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Digitales Förderprogramm „Ferdi“ war ein voller Erfolg

In den vergangenen Sommerferien gab es eine ganze Reihe von außerordentlichen Lernprogrammen für Schüler*innen. Sie sollten helfen, den Lernrückstand auszugleichen, der wegen coronabedingter Schulschließungen entstanden ist.

Das komplett digitale Förderprogramm „Ferdi“ wurde in Hessen und Sachsen-Anhalt für Schüler*innen mit Lese- und Rechtschreibschwäche angeboten. Insgesamt haben ca. 4.700 Kinder aus 488 Klassen teilgenommen. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Gespräch mit dem Initiator des Projekts, Professor Marcus Hasselhorn.

Ferienangebot für Schüler*innen mit Lese- und Rechtschreibschwäche

Herr Hasselhorn, worum handelt es sich bei Ferdi?
Ferdi ist ein aufgrund der Corona-Situation kurzfristig entwickeltes Ferienangebot für die Sommerferien 2020. Es zielt darauf ab, dass Grundschulkinder mit Lernrückständen im Lesen oder Rechnen während der Ferien die Möglichkeit erhalten, wissenschaftlich fundierte und in ihrer Wirksamkeit empirisch bestätigte Förderprogramme gezielt zu bearbeiten. Den Schulen bot Ferdi im Sommer die Möglichkeit, eine Empfehlung aus der April-Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina umzusetzen, nämlich gezielte kompensatorische Förderangebote auch in den Ferien zu machen.

Was ist das Besondere an diesem Förderangebot?
Das Besondere am Ferienförderangebot Ferdi ist, dass es komplett digital nutzbar ist, also ohne direkten physischen Kontakt zwischen Lehrkraft und Kind umgesetzt werden kann. Außerdem berücksichtigt es das Prinzip der individuell abgestimmten, diagnosebasierten Förderung. Auch haben die Lehrkräfte die Möglichkeit, Rückmeldung über den individuellen Kompetenzzuwachs der Kinder zu erhalten.

Warum ist es so wichtig, gerade Kinder mit Schwierigkeiten beim Lesen und Rechnen zu unterstützen?
Wir haben bereits seit einigen Jahren einen erschreckend hohen Prozentsatz an Grundschulkindern, die besondere und anhaltende Schwierigkeiten beim Lesen und/oder Rechnen haben. In einer Prävalenzstudie, die wir 2011 in Bremen, Niedersachsen und Hessen durchgeführt haben, zeigten sich bei über 17 Prozent der zur Mitte der Grundschulzeit untersuchten Kinder Lernschwächen in diesen Bereichen haben. Experten sind sich einig, dass die langen Schulschließungen im Frühjahr leistungsschwache Schulkinder besonders hart getroffen haben. Ihre Leistungsrückstände im sozialen Vergleich dürften ohne zusätzliche Förderanstrengungen nochmals zugenommen haben. Das erhöht das Risiko für langfristigen Bildungsmisserfolg.

Drei Bausteine bei der digitalen Förderung per App

Wie funktioniert Ferdi?
Die Adressaten von Ferdi sind die Lehrkräfte der betroffenen Kinder. Für sie stellt Ferdi drei Bausteine zur Verfügung:

  • ein Screening zur Feststellung, ob grundlegende Basisfertigkeiten des Lesens und Rechnens alters- bzw. klassenstfengerecht entwickelt sind;
  • eine Handreichung zu Handlungsbedarfen von Lehrkräften beim Umgang mit besonderen Lernschwierigkeiten;
  • einen Zugang zu evidenzbelegten digitalen Förderprogrammen im Lesen und Rechnen.

Hat eine Lehrkraft die Vermutung, dass ein Kind ihrer Klasse zusätzlichen Förderbedarf hat, lädt sie die Familie ein, sich die Screening-App auf ein mobiles Endgerät (z.B. Tablet) herunter zu laden. Das Kind kann die Aufgaben in der App dann von Zuhause aus bearbeiten. Datenschutzrechtlich abgesichert kann die Lehrkraft die Ergebnisse einsehen und entscheiden, ob sie für das Kind empfiehlt, eines der verfügbaren digitalen Förderprogramme in den Ferien zu bearbeiten. Nach den Ferien werden die Familien eingeladen, das Kind die Aufgaben erneut bearbeiten zu lassen und die Lehrkraft bekommt die Rückmeldung, ob es zu einem bedeutsamen Zuwachs an entsprechenden Basiskompetenzen gekommen ist.

Für die Ferienzeit wurden vom Hogrefe Verlag mit Einverständnis der Autor*innen u.a. zwei Förderprogramme kostenlos zur Verfügung gestellt. Wie ist es Ihnen gelungen, die Beteiligten mit ins Boot zu bekommen?
Das war gar nicht so schwer. Über viele Jahren habe ich gemeinsam mit dem Kollegen Gerd Schulte-Körne von der Ludwig-Maximilians-Universität München die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projektforschung zur Diagnose und individuellen Förderung von Kindern mit umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten koordiniert. Daher kennen wir die Autorinnen und Autoren der nachweislich wirksamen digitalen Förderprogramme alle persönlich. Ich musste nur anrufen und habe in allen Fällen sehr schnell Zusagen von Autoren und Verlagen (neben dem Hogrefe Verlag auch von Psychometrica und der MeisterCody GmbH) erhalten, ihre Programme für diesen guten Zweck in den Sommerferien kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

In der Entwicklung: Eine Digitale Plattform zur Hilfe bei Lernstörungen

Das Programm Ferdi war ja eine Art Zwischenprodukt zu einer Online-Plattform, die derzeit entwickelt wird. Was hat es damit auf sich?
In der Tat ist Ferdi ein Ad-hoc-Zwischenprodukt bei der Entwicklung der „Lernstörungen Online Plattform für Diagnostik und Intervention“, kurz LONDI, die unter der Leitung von Gerd Schulte-Körne und mir derzeit entwickelt wird. Ziel von LONDI ist es, eine Plattform zur Diagnostik und Förderung von Kindern mit besonderen Lernschwierigkeiten beim Erwerb von Schriftsprache und/oder Artithmetik zu entwickeln. Dafür wird das Angebot evidenzbasierte Informationen und Materialien bereithalten sowie ein Hilfssystem, dass z.B. Lehrkräfte für die Klärung und individuelle Förderung betroffener Kinder nutzen können.

Wie wird es mit Ferdi und der LONDI-Plattform weitergehen?
Da Ferdi ja beendet ist, können wir nun die durch die Nutzung entstandenen Wirkungen evaluieren und versuchen, aufgrund der Rückmeldung von Lehrkräften, die damit gearbeitet haben, die Entwicklung der LONDI-Plattform möglichst nutzerfreundlich voranzubringen. Dazu bedarf es in den kommenden Jahren der wissenschaftlich-begleiteten Implementation von LONDI in Schulen. Wir versuchen derzeit Kooperationsvereinbarungen mit Schulministerien zu treffen, um durch den Einsatz von LONDI den Bereich der individuellen Förderung für Kinder mit Schwierigkeiten beim Erwerb von Schriftsprache und Arithmetik weiter zu professionalisieren.  Das Ziel dabei ist, dafür zu sorgen, dass in unseren Grundschulen zukünftig immer weniger Kinder in den Teufelskreis geraten, der mit solchen Lernschwierigkeiten verbunden ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Hasselhorn!

Folgende Trainings kamen zum Einsatz

Lesespiele mit Elfe und Mathis

Computerbasierte Leseförderung für die erste bis vierte Klasse

von Alexandra Lenhard, Wolfgang Lenhard, Petra Küspert herausgegeben von Marcus Hasselhorn, Wolfgang Schneider