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Digitale Medien – Chancen und Risiken für Kinder und Jugendliche

Im Interview haben wir mit Prof. Dr. Christiane Eichenberg und Dr. Felicitas Auersperg über ihr Buch „Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche“ gesprochen. Das Buch hilft Eltern, Lehrkräften und anderen Bezugspersonen, das Nutzungsverhalten besser einzuschätzen, Gefahren zu erkennen, aber auch die Chancen nicht außer Acht zu lassen, die digitale Medien bieten.

Digitale Medien für Kinder und Jugendliche Vater und Tochter mit Tablet

Ihr Buch „Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche“ erscheint nun bereits in 2. Auflage. Die 1. Auflage erschien 2018, also vor der Corona-Pandemie. Was hat sich in dieser Zeit bei der Nutzung digitaler Medien geändert? Z.B. im Schulbereich war ja Unterricht zum Teil nur noch durch Nutzen digitaler Medien möglich.

Durch die Pandemie haben wir gesamtgesellschaftlich eine Beschleunigung in Richtung Digitalisierung erfahren, mit allen positiven wie negativen Konsequenzen. So wurde z.B. erfreulicherweise die Psychotherapie dahingehend flexibilisiert, dass nun auch Sitzungen im Online-Setting möglich sind. Die Nutzung digitaler Medien ist seither gestiegen v .a. bei jungen Menschen, auch digitale Lernformate wurden weiterentwickelt. Gleichzeitig ist aber auch der Anteil der süchtigen Nutzenden gestiegen, sodass wir uns in der Pädagogik und Psychotherapie, aber auch gesamtgesellschaftlich intensiver denn je mit den Optionen, aber auch Risiken der digitalen Mediennutzung beschäftigen müssen.

Welche digitalen Medien werden vor allem benutzt und gibt es hier Unterschiede bei Altersklassen und Geschlechtern?

Kinder und Jugendliche nutzen unabhängig von der Altersgruppe und dem Geschlecht ganz besonders häufig den Kommunikationsdienst WhatsApp. TikTok, YouTube und Instagram werden zurzeit ebenfalls bevorzugt. Beim Aufbau von Medienkompetenz ist es wichtig zu berücksichtigen, dass solche Präferenzen dynamisch sind und sich von Jahr zu Jahr verändern.

Medienkompetenz ist ein wichtiges Stichwort. Es gibt sogar die Forderung, Medienkompetenz als Schulfach einzurichten. Wäre dies ein möglicher Weg, um den richtigen Umgang mit digitalen Medien zu lernen?

Medienkompetenz zu vermitteln und zu erlangen und diese aufgrund der ständig sich entwickelnden digitalen Medienlandschaft mit neuen Diensten und Angeboten immer wieder weiter auszubauen, ist sehr zentral. Dies kann auf verschiedenen Wegen passieren, wobei die Integration in den Schulunterricht ein wichtiger Baustein ist. Zum Teil existieren Schulfächer, die digitale Grundbildung vermitteln, allerdings unserer Kenntnis nach mit einem viel zu geringen Stundenumfang. Allerdings darf nicht der Schule allein die Vermittlung von Medienkompetenzen überlassen werden, zumal die Mediennutzung ja bereits häufig im Kleinkindalter beginnt. Hier kommt also den Familien eine besondere Rolle zu, die steuernd bereits früh einen angemessen Medienumgang begleitet. Dabei ist zentral, dass – entsprechend des jeweiligen Alters des Kindes – Eltern und andere enge Bezugspersonen jeweils den Medienkonsum aktiv begleiten, in dem sie mit dem Kind gemeinsam Medien nutzen oder – in einem späteren Alter – gemeinsam Regeln festsetzen bzw. ab dem Jugendalter als interessierter Gesprächspartner zur Verfügung stehen, damit die/der Jugendliche ggf. belastende Erfahrungen teilen kann.

Möglicherweise benötigen aber auch Erwachsene diese Medienkompetenz, wie wichtig ist es, etwa Jugendlichen in diesem Bereich mindestens auf Augenhöhe zu begegnen? Was sollten Bezugspersonen beachten?

Eltern und weitere enge Bezugspersonen müssen nicht denselben Grad an Medienkompetenz haben wie ihr Nachwuchs, zumal ab einem bestimmten Alter die meisten Mädchen und Jungen sich viel besser mit digitalen Medien auskennen. Viel wichtiger ist, dass Erwachsene sich dafür interessieren, was ihre Kinder z.B. im Internet tun und deren Netzkompetenzen auch wertschätzen als eine Fähigkeit im digitalen Zeitalter. Internetaktivitäten z.B. als „Zeitverschwendung“ ab zu tun bzw. gar nicht zu wissen, was der Nachwuchs online genau macht bzw. konsumiert, wird nicht nur dazu führen, dass die Tochter /der Sohn sich nicht diesbezüglich öffnet, sondern auch auf die Beziehungsebene wirken, wenn Erwachsene wichtige Lebenswelten der Kinder ignorieren oder sogar pauschal ablehnen.

Welches sind die größten Risikobereiche bei der Nutzung digitaler Medien für Kinder und Jugendliche in Ihren Augen?

In unserem Ratgeber sprechen wir explizit fünf Risikobereiche an, nämlich exzessive Nutzungsweisen, dysfunktionale, selbstschädigende und deviante Nutzungsweisen. Dabei werden Themen wie Cybermobbing und Suizidforen ebenso vorgestellt wie politischer Extremismus. Viele Eltern sind beunruhigt über die Häufigkeit und Dauer des Medienkonsums ihrer Kinder. Wir bieten Informationen dazu, wie viel Medienzeit für verschiedene Altersgruppen empfohlen wird und unter welchen Umständen eine Einschränkung sinnvoll sein kann. Mit dysfunktionalen Nutzungsweisen ist zum Beispiel der häufige Aufruf von Websites gemeint, die unbegründete Gesundheitsängste verstärken oder entstehen lassen. Selbstschädigende Nutzungsweisen können durch Foren, in denen Ratschläge zum Gewichtsverlust geteilt werden, begünstigt werden. Das Internet kann als Austragungsort für Konflikte zwischen Kindern dienen und so zur massiven seelischen Belastung von Mobbingopfern beitragen. Über diese Problemfelder im Detail informiert zu sein, soll unsere Leser*innen dabei unterstützen, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken und mögliche Gefahren zu erkennen. 

Ihnen ist auch wichtig, die Chancen herauszustellen, die digitale Medien bieten, worin sehen Sie die größten Vorteile für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen?

Neben den offensichtlichen Vorteilen, die digitale Medien für Kinder und Jugendliche ebenso wie für Erwachsene bieten, zum Beispiel der Option, Informationen einzuholen und auszutauschen, möchten wir auch weniger häufig angesprochene positive Aspekte wie die Möglichkeit zur Identitätskonstruktion im Internet thematisieren. Herausforderungen der Identitätsbildung wie die Anerkennung der eigenen Sexualität, wenn sie von der wahrgenommenen Norm abweicht, können in Online-Communities thematisiert werden. Dort werden „safe spaces“ geöffnet, in denen sich Personen, die in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld Diskriminierung erfahren, Teil einer Community werden. Wissensbezogene Inhalte können ebenso wie Angebote, die die Kreativität unterstützen, für alle Altersgruppen eine große Bereicherung darstellen. Diese Möglichkeiten können im Bildungsbereich genutzt werden, um traditionelle Lehransätze zu ergänzen und aufzulockern. 

Gaming ist für viele Kinder und Jugendliche ein ganz wichtiger Faktor, der auch für den Lernprozess viel Positives haben kann, wir beschäftigen uns hier im Verlag auch mit Serious Games, wie schätzen Sie das Potenzial des Serious Gaming ein?

Wir schätzen das Potenzial von Serious Games als hoch ein. Wir wissen, dass es im Bildungsbereich v.a. in Kombination mit herkömmlichen Lernmethoden den Lernerfolg wie auch die -motivation steigert. Auch in der Unterstützung der mentalen Gesundheit zeigen Serious Games positive Effekte in internationalen Wirksamkeitsstudien, allerdings werden sie im deutschsprachigen Raum noch viel zu wenig angeboten. Viele positiv evaluierte Angebote sind nur auf Englisch verfügbar oder stehen im Rahmen von Forschungsprojekten zur Verfügung, werden dann aber nicht in das Präventions- und Versorgungsangebot integriert. Wir wissen z.B. nämlich auch, dass in Psychotherapien, in die Serious Games integriert werden, die Behandlungsmotivation von Kindern und Jugendlichen deutlich erhöht wird.

Nun noch eine Frage zu einem Thema, das momentan praktisch allgegenwärtig ist: KI, Künstliche Intelligenz. Würden Sie den Befürchtungen folgen, dass z.B. Aufsätze und Hausaufgaben künftig von ChatGPT geschrieben werden, die Textkompetenz daher noch mehr abnehmen könnte? Oder sehen Sie auch hier Chancen für positive Entwicklungen?

Dies ist ein Feld, das so neu ist, dass z.B. Schulen und Universitäten noch keine einheitlichen Konzepte für den Umgang mit KI-Angeboten wie ChatGPT erarbeitet haben. Klar ist, dass die Schüler- wie Studentenschaft diese nutzen, auch deren Recherche unterstützen, wobei ihnen vermittelt werden sollte, dass diese fehleranfällig sind und es weitere Methoden braucht, um die dort ausgegebenen Informationen zu validieren. Und natürlich ist auch ein Ansatz, schriftliche Arbeiten durch mündliche Leistungen stärker zu ergänzen, um beurteilen zu können, inwiefern die schriftliche Ausarbeitung auch verstanden wurde. Zudem geht der Trend dahin, dass die Nutzung von z.B. ChatGPT als Quelle angegeben werden muss, auch wenn natürlich von der Lehrkraft nicht mehr nachvollzogen werden kann, welche Textteile von der KI generiert wurden, da diese immer wieder neu kompiliert werden je nach Prompt. Der kritische Umgang mit den ausgegeben Texten, aber auch die Anerkennung dessen, dass die Schüler- wie Studentenschaft diese Fähigkeit sich aneignet, ist zielführender als ein Versuch, die Nutzung einzuschränken, was weder möglich noch wünschenswert ist, da solche KI-Angebote auch in vielen Bereichen einen großen Nutzen bringen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Christiane Eichenberg

Prof. Dr. Christiane Eichenberg, geb. 1973. Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin. 1994 – 2001 Studium der Psychologie in Köln. 2006 Promotion. 2010 Habilitation. 2013 – 2016 Universitätsprofessorin für Klinische Psychologie, Psychotherapie und Medien und seit 2016 Leiterin des Instituts für Psychosomatik an der Medizinischen Fakultät der Sigmund Freud PrivatUniversität, Wien. Forschungsschwerpunkte: E-Mental Health, Psychotraumatologie, Psychosomatik, Psychotherapieforschung.

Dr. Felicitas Auersperg

Dr. Felicitas Auersperg, geb. 1989. 2008 – 2013 Studium der Psychologie in Wien. 2013 – 2014 Universitätsassistentin am Lehrstuhl für Innovationsmanagement an der Privatuniversität Schloss Seeburg. 2014 – 2015 Lehrauftrag an der MedUni Wien. Seit 2014 Universitätsassistentin an der Psychologischen Fakultät der Sigmund Freud PrivatUniversität, Wien.

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von Christiane Eichenberg, Felicitas Auersperg

 

 

 

 

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