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Gefühl und Verstand: Wie Sie gute Entscheidungen treffen

Im digitalen Zeitalter ist die Fähigkeit, gute Entscheidungen zu treffen, besonders wichtig. Kluge Entscheidungen beruhen auf der Koordination von Verstand, Erfahrung und Emotion.

Gute Entscheidungen treffen: Nicht leicht, aber es kann geübt werden.

Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Wirtschaft, sondern auch die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten. Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von ständigem Wandel, schnellen Informationsflüssen und Komplexität. Die Anforderungen an die Menschen haben sich dementsprechend verändert. Es geht darum, sich in dieser unbeständigen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umgebung – der sogenannten VUCA-Welt¹ – zurechtzufinden und erfolgreich zu bewegen. Die Kunst der klugen Entscheidung ist dabei eine Kernkompetenz.

Der Mensch trifft täglich eine Vielzahl von Entscheidungen. Die meisten davon automatisch, ohne darüber nachzudenken. Mit welcher Hand putze ich die Zähne? Welchen Weg nehme ich zur Arbeit? Schwieriger wird es bei der Antwort auf Fragen, die nachhaltige Auswirkungen haben: Nehme ich die berufliche Herausforderung an, die sich mir gerade bietet? Wo will ich leben? Riskiere ich die geplante Investition?

Wie Entscheidungen zu Stande kommen

Psychologie und Hirnforschung haben inzwischen sehr viele Erkenntnisse darüber zusammengetragen, wie Entscheidungsvorgänge ablaufen.

Die Basis von Entscheidungen sind Bewertungen. Der Mensch verfügt mit seinem hochentwickelten Gehirn über zwei unterschiedliche Systeme (Storch & Krause, 2017), die unabhängig voneinander arbeiten und Handlungsvorschläge erzeugen: Verstand und emotionales Erfahrungsgedächtnis.

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis befindet sich in evolutionsbiologisch sehr alten Schichten des Gehirns. Dabei handelt es sich um ein ausgedehntes Netzwerk von kleineren und größeren Hirngebieten, die als limbisches System bezeichnet werden. Dort sind individuelle Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, gespeichert.

Zu einer Entscheidung werden unbewusst die passenden Erfahrungen abgerufen und blitzschnell, innerhalb von 200 Millisekunden (Storch & Krause, 2017), bewertet. Die Bewertung ruft Körpersignale in Form diffuser Gefühle, sogenannter somatischer Marker (Damasio, 1994), hervor.

Waren die gespeicherten Erfahrungen schlecht, äußert sich dies zum Beispiel durch Nackenverspannungen oder eine zittrige Stimme. Waren sie gut, nimmt die Person sie zum Beispiel als ein gutes Gefühl im Bauch oder ein Gefühl von Leichtigkeit wahr.

Somatische Marker sind immer individuell und werden von Person zu Person unterschiedlich wahrgenommen. Daraus leitet sich ab, ob die aktuelle Entscheidung eher in Richtung „hin zu“ oder „weg von“ geht. Die Informationsverarbeitung des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses läuft parallel, so dass gleichzeitig sehr viele Informationen verarbeitet und daraus Bewertungen im Zeithorizont „Hier und Jetzt“ gebildet werden können.

Der Verstand braucht manchmal Wochen

Erst nachdem das Gehirn die emotionalen Erinnerungen abgerufen hat, werden die Bereiche der Großhirnrinde aktiviert, in denen der Verstand verortet ist. Hierbei handelt es sich um evolutionsbiologisch neuere Schichten. Bewertungen, die wir mit dem Verstand vornehmen, sind uns bewusst. Sie können in Sprache ausgedrückt und mit präzisen Argumenten belegt werden. Hier denken, analysieren und planen wir für die Zukunft.

Allerdings arbeitet der Verstand langsamer als das emotionale Erfahrungsgedächtnis. Er braucht mindestens 900 Millisekunden. Es kann aber auch Minuten, Stunden, Tage oder Wochen dauern, bis dem Verstand etwas klar geworden ist.

Die Informationsverarbeitung dieses Systems ist seriell, d.h. der Verstand kann immer nur eine Information zur selben Zeit bearbeiten. Das wird deutlich, wenn Sie versuchen, gleichzeitig zwei Gedanken zu denken. Dies ist nicht möglich. Diese Art von Informationsverarbeitung ist einerseits genau, andererseits auch sehr störanfällig. Rationale Entscheidungen brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Konzentration.

Die Bewertung des Verstandes erfolgt in den Kategorien richtig und falsch. Hier spielen oftmals Erziehung und soziale Normen eine bedeutende Rolle.

Gefühl und Verstand können sich widersprechen

Bei der Vielzahl von Entscheidungen, die wir treffen, kommt es auch vor, dass die beiden Systeme zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Mit dem Verstand kommen wir beispielsweise unter Abwägung durchdachter Argumente zu einer Entscheidung, bei der uns das emotionale Erfahrungsgedächtnis negative Signale sendet. Wir fühlen uns mit der Entscheidung nicht wohl. Je nach Tragweite der Entscheidung, kann dies zu negativen Konsequenzen führen.

Oft wird die Umsetzung einer Entscheidung schwierig oder unmöglich, wenn die beiden Bewertungssysteme nicht am gleichen Strang ziehen. Zum Beispiel kann es sein, dass der Verstand weiß, dass es wieder Zeit für die regelmäßige ärztliche Kontrolle der Zähne ist. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis verbindet mit dem Zahnarztbesuch aber Unangenehmes und arbeitet gegen die Terminvereinbarung.

Wer entscheidet nun also – Gefühl oder Verstand?

Der Verstand hat nur wenige direkte Verbindungen zum emotionalen Erfahrungsgedächtnis. Umgekehrt kontrolliert und beeinflusst das emotionale Erfahrungsgedächtnis die bewusste Ebene stark (Weber, 2017).

Intuitive Entscheidungen wiederum sind nur gut, wenn ausreichend Erfahrungen und Informationen vorhanden sind, auf die das Gehirn zugreifen kann.

Ob Entscheidungen als klug wahrgenommen werden, hängt davon ab, ob es gelingt, die beiden Systeme mit ihren unterschiedlichen Arbeitsweisen in Einklang zu bringen (Storch 2012). Dabei kommt es nicht darauf an, die vermeintlich objektiv beste Wahl zu treffen, sondern eine Option zu finden, die zu einem passt.

Nachhaltige Entscheidungen mit dem Zürcher Ressourcen Modell

Die Methoden des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM®) unterstützen den Austausch der beiden Systeme und ermöglichen deren Synchronisierung. ZRM® wurde an der Universität Zürich von Dr. Maja Storch und Dr. Frank Krause für die Praxis entwickelt und beruht auf neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zu menschlichem Lernen und Handeln.

So arbeitet das ZRM® mit Bildern, die eine Schnittstelle zwischen der Welt der Worte (Verstand) und der Gefühle (emotionales Erfahrungsgedächtnis) bilden. Somatische Marker lassen sich mit der Affektbilanz, einem neu entwickelten Verfahren, darstellen und messen. Darüber hinaus wurde im Rahmen des Zürcher Ressourcen Modells ein neuer Zieltyp, das Motto-Ziel, entwickelt. Es greift auf das emotionale Erfahrungsgedächtnis der einzelnen Personen zurück und arbeitet mit der inneren Haltung. Somit wird die Entscheidung auf eine bessere Basis gestellt und eine nachhaltige Umsetzung ermöglicht. FP

¹VUCA steht für die englischen Begriffe volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit).

Literatur

Damasio, A. (1994). Decartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. Berlin: List.

Storch, M. (2012). Das Geheimnis kluger Entscheidungen. Von Bauchgefühl und Körpersignalen. München: Piper

Storch, M. & Krause, F. (2017). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcenmodell (ZRM). Bern: Hogrefe.

Weber, J. (2017). Ich fühle, was ich will – Wie Sie Ihre Gefühle besser wahrnehmen und selbstbestimmt steuern. Bern: Hogrefe.

Anne Hewelt

  • Diplom-Studium Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen
  • 25 Jahre Personalmanagement in einem internationalen Unternehmen
  • Organisationsberaterin, Trainerin, Coach mit den Schwerpunkten, Selbstmanagement, Teams, Führung, Veränderungsprozesse
  • Ausbildungen in Coaching und Mediation
  • Reiss Motivation Profile Master
  • Zertifizierte ZRM Trainerin
Kontakt

ZRM® bei Hogrefe

Hogrefe bietet neben Büchern auch Seminare zum Zürcher Ressourcen Modell an. Aktuell beispielsweise den ZRM®-Grundkurs Außerdem können ZRM®-Trainings als Inhouse-Schulung gebucht werden.

Eine Übersicht unseres Verlagsprogramms zum Zürcher Ressourcen Modell finden Sie in der Broschüre Zürcher Ressourcen Modell ZRM® – individuelle Ressourcen finden und nutzen