehen in über 80% der Fälle mit Schlafstörungen einher.

Eine Abklärung beim Hausarzt ist von daher bei einer anhaltenden Schlafstörung immer eine erste Basismaßnahme. Neben Primärerkrankungen und akuten Stressbelastungen erhöht auch der Alterungsprozess per se das Auftreten von Schlafstörungen (besonders ausgeprägt bei Frauen im Rahmen von Klimakteriumsbeschwerden). Bereits ab dem 30. Lebensjahr finden sich Veränderungen in der Schlafstruktur und Schlafqualität im Sinne von mehr Leichtschlaf und häufigeren Aufwachprozessen, die jenseits des 50. Lebensjahrs noch einmal deutlich zunehmen. Dieser Veränderungsprozess im Schlaf ist vergleichbar dem parallel verlaufenden orthopädischen Verschleißerscheinungen, die man besser ab einem bestimmten Lebensalter als altersangemessen normal beurteilen sollte, statt daraus ein pathologisches Geschehen zu machen. Eine entsprechende Schlafedukation bzw. Aufklärung über den normalen Nachtschlaf ist daher bei der Behandlung von Schlafstörungen ein wichtiger Basisbaustein, um falschen Erwartungen und unnötigen Beunruhigungen vorzubeugen. Wir haben diesen Baustein in unserem Selbsthilfebuch als „Ausbildung zum Experten/zur Expertin in eigener Sache“ genannt. Er umfasst nicht nur Informationen zum normalen Nachtschlaf, Schlafregulation und Schlafhygiene, sondern auch zu medikamentöser Therapie und dem Erscheinungsbild anderer Schlafstörungen.

In Ihrem Ratgeber gibt es das Stichwort vom „Teufelskreislauf Schlaflosigkeit“, können Schlafstörungen quasi von allein aufhören, wenn die Ursache bekämpft worden ist? Wann gerät man in diesen Teufelskreis?

Die Hoffnung von vielen Patienten ist, dass eine ärztliche Untersuchung eine eindeutige Ursache der Schlafstörung ergibt und deren Behandlung dann die Lösung ihrer Probleme darstellt. Leider ist es häufig aber so, dass selbst wenn die ursächliche Erkrankung gefunden und diese erfolgreich behandelt wird, dies nicht immer der Garant für eine Besserung der Schlafstörung darstellt. Gleiches gilt, wenn die Schlafstörung durch eine belastende Lebenssituation ausgelöst wurde und eine Veränderung der Lebensumstände mit der Hoffnung auf eine Besserung des Nachtschlafs einhergeht.

Das Schlafstörungen so „hartnäckig“ sein können, liegt vor allem daran, dass sie – ähnlich wie chronische Schmerzen und andere psychosomatische Beschwerden – eine ausgeprägte Tendenz haben, sich von den auslösenden Ursachen abzukoppeln und zu verselbständigen. Dieser Verselbständigung liegen ähnlich wie bei anderen psychischen Erkrankungen (z.B. Angststörungen) Prozesse der Aufmerksamkeitsfokussierung auf die Symptomatik, dysfunktionale Bewertungsmuster und ungünstige Bewältigungsmuster auf der Verhaltensebene zugrunde. Auch die Vermittlung dieses Teufelskreismodells ist in unserem Buch entsprechend aufbereitet, da das Verständnis dafür Vorrausetzung für das spätere therapeutische Vorgehen ist.

Sie haben ein erfolgreiches Training gegen Schlafprobleme erarbeitet, könnten Sie kurz skizzieren, wie dieses abläuft?

Der wichtigste Kernbestandteil unseres Schlaftrainings ist die sogenannte Schlafkompressionstherapie. Hierbei verkürzen Patient*innen freiwillig die pro Nacht im Bett verbrachte Zeit über mehrere Wochen auf ein knappes Zeitfenster von z.B. sechs Stunden (z.B. von 24:00 – 6:00 Uhr). Mit dieser relativ einfach anmutenden „Schlafdiät“ (auch wenn sie motivational für viele Betroffene eine echte Herausforderung darstellt), werden entscheidende Änderungsprozesse auf körperlicher und psychischer Ebene angestoßen. Körperlich zeigt sich im Laufe der Wochen durch die Verkürzung der Bettliegezeit ein zunehmend schlafanstoßender Effekt durch Zunahme des homöostatischen Schlafdrucks sowie eine Resynchronisation der biologischen Rhythmik durch Einhaltung fester Schlafzeiten. Psychologisch findet sich durch die schnell einsetzende Verkürzung der Wachliegezeiten eine verbesserte Selbstwirksamkeitserwartung bzgl. der Schlaffähigkeit als auch eine Rekonditionierung: Das Bett als Ort des Schreckens schlafloser Nächte wird wieder zum positiv besetzten „Ich darf mich endlich schlafen legen“. Schlafkompression bzw. Schlafrestriktion als Technik gilt unter den verhaltensmedizinischen Maßnahmen zur Behandlung chronischer Schlafstörungen als eine der Methoden mit der größten in Studien nachgewiesenen Effektstärke.

Kann diese Methode, die „Schlafkompression“, von jeder/jedem durchgeführt werden?

Für Betroffene mit „klassischen“ Ein- und Durchschlafstörungen (sog. Primäre Insomnie, ICD-10 F51.0) ist die Schlafkompression das Mittel der Wahl, um die Schlafstörung in Eigenregie zu bewältigen. Wie oben beschrieben empfiehlt sich aber in jedem Fall eine Vorabuntersuchung beim Hausarzt, um mögliche andere Ursachen auszuschließen. Für Ein- und Durchschlafstörungen als Folge oder in Kombination mit anderen körperlichen/psychischen Erkrankungen kann das hier beschriebene Schlaftraining eine sinnvolle ergänzende Maßnahme darstellen. Tatsächlich zeigen z.B. Studien, dass sich Schlafstörungen im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen durch eine alleinige antidepressive Therapie nicht ausreichend bessern. Auch hier ist also ein gezielter schlafspezifischer Baustein eine wichtige Ergänzung. Da wirksame Methoden aber auch Nebenwirkungen haben, gibt es für das von uns beschriebene Schlaftraining auch eine Reihe an Kontraindikationen (vor allem Erkrankungen, bei denen ein zusätzlicher Schlafmangel das Krankheitsgeschehen verstärken kann wie z.B. Epilepsien, Tiefschlafparasomnien, Psychosen, schwere Herz-Kreislauferkrankungen u.ä.). Ebenso gilt, dass bei Menschen, die im Berufskraftverkehr oder in anderen sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, eine Schlafkompressionstherapie wegen der erhöhten Unfallgefährdung durch erhöhte Tagesschläfrigkeit kontraindiziert ist.

Wann kann man eigentlich sagen, dass jemand gut schläft? Muss man dazu z.B. 7 oder 8 Stunden durchschlafen?

Die Schlafdauer ist nur ein Kriterium für einen guten Schlaf. Ob eine bestimmte Schlafdauer als ausreichend gut und erholsam erlebt wird, ist zudem genetisch geprägt individuell unterschiedlich, aber auch durch situative und andere Faktoren wie das Lebensalter mitbestimmt. Die häufig verbreitete Meinung, es müssten acht Stunden sein, ist definitiv ein Mythos. Für einen erholsamen Schlaf ist die Schlafqualität im Sinne der richtigen Architektur von Leicht-, Tief-, und REM-Schlaf und Schlafkontinuität entscheidender. Interessanterweise zeigt sich dabei, dass eine Verlängerung der Schlafdauer in der Regel mit einer schlechteren Schlafqualität und geringeren Erholsamkeit einhergeht.

Was sollte man auf keinen Fall tun, wenn man gut schlafen will?

Vielleicht kehren wir die Frage um in: Was kann ich tun, um möglichst schlecht zu schlafen: In der Absicht, gut zu schlafen, liegt häufig schon die Tücke. Je mehr man den Schlaf zum Thema macht, desto eher ist die Gefahr gegeben, dass man in den oben beschriebenen Teufelskreislauf einsteigt. Wenn Sie also schon beim Zubettgehen sich darauf fokussieren, ob es jetzt „endlich“ mit dem Einschlafen klappt, sorgenvoll den Gedanken abwägen, wie Sie den nächsten Tag überstehen sollen, wenn Sie wieder schlecht schlafen und eine ernsthafte Gefährdung ihrer Gesundheit in Betracht ziehen, dann haben Sie gute Aussichten auf eine schlaflose Nacht.

Im Übrigen tragen natürlich auch die sonstigen Regeln eines gesunden Lebensstils (Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte) zu einem gesunden Schlaf bei.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Tilmann Müller

Dr. Tilmann Müller, geb. 1962. 1983–1991 Studium der Psychologie in Münster. 1991-1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Laboratorium für experimentelle und angewandte Schlafforschung am Psychologischen Institut WWU Münster. 1996 Promotion. 1996-2002 wissenschaftlicher Assistent. 2002 bis 2011 Mitarbeiter an der Klinik und Poliklinik für Neurologie und ab 2003 stellvertr. Leitung der schlafmedizinischen Abteilung an der Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster. Approbation als Psychologischer Psychotherapeut 1999. Seit 2011 niedergelassen als Psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis.

Dr. Beate Paterok

Dr. Beate Paterok, geb. 1959. 1981–1987 - Studium der Psychologie in Münster. 1987-2003 Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Wissenschaftliche Assistentin am Psychologischen Institut der Universität Münster (Forschung und Lehre), Mitarbeiterin des Schlaflabors der Universität Münster. 1993 Promotion, 1997 - Erwerb der Zusatzqualifikation Somnologie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Seit 2000 bis heute – niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin in einer Praxisgemeinschaft

Empfehlung des Verlags

Schlaf erfolgreich trainieren

Ein Ratgeber zur Selbsthilfe

von Tilmann Müller, Beate Paterok

 

 

 

 

Das sagt der Dorsch zu:

Schlafstörungen[engl. sleep disorders], syn. Agrypnie, [KLI], Ein- und/oder Durchschlafstörungen, die sich neg. auf die Leistungsfähigkeit oder die Tagesbefindlichkeit auswirken, werden als Insomnien (Morin & Benca, 2012) bez. Eine typische Beeinträchtigung am Tag umfasst dabei eines oder mehrere der folg. Symptome: Müdigkeit, Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsprobleme, daraus resultierende Schwierigkeiten in Schule, Ausbildung oder Beruf, Veränderungen in der Stimmung, Anfälligkeit für Unfälle, z. B. bei der Arbeit oder beim …

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