Vielleicht können Sie uns beide jeweils Ihre Lieblingsstrategien gegen Angst nennen?
Ulrike Légé:
Auf der rein körperlichen Ebene hilft mir die tiefe Bauchatmung, denn diese aktiviert sofort den Vagus Nerv. Der sendet als längster Hirnnerv unseres parasympathischen Nervensystems eine Entwarnung an den gesamten Körper. Er meldet aus dem Bauch ans Gehirn „Gefahr vorbei, wir sind in Sicherheit!“. Neurobiologisch gesehen können wir so bewusster umschalten von dem entwicklungsgeschichtlich ältesten Teilen unseres Gehirns, der Amygdala, die einen Angst-Alarm ausgelöst hat, zu unserem höher entwickelten Cortex, der beim durchdachten Bewältigen einer Situation hilft. Beim Atmen denke ich oft an den englischen Spruch „stop your lizard brain, start your wizard brain!“
Um nicht in einem sorgenvollen Grübeln stecken zu bleiben, kombiniere ich die Bauchatmung gern mit einer klassischen Wahrnehmungs-Übung gegen Panikattacken: Was sind fünf Dinge, die ich jetzt sehen kann? Vier, die ich hören kann? Drei, die ich riechen und zwei, die ich ertasten kann? So muss sich mein Gehirn achtsam auf neutrale Sinneswahrnehmungen konzentrieren und ich komme wieder ins Hier und Jetzt.
Mental hilft mir, was ich als Kind beim Reitunterricht immer gehört habe: „Gleich zurück in den Sattel!“ Wenn ich etwas Schlimmes erlebt habe, wie im vollen Galopp vom Pferd zu fallen, dann hilft es mir, mich der angsteinflößenden Situation sehr zeitnah, in kleinen Schritten wieder zu stellen, beispielsweise direkt danach wenigstens wieder Schritt zu reiten. So kann ich Angsteindrücke, die meine Amygdala sonst speichern würde, gleich wieder überschreiben.
Auch im Alltag hilft mir dieses Prinzip, rasch Gegeneindrücke zu schaffen statt angstbesetzten Situationen auszuweichen. So schiebe ich beispielsweise unangenehme Konfrontationen nicht vor mir her oder nehme schwierige Themen rasch wieder auf.
Eine weitere Strategie ist, mir für Situationen, vor denen ich mich fürchte, rechtzeitig vertrauensvolle Begleitung zu suchen. Da wir soziale Wesen sind, aktiviert Angst ja auch bei Erwachsenen unser Bindungssystem und wir suchen nach Nähe. Ich finde es hilfreich, dies zuzulassen und mir zu sagen, dass ich mich nicht allem ganz allein stellen muss.
Fabian Grolimund:
Ich mag Expositions- bzw. Konfrontationsstrategien, bei denen man zum Beispiel eine angstbesetzte Situation oder Sorge mehrmals gedanklich durchzuspielen, bis man sich daran gewöhnt hat.
Noch lieber arbeite ich mit der kognitiven Umstrukturierung. Dabei schreibt man sich seine Sorgen auf, nimmt sie dann ganz genau unter die Lupe und fragt sich: Hilft es mir, so zu denken? Stimmt das überhaupt? Und was wäre denn das Schlimmste, das mir passieren könnte?
Als ich mir gleich nach dem Studium teilweise selbständig gemacht habe, fanden das viele Menschen um mich herum eine ausgesprochen bescheuerte Idee. Die anfänglichen Misserfolge und die kritischen Fragen gingen mir unter die Haut und bald dachte ich selbst: „Bin ich einfach zu jung dafür? Habe ich überhaupt die nötige Erfahrung? Was ist, wenn ich es nicht schaffe?“ und vieles mehr.
Ich habe mir diese Gedanken dann ganz genau angeschaut und neue, wahre, aber konstruktive Gedanken formuliert. Zum Beispiel: „Es ist nicht gesagt, dass du es schaffen wirst. Aber momentan lernst du jeden Tag so viel dazu – das kann dir niemand nehmen, ob es am Ende klappt oder nicht – und falls es nicht funktioniert, kannst du dir jederzeit eine Stelle suchen.“ Oder „Ja, du bist jung und du hast wenig Erfahrung. Das Gute daran ist: Du hast noch keine Familie, die du ernähren musst. Dir reicht ein kleines Studio und du darfst experimentieren. Erfahrung gewinnst du genau dadurch, dass du jetzt dranbleibst.“
Das Angstmonster:
Hey, Ulrike und Fabian – so klappt das doch prima mit uns!Ihr wisst, was Ihr tun könnt, damit ich klein und freundlich bleibe; ich weiß, Ihr hört auf mich, wenn’s nötig ist. Es war echt schön für mich, dass Ihr Euch mal so richtig intensiv mit mir befasst habt …
Liebe Frau Légé, lieber Herr Grolimund, liebes Angstmonster - herzlichen Dank für das Gespräch!
Alle Illustrationen im Artikel stammen aus dem Buch "Huch, die Angst ist da" und sind von René Amthor.