Klinik und Therapie

Anwendung der NAB

Brauchen wir überhaupt noch einen weiteren neuropsychologischen Test? Diese Frage stellen sich viele Psychologen und Ärzte, die mit neuropsychologischer Begutachtung zu tun haben und die seit vielen Jahren bzw. Jahrzenten etablierten Instrumente zur Diagnostik nutzen. Welchen Mehrwert ein neues Instrument liefern kann, wird nachfolgend an Beispielen gezeigt.

Deutschsprachige Adaptation der Neuropsychological Assessment Battery (NAB) von Robert A. Stern und Travis White

Bislang war es gängige Praxis, für eine tiefgehende neuropsychologische Abklärung diverse Untertests aus unterschiedlichen Instrumenten zusammenzustellen. Durch die NAB entfällt nun dieses „Zusammenstückeln“, denn die Testbatterie ermöglicht durch ihr breites inhaltliches Spektrum und die weit gefasste Altersnormierung eine umfassende neuropsychologische Diagnostik mit einem Instrument „aus einem Guss“. Dabei zeichnet sie sich durch einige Besonderheiten aus, so z.B. die Option zur Kombination von Screening und Hauptmodulen, die Wiederholung von Testungen mit Parallelformen für die gesamte Testbatterie, gute Vergleichbarkeit der Modul-Scores durch die Normierung aller Module an einer Stichprobe sowie altersdifferenzierte Normen. Alltagsrelevante Aufgaben (wie z.B. Rechnung bezahlen oder Strassenszenen), gute Konstruktvalidität sowie anwenderfreundliches Design eröffnen nicht nur eine effizientere Untersuchung von Testpersonen, sondern auch neue Forschungsfelder. Exemplarisch stellen wir das diagnostische Potenzial der NAB für die Anwendungsfelder Fahreignungsdiagnostik und Demenzdiagnostik vor.

Fahreignungsdiagnostik

Eine interessante Anwendungsmöglichkeit eröffnet sich für die Fahreignungsdiagnostik. Für diagnostische Fragestellungen in diesem Bereich werden aktuell entweder mehr oder weniger komplexe psychologische Tests, Fahrsimulatoren oder praktische Fahrproben genutzt. Eine grundsätzliche Frage ist dabei immer, wie gut anhand dieser Tests die im Alltag gezeigte Fahrleistung vorhergesagt werden kann. Diese Frage ist nicht nur für die Fahreignungsbeurteilung im Allgemeinen wichtig, sondern gewinnt an Bedeutung, wenn es um die Beurteilung der Fahreignung von Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Krankheiten geht. Insbesondere im Zusammenhang mit leichten kognitiven Beeinträchtigungen wird die Fahreignungsbeurteilung wichtig. Aktuell werden für  die psychometrische Beurteilung der Fahreignung meist Tests verwendet, welche verschiedene Aspekte der Aufmerksamkeit (z. B. die selektive Aufmerksamkeit, Daueraufmerksamkeit) und der exekutiven Funktionen (z. B. Shifting, Updating, Multitasking) prüfen. In der Regel handelt es sich um psychologische Tests, die eigentlich nicht speziell für verkehrspsychologische Untersuchungen konstruiert worden sind. Häufig verwendete Tests sind in diesem Zusammenhang die beiden Versionen des Trail-Making-Tests, der Uhrentest, die Mini-Mental-Skala, verschiedene Untertests der TAP, Tests zur Überprüfung der Verarbeitungsgeschwindigkeit, Wahrnehmungsbelastung und Varianten von Interferenztests (z. B. Stroop-Tests). Auf der Basis dieser Standardtests werden gelegentlich auch spezielle Versionen für die verkehrspsychologische Untersuchung angeboten. Ein typisches Beispiel ist eine spezielle Variante der TAP (TAP-M). Der sogenannte Useful-Field-of-View-Test, der eigentlich eine spezielle Variante der visuellen Aufmerksamkeit ist, wird auch sehr häufig bei der verkehrspsychologischen Begutachtung verwendet. Sehr weit verbreitet sind insbesondere im deutschsprachigen Raum speziell zusammengestellte und für verkehrspsychologische Fragestellungen geeichte computerisierte Testbatterien. Hierzu gehören das Expert System Traffic XPSV und das Act and React Test System.


Insgesamt muss man allerdings festhalten, dass die mit den genannten Tests erhobenen Befunde bestenfalls moderat mit den Fahrleistungen im realen Straßenverkehr korrelieren (vgl. Casutt, Martin, Keller & Jäncke, 2014; Niemann & Hartje, 2013).


Das NAB-Modul Aufmerksamkeit enthält mit der Aufgabe Straßenszenen einen Untertest, mit dem man die visuelle Aufmerksamkeit in speziellen Verkehrssituationen messen kann. So konnten Studien zeigen (Brown et al., 2005), dass die Befunde bei diesem Test mit den Beobachtungen im Rahmen einer realen Fahrprobe substanziell übereinstimmen. Abbildung 1 illustriert einen möglichen Ablauf zur Untersuchung von Fahreignung mit dem Modulen Screening und Aufmerksamkeit der NAB.

Denkbar ist, dass diese Aufgaben der NAB als Screening-Tests für die Beurteilung der Fahreignung von Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sowie älteren Personen, bei denen Anzeichen einer Demenz zu erkennen sind, genutzt werden. Mit diesen kosten- und zeitersparenden Tests könnten jene Personen identifiziert werden, die einer dezidierten Fahreignungsdiagnostik zugeführt werden, bei der dann wiederholte Messungen, Fahrsimulationen und praktische Fahrproben zur Anwendung kommen.

Demenzdiagnostik

Die Demenzdiagnostik ist bereits gegenwärtig von großer Bedeutung. Hierbei geht es einerseits um die Identifikation von Demenzen (also liegt eine Demenz vor oder nicht), aber auch um die Differenzialdiagnostik innerhalb der verschiedenen Demenzformen (z. B. Alzheimer-Demenz vs. frontotemporale Demenz). Im deutschsprachigen Raum hat sich die deutschsprachige Version der CERAD für die Demenzdiagnostik etabliert. Die weit verbreitete deutschsprachige Version CERAD-Plus besteht aus der Mini-Mental-Skala, dem Boston-Naming-Test, einem verbalen Flüssigkeitstest (semantische Flüssigkeit: Tiere), einem Wortlistentest, einem Figuren-Test, dem Trail-Making Test Teil A und B und einem phonetischen Flüssigkeitstest. Als weitere Testverfahren werden gelegentlich noch der Uhrentest und IQCODE (Informant Questionnaire on Cognitive Decline in the Elderly) eingesetzt (Memory Clinic, 2016).

Die NAB eröffnet im Vergleich zur CERAD weitere Optionen für die diagnostische Untersuchung. Das Modul Screening der NAB ist ähnlich umfangreich wie die CERAD, besteht allerdings aus neu zusammengestelltem Testmaterial, das besser den aktuellen kulturellen Anforderungen genügt. Zudem ist die Überprüfung der exekutiven Funktionen bereits im Modul Screening umfangreicher als in der CERAD und geht über das hinaus, was mit dem Trail-Making-Test und dem Flüssigkeitstest (in der CERAD enthalten) gemessen werden kann. Zusätzlich können mit der NAB die relevanten Hauptmodule (z. B. Modul Gedächtnis) zur differenzierten Diagnostik herangezogen werden. So können auch beginnende dementielle Beeinträchtigungen im Gedächtnis sehr gut durch das NAB-Modul Gedächtnis abgebildet werden.

Die aufgezeigten Beispiele sollten das Potenzial der NAB zur Diagnostik in aktuell relevanten Bereichen der Neuropsychologie illustrieren und die Testbatterie von bestehenden Instrumenten abgrenzen. Für alle Bereiche stehen somit leistungsstarke Testmodule zur Verfügung, die nicht nur aufgrund ihrer flexiblen Anwendbarkeit, sondern auch ihrer Alltagsnähe überzeugen.

Literatur

  • Brown, L. B., Stern, R. A., Cahn-Weiner, D. A., Rogers, B., Messer, M. A., Lannon, M. C. et al. (2005). Driving Scenes test of the Neuropsychological Assessment Battery (NAB) and on-road driving performance in aging and very mild dementia. Archives of Clinical Neuropsychology, 20, 209-215.
  • Casutt, G., Martin, M., Keller, M. & Jäncke, L. (2014). The relation between performance in on-road driving, cognitive screening and driving simulator in older healthy drivers. Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour, 22, 232–244.
  • Memory Clinic (2016). CERAD-Plus – Neuropsychologische Testbatterie. Online verfügbar unter: www.memoryclinic.ch/de/main-navigation/neuropsychologen/cerad-plus/ [08.11.2016].
  • Niemann, H. & Hartje, W. (2013). Beurteilung der Fahreignung hirngeschädigter Patienten in der neurologischen Rehabilitation. Zeitschrift für Neuropsychologie, 24, 69–87.

Dr. Mona Bornschlegl

2003 – 2007 Studium der Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt mit Schwerpunkt Neuropsychologie. 2007 – 2011 Promotion zum Dr. rer. nat. an der Universität Bremen, Institut für Human-Neurobiologie zum Thema „Specific Aspects in the Adaptation of Human Eye-Hand-Coordination“.

Seit 2012 Post Doc an der Universität Bremen am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation bei Prof. Dr. Franz Petermann.