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Gesundheitsförderung: Was die Pflege leisten kann

Niemals zuvor erreichten so viele Menschen ein so hohes Alter wie heute. Deshalb spielt auch die Ge­sundheitsförderung im Alter eine immer wichtigere Rolle. Trotz Einschränkungen sollen alte Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen. Die Pflegenden können sie dabei unterstützen. Von Siegfried Huhn

Gesundheit ist nicht statisch, sondern Schwankungen ausgesetzt

Mit einem längeren Leben geht ein verändertes Bewusstsein für die eigene Gesundheit und Lebensgestaltung einher. Nach dem Eintritt in den Ruhestand nimmt der Zeitanteil für Regeneration (Essen, Schlafen, Körperpflege) zunächst zu und es entsteht Freude am Müßiggang. Da die meisten Menschen relativ vital in diese neue Lebensphase eintreten, entwickeln sie eine Freizeitgestaltung, die fast immer auch der Gesundheitsfürsorge dient. Das erklärt sich aus der großen Anzahl von Sport- oder Freizeitgruppen oder speziellen Reise- und Bildungsangeboten für ältere Menschen (Pantel et al. 2014; Becker & Brandenburg 2014). Dadurch erleben mehr Menschen eine entsprechende Verlängerung der Lebensphase des Alters. Wahrscheinlich wird die Lebenserwartung zukünftig weiter steigen, und es werden im Verhältnis mehr Menschen gesund alt werden, um dann im hohen Lebensalter nach kurzer Krankheit zu versterben (Generali 2017).

Gesundheitsprobleme im Alter

Altwerden ist kein plötzliches Geschehen, sondern ein natürlicher Prozess, der sich kontinuierlich entwickelt. Wenn keine heftigen Ereignisse auftreten, durch die der Alterungsprozess radikal beeinflusst wird, vollzieht er sich gleichzeitig mit dem Erwerb kompensatorischer Möglichkeiten mit relativem Ausgleich der Beeinträchtigungen. Die Altersforschung hat hierfür den Begriff der „Morbiditätskompression“ geprägt (Sachverständigenkommission 2010).

Altersbedingte Pathologien sind keine Krankheiten im eigentlichen Sinne. Vielmehr sind es körperliche Störungen oder kognitive Prozesse, die insgesamt zu einer Verlangsamung führen. Die Behandlung hat deshalb nicht unbedingt Heilung, sondern oft nur Kompensation oder Linderung der Symptome mit Verbesserung der Lebenssituation zum Ziel.

Dennoch werden sich in der Gesellschaft des langen Lebens nicht nur die positiven Möglichkeiten des Alters zeigen, sondern auch die Grenzen und die möglichen Auswirkungen wie Multimorbidität, Behinderung und Pflegebedarf. Bei geriatrischen Patienten und Patientinnen besteht grundsätzlich ein höheres Risiko für Komplikationen, Folgekrankheiten und die Chronifizierung von Erkrankungen mit Verlust an Selbstständigkeit und Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung.

Gleichzeitig mit den positiven Errungenschaften wird somit sehr wahrscheinlich auch die Anzahl der chronisch kranken und pflegebedürftigen Menschen steigen. Diese werden dann trotz multipler Pathologien deutlich länger leben, als das noch in der vorherigen Generation der Fall war. Deshalb wird auch der Bedarf an ambulanter und stationärer Versorgung zunehmen, und die professionellen Akteure durch veränderte körperliche und geistige Krankheitsaufkommen und deren Verläufe fordern (ebenda).

Gesundheit im Alter

Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Definition von Gesundheit, wonach Gesundheit einen Zustand völligen körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens darstellt, werden nur wenige Menschen erreichen. Handelt es sich hierbei doch um eine idealistische Zielvorstellung.

Grundsätzlich ist Gesundheit nichts Statisches, sondern im besten Fall Schwankungen ausgesetzt, die das Wohlbefinden unterschiedlich erlebbar machen. Deshalb soll als „Gesundheit“ die Fähigkeit gesehen werden, mit den Belastungen und Beeinträchtigungen des täglichen Lebens flexibel und möglichst konstruktiv umzugehen (Huhn 2000).

Die Pflegepädagogin und Logotherapeutin Liliane Juchli spricht in ihrem Pflegewerk von Gesundheit als der Fähigkeit, ein gelingendes Leben führen zu können. Das darf verstanden werden als die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes und selbstwirksames, den eigenen Bedarfen und Bedürfnissen und den persönlichen Fähigkeiten entsprechendes Leben zu gestalten, das im gesellschaftlichen Kontext zu einem positiven Lebensgefühl führt.

Juchli formuliert hier ebenfalls ein Ideal, schließt jedoch Krankheit und die Unbilden des Alters mit ein und setzt auf die Selbstsorgefähigkeit und Einbindung von Ressourcen (Juchli 1995). Gesundheitsförderung durch Pflegepersonen würde also bedeuten, die Person in genau diesem Bestreben zu unterstützen.

In der professionellen Pflege begegnen wir Personen, die aufgrund körperlicher oder kognitiver Einbußen ein hohes Selbstpflegedefizit aufweisen und auf Assistenz angewiesen sind. Gesundheitsförderung soll deshalb zunächst Gesundheitserhalt sein. Die pflegerische Versorgung zielt darauf ab, in der Kommunikation mit der Person den jeweiligen Bedarf zu erkennen, Defizite auszugleichen, weiteren Problemen entgegenzuwirken und dabei die Selbstbestimmung zu achten. Pflegepersonen begegnen der Person mit Respekt vor deren Lebensleistung und bieten ein Unterstützungsangebot, das so flexibel genug angeboten wird, um die personalen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Damit gestaltet sich die Pflegebeziehung als eine Beziehung zur Gesundheitsförderung.

Gesundheitsförderung und Prävention bei Pflegebedürftigen

Pflegebedürftige sind aufgrund von Beeinträchtigungen und Erkrankungen auf Assistenz im Alltag, bei der Gestaltung von Lebensbereichen und bei der sozialen Teilhabe angewiesen. Dennoch verfügen sie häufig über Gesundheitspotenziale, die gefördert und gestärkt werden können.

Voraussetzung für die Umsetzung einer Prävention und Gesundheitsförderung in stationären Pflegeeinrichtungen ist jedoch, dass die Lebensbedingungen entsprechend nachhaltig gestaltet werden. Prävention in der stationären Pflege muss deshalb konsequent dem Ansatz der Gesundheitsförderung in Lebenswelten (Settings) folgen und durch interne und externe professionelle Akteure gestaltet werden. Angehörige sollen wenn möglich einbezogen werden (GKV 2018).

Handlungsfelder der Gesundheitsförderung

  • verbessern der Ernährungssituation der Pflegebedürftigen
  • erhalten und erweitern der körperlichen Aktivität der Pflegebedürftigen
  • erhalten und fördern der kognitiven Leistungs­fähigkeit der Pflegebedürftigen
  • stärken der psychosozialen Gesundheit durch Stärkung der Resilienz
  • fördern des störungsfreien und erholsamen Schlafs gestalten eines gesundheitsfördernden Umfeldes (GKV 2018; erweitert Huhn 2019)

Ernährung

Bei pflegebedürftigen alten Menschen tragen krankheitsbedingte Faktoren, die entweder die Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnahme erschweren oder den Energie- und Nahrungsbedarf erhöhen, dazu bei, dass ein höheres Risiko für eine Mangelernährung besteht. In Pflegeeinrichtungen sind bis zu zwei Drittel der Bewohner betroffen. Jedoch auch bei geringerem Pflegebedarf kann es zu Ernährungsmängeln kommen, weil es altersbedingt zu einer schnelleren Sättigung kommt, und dadurch zu wenig Nahrung aufgenommen wird. Deshalb soll alten Menschen die Nahrungsmenge der üblichen drei Hauptmahlzeiten auf fünf bis sechs Mahlzeiten verteilt oder häufiger eine Zwischenmahlzeit angeboten werden. Mangelernährung kann dazu führen, dass sich Krankheiten leichter entwickeln oder verschlimmern und Gebrechlichkeit zunimmt.

Körperliche Aktivität

Erhalt und Förderung der Bewegungsfähigkeit bei pflegebedürftigen alten Menschen ist hochrelevant für den Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit, für die Durchführbarkeit der Aktivitäten des täglichen Lebens und für die Stärkung kognitiver Ressourcen. Bewegungsförderung unterstützt die Prävention zusätzlicher Erkrankungen. Bei fast allen der klassischen pflegerischen Prophylaxen (Dekubitus, Pneumonie, Thrombose, Sturz usw.) kommt der Bewegungsfähigkeit eine besondere Rolle zu. Gleichgewichts- und Kraftübungen können einen positiven Effekt auf die Bewegungssicherheit haben und das Sturzrisiko deutlich senken. Deshalb muss diesem Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung mehr Aufmerksamkeit zukommen und Pflegeeinrichtungen sollen perspektivisch Konzepte zur Mobilitätsförderung erarbeiten.

Kognitive Leistungsfähigkeit

Im Alter kommt es nicht zwingend zu Einbußen kognitiver Fähigkeiten. Denkvorgänge laufen lediglich langsamer ab, was oft zu einer Fehlinterpretation der tatsächlichen Leistung führt. Dennoch besteht für Bewohner in Pflegeeinrichtungen ein generelles Risiko kognitiver Einbußen durch mangelhafte Anregung und durch Reizarmut oder Reizüberflutung. Zusätzlich hat ein hoher Anteil an Bewohnern demenzbedingte Einschränkungen. Für beide Bewohnergruppen ist die Stärkung der kognitiven Ressourcen ein relevantes Thema der Prävention und Gesundheitsförderung.

Sowohl kognitive als auch körperliche Aktivitäten können die Denkleistungen verbessern. Entsprechende Stimulationen und Trainings erfordern eine individuelle Planung unter Berücksichtigung der jeweiligen Leistungsfähigkeit, die sich auch in der Konzentration auf Übungen zeigt. Übungsangebote mit komplexeren mentalen Leistungsanforderungen können einen besseren Schutz vor dem Verlust kognitiver Leistungsfähigkeiten bieten als reines Gedächtnistraining. Auch Erzählrunden mit Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart sollten unter dem Aspekt von mentalem Training angeboten werden. Von gezielten Angeboten profitieren sowohl Personen ohne oder mit geringen Einschränkungen als auch dementiell erkrankte Personen.

Psychosoziale Gesundheit

Der Erhalt, die Stärkung oder Wiederherstellung von psychosozialer Gesundheit gilt als besondere Herausforderung in der Langzeitpflege und bei Bewohnern von Pflegeeinrichtungen. Depressionen gelten als die relevanteste psychische Erkrankung. Leider werden Depressionen zu selten als behandlungswürdig erkannt und fachärztlich behandelt. Auch neurogenerative Erkrankungen (z. B. M. Alzheimer, M. Parkinson) gehen häufig mit depressiven Episoden einher, ohne als solche wahrgenommen zu werden. Interventionen wie Erinnerungs- und Erzählrunden, Freizeitaktivitäten in Gruppen und soziale Teilhabe können zu einer Verbesserung der Lebensqualität und Lebenszufriedenheit beitragen oder zumindest einer Verschlechterung entgegenwirken und Widerstandsfähigkeit und Selbstwirksamkeit (Resilienz) entwickeln helfen.

Schlafförderung

Der Schlaf dient der Regeneration aller körperlichen und mentalen Vorgängen. Ohne diese Erholung durch Schlaf verstärken sich körperliche Beschwerden wie Schmerzen oder psychische Störungen wie Depression und Hoffnungslosigkeit. Bei Bewohnern mit dementieller Erkrankung verstärken sich Symptome wie Unruhe und Angst. Deshalb soll die Schlafförderung prioritär in den Pflegeprozess eingebunden werden. Die Schlafzeit soll nur in begründeten Ausnahmen durch Pflegehandlungen unterbrochen werden. Umwelteinflüsse mit Wirkung auf den Schlaf, wie Lärm, Licht, Raumtemperatur oder auch Bettwäsche müssen bedacht und entsprechend eingesetzt bzw. reguliert werden.

Gesundheitsförderndes Umfeld

Gesundheit entwickelt sich durch eine Balance aus Freizeit und Arbeit oder Erholung und Anforderung. Pflegeeinrichtungen sind oft durch Phasen von absoluter Reizarmut und Reizanflutung gekennzeichnet. Für Bewohner, die ihre Erlebenssituation nicht selbst beeinflussen oder verändern können, also in Abhängigkeit von Assistenz stehen, können beide Phasen sehr belastend sein. In der einen Phase ist der Bewohner ohne Aktivität ausgeliefert, in der anderen Phase durch ein Überangebot überlastet.

Als besonders belastend gilt die Dauerbeschallung durch Radio oder Fernseher. Nur selten haben die Bewohner die jeweiligen Programme selbst ausgewählt oder können dem Geschehen aus dem Radio oder auf dem Bildschirm wirklich folgen. Das führt zu einer Dauerirritation bis hin zur Deprivation mit Krankheitswert.

Angebote von Musik oder Film sollen wohldosiert und in Absprache mit den Bewohnern getroffen werden. Ein gesundheitsförderndes Umfeld ist gekennzeichnet durch geringe Lärmbelastung, ohne Dauerbeschallung, durch frische Raumluft ohne Geruchsbelästigung mit ausreichend Sauerstoff und Lichtverhältnissen, die dem Tageslicht nahekommen.

Fazit

Gesundheit ist ein wichtiger Baustein zum Erhalt von Lebensqualität und Wohlbefinden. Die demografische Entwicklung erfordert eine Gesundheitsförderung, die der Zielgruppe alter Menschen gerecht wird. Weil sich Gesundheitsförderung bei pflegebedürftigen alten Menschen anders darstellt als bei unabhängig lebenden alten Menschen, wird sie zu einer besonderen Aufgabe für professionelle Akteure im Gesundheitswesen und soll zukünftig fester Bestandteil in den Pflegeberufen sein.

Literatur

Becker, S. & Brandenburg H. (2014). Lehrbuch Gerontologie. Bern: Huber. Generali Deutschland (2017). Generali Altersstudie. Köln.

Huhn, S. (2000). Professionelle Gesunderhaltung. In K. Kämmer (Hrsg.), Pflegemanagement in Alteneinrichtungen. Hannover: Schlütersche.

Huhn, S. (2019). Stationäre Langzeitpflege: Die Fachlichkeit steht im Fokus. NOVAcura, 50(8) 9 –12.

Juchli, L. (1995). Ganzheitliche Pflege. Basel: Recom.

Pantel, J., Schröder, J., Bollheimer, C, et al. (2014). Praxishandbuch Altersmedizin. Stuttgart: Kohlhammer.

Statistisches Bundesamt (2010). Statistisches Jahrbuch Deutschland 2010. Wiesbaden.

Voges, W. (2008). Soziologie des höheren Lebensalters. Augsburg: Maro Verlag.

Dieser Artikel stammt aus unserer Pflege-Fachzeitschrift NOVAcura.

Siegried Huhn

Siegried Huhn ist Krankenpfleger, Gesundheitswissenschaftler und Sozialwirt.

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