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Integration ausländischer Mitarbeiter in die Pflege

Der Pflegenotstand ist in aller Munde, regelmäßig werden Zahlen veröffentlicht, die ein erschreckendes Ausmaß von fehlenden Fachkräften in allen Bereichen der Pflege zeigen – und die Tendenz ist steigend. Es ist also unumgänglich, Wege aus dieser Misere zu finden. Einer davon ist es, ausländische Pflegepersonen zu integrieren. Prof. Dr. Michael Bossle und Prof. Dr. Horst Kunhardt haben dazu ein Fachbuch herausgegeben: „Integration ausländischer Mitarbeiter in die Pflege“. Christoph Müller, Pflegefachperson, Autor, Dozent und Gastgeber in „Christophs Pflege-Café“ hat mit den beiden über Chancen und Hürden gesprochen.

Integration ausländischer Mitarbeiter in die Pflege Kreis von Händen Zusammenarbeit

In Ihrem neuen Buch setzen Sie sich mit der Integration ausländischer Arbeitnehmer in der Pflege auseinander. Was macht die Aktualität dieses Themas aus?

Die Versorgungsnotstände aufgrund fehlenden Pflegepersonals sind ein signifikantes europaweites Problem. Und die politischen Reflexe, die Anwerbung und Eingliederung ausländischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterstützen, ebenso. Dass das allerdings ein erheblich komplexer Vorgang ist im Bereich der juridischen Anerkennung, im Bereich der Zusammenarbeit in Teams, im Bereich der sprachlichen Differenz und im Bereich der unterschiedlichen Pflegeverständnisse, das möchten wir mit diesem Buch unterstreichen. Wir raten in dem Handbuch also nicht davon ab, zeigen aber hoffentlich, welche Anstrengungen unternommen werden sollten, um bestenfalls gelingende Integrationsprozesse zu gewährleisten.

In der Praxis zeigt sich, dass die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse eine große Hürde ist. Was macht dies so schwierig?

Zuerst ist es bei uns in Deutschland ein regionalisierter Vorgang, der in den Regierungspräsidien vorgenommen wird. Das heißt, viele verschiedene Regierungspräsidien, potenziell unterschiedliche Einschätzungen. Ausbildungen aus EU- Ländern werden problemlos anerkannt. Schwieriger wird es bei den Anerkennungsprozessen aus sogenannten Drittstaaten (und diese kommen sehr häufig vor).

Die Einschätzungen werden aufgrund der aktuellen Gesetzgebung im Beruf vorgenommen: wie viele Stunden wurden in Theorie und wie viele in der Praxis in der Ausbildung abgeleistet. Dazu kommen in Anerkennungsverfahren häufig eine Reihe von Zusatzausbildungen, die eingerechnet werden oder eben nicht. Manchmal passieren auch Fehler, wenn beispielsweise Nicht- Pflegeausbildungen als solche gewertet werden und lediglich Anpassungszeiten empfohlen werden. Außerdem müssen die Kandidatinnen und Kandidaten in der Regel in der Praxis geprüft werden. Das ist ein hochgradig aufwendiger und bürokratischer Prozess. Eine pflegeprofessionelle Einschätzung (wie üblicherweise in Kammern) täte dem Prozess deswegen sicher gut.

Ein Beitrag des Buchs beschäftigt sich mit sprachsensibler Kompetenzentwicklung. Ich will den Begriff der Sprachsensibilität nochmals in den Fokus rücken. Wie wichtig ist für den Alltag Sprachsensibilität gegenüber migrationserfahrenen Menschen?

Sprache ist der Dreh- und Angelpunkt in der Zusammenarbeit, sowohl mit pflegebedürftigen Menschen als auch mit den Kolleginnen und Kollegen. Spracherwerb ist zudem im Erwachsenenalter weitaus anspruchsvoller als beispielsweise im Kindesalter. Insofern braucht es hier in der Regel immer Unterstützung. Es geht ja auch nicht nur um die rhetorischen Fähigkeiten, sondern auch um die Lese- und Schreibkompetenz. Verständnis ist dafür also dringend geboten. Das heißt insbesondere in der Fachsprache. Also nicht nur am Lernort einer Sprachklasse, sondern auch im praktischen Segment. Hier müssen dringend sensibilisierte und besonders ausgebildete Persönlichkeiten tätig sein. Hier sieht man häufig, wie blauäugig Träger sind, wenn es um internationale Pflegepersonen geht: meistens gibt es noch die Unterstützung im Alltag (Behördengänge, Willkommenslotse etc. pp.), aber in der fachlichen Sprachunterstützung hört es dann häufig auf. Damit meine ich jetzt nicht den Deutschkurs abends nach der Schicht, sondern die fachlich sprachsensible Unterstützung und Begleitung der ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Laufende Unterstützung, Geduld, Übungsmaterial, Übungszeit, theoretische Hintergründe zum Spracherwerb sind hier notwendig, um gute Sprachkompetenz zu erreichen. Hier brechen häufig die Erwartungen. Sowohl die hiesigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind damit überfordert als auch die internationalen Pflegepersonen, von den pflegebedürftigen Menschen und ihren Angehörigen ganz zu schweigen. Denn eines ist klar, das Zertifikat B2 und auch der Deutschkurs im Heimatland sind in der Regel häufig nicht ausreichend, um in der Fachsprache des Destinationslandes und der hektischen Praxis Stand zu halten.

Hintergrund des Buchs „Integration ausländischer Arbeitnehmer in die Pflege“ ist ein Projekt im bayrisch-tschechischen Grenzgebiet. Was ist das entscheidende Ergebnis dies Projektes?

Horst Kunhardt:
Das Projekt im Rahmen des „Kompetenzzentrums für die Aus- und Weiterbildung von im Ausland ausgebildeten Pflegekräften“ setzte an der Schnittstelle zu den Anerkennungsverfahren an den jeweiligen Regierungen an. Ziel war, es im ersten Antragsverfahren abgewiesene Bewerberinnen für die Anerkennung eines im Ausland erworbenen Abschlusses in der Pflege durch eine individuell abgestimmte Betreuung in den Bereichen Sprachkompetenz und Pflegefachwissen auf eine erneute Prüfung vorzubereiten. Zum Teil sind die mitgebrachten Kompetenzen für eine Anerkennung aufgrund individueller Unterschiede, oder ungünstiger Rahmenbedingungen sehr groß und können am besten durch eine individuelle Einstufung und Betreuung ausgeglichen werden. Dieser betreuungsintensive Prozess funktioniert nachweislich, es sind aber große Anstrengungen von Seiten der Bewerber*innen und der Einrichtungen erforderlich.
 

Michael Bossle:
Die bereits oben angesprochenen Herausforderungen, die nur einen Ausschnitt der Komplexität beschreiben, haben sich voll und ganz bestätigt. Zudem wurde deutlich, dass Anerkennungs- und Integrationsprozesse in hohem Maße individuelle und individualisierte Prozesse sind. Für den Bereich der Curriculum-Entwicklung in den Begleitkursen bedeutete dies, dass erhebliche Diversitätsanstrengungen notwendig waren, um die thematischen Verhandlungen in der Gruppe möglich zu machen. Praxismodule (Skills-Lab- Arbeit) waren bei den Unterstützungskursen besonders wichtig für die Teilnehmerinnen.

Wir haben darüber hinaus eine individuelle Lernberatung sicher gestellt mit individuellen Feedback- und Fördergesprächen sowie konkreten Zielvereinbarungen . Dazu wurden Assessments für die Lernbegleitung entwickelt. Individuelle Stärken- und Potentialeinschätzungen sind leider bislang im Bereich von Begleitkursen noch kaum anzutreffen.
Die Situation der im Anerkennungsverfahren befindlichen Personen ist häufig prekär, gemessen an Unterstützung der Arbeitgeber, gemessen an der sozioökonomischen Situation und der Mobilität. Die Teilnehmer*innen waren sehr häufig wenig bis gar nicht über rechtliche Zusammenhänge und Strukturen der deutschen Pflege informiert. Sprachlich gab es oft erhebliche Defizite, die die pädagogische Arbeit in den Begleitkursen erschwerten. Gleichzeitig wurden aber gerade im Bereich der Entwicklung der Sprachkompetenz durch die regelmäßige und kompetente Unterstützung der Lernbegleitungen erhebliche Fortschritte erzielt.
In der Evaluation konnten nur noch wenige ehemalige Teilnehmende der Begleitkurse erreicht werden, was dafür sprechen könnte, dass sie entweder nicht mehr beim letzten Arbeitgeber tätig waren bzw. in andere Bereiche und Branchen oder in ihr Heimatland abgewandert sind.

Wenn persönliche, sprachliche und nationale Grenzen überschritten werden, muss man sich auch mit dem Begriff der Transkulturalität beschäftigen. Welche Horizonterweiterung haben Sie erfahren im Zusammenhang mit transkultureller Pflege?

Michael Bossle:
Insgesamt hatten wir es in allen Begleitkursformaten mit mehr als 40 Teilnehmenden aus 14 Nationen zu tun gehabt. Eine Spezialisierung auf einen bestimmten Kulturkreis war damit zu keinem Zeitpunkt möglich und auch nicht erwünscht. Insgesamt waren die Bildungsprozesse zu keinem Zeitpunkt Einbahnstraßen, so dass die Kursbegleitungen und die Teilnehmenden untereinander und voneinander – und das laufend – gelernt haben. Ein wichtiger Baustein für das Projekt war außerdem der Zertifikatskurs „Kulturbegleitung in Gesundheitseinrichtungen“, der weiterhin an der Hochschule läuft. Hier werden die Teilnehmenden für ein Bewusstsein zur kulturellen Vielfalt geschult und sensibilisiert. Insbesondere Lehrende, Praxisanleitungen oder auch Persönlichkeiten aus dem Management waren involviert und haben an konkreten kulturellen Projekten in ihren Einrichtungen gearbeitet. Viele dieser Ergebnisse haben wir auch im Buch festgehalten.
 

Horst Kunhardt:
Die individuellen Lebensbiografien sind schon an sich eine Herausforderung, um ein Leben und die Arbeit in einem anderen Land, einem anderen Kulturkreis mit anderer Sprache und Rahmenbedingungen zu meistern. Dies erfordert eine aktive Mitarbeit und Verständnis von beiden Seiten. Von Seiten der Bewerberinnen aus dem Ausland, aber umso mehr auch von Seiten des Gastlandes und deren Einrichtungen und Behörden. Ein Schlüssel liegt in der Beherrschung der Sprache und im Bewusstsein um die vor allem im Pflegeprozess notwendige Fähigkeit zur Kommunikation. Die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen einer gelingenden Pflege werden immer mehr in Richtung Integration über Kulturen hinweg ausgerichtet sein. Schon jetzt geht die erste Generation der Gastarbeiter aus den 1960er-Jahren in Rente und wird besondere Anforderungen an die Pflege stellen. Verschiedene Kulturen haben einen unterschiedlichen Zugang und Verständnis der Pflege. Durch viele Jahre des Miteinanders haben sich die kulturellen Vorstellungen aber angepasst und auch untereinander vernetzt. Diese Herausforderungen gilt es im Verständnis einer transkulturellen Gesundheits- und Pflegeversorgung zu verstehen, zu thematisieren und auch in der Ausbildung und Weiterbildung von Pflegekräften zu berücksichtigen. 

Halten Sie die Integration ausländischer Arbeitnehmer in die Pflege für einen Schlüsselmoment, um die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in der Bundesrepublik weiterhin zu sichern?

Michael Bossle:
Die Arbeit mit Mitarbeitenden aus anderen Kulturkreisen und Nationen wird weiterhin ein bedeutender Baustein in der Pflegearbeit sein. Die zunehmenden Migrationsbewegungen und die zunehmende Mobilität unserer Welt werden einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.

Allein auf die Anwerbung ausländischer Mitarbeitender zur Behebung der Versorgungsnotstände zu setzen, ist ein Holzweg. Pflegeeinrichtungen täten vielmehr gut daran an ihren Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Die Verweildauer im Beruf ist weiterhin eklatant gering. Arbeitsorganisation läuft häufig noch wie vor 30 Jahren. Die Digitalisierung ist weiterhin beinahe eine Leerstelle in vielen Organisationen. Personalentwicklung muss strategisch schon während der Ausbildung beginnen. An vielen Baustellen der Einrichtungswelt werden lediglich Schräubchen verstellt, statt die Arbeitsorganisation und Personalentwicklung neu zu denken. Das Heilsversprechen allein in ausländischen Pflegekräften zu suchen wäre deswegen reichlich naiv und wird das Problem des Pflegefachpersonalmangels noch mehr verschärfen.

Horst Kunhardt:
Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ausländische Pflegekräfte können dazu einen Beitrag leisten. Dies wird aber in Zukunft sicher nicht ausreichen, um die Versorgung pflege- und hilfebedürftiger Menschen zu sichern. Es bedarf vielmehr einer Aktivierung vieler Ressourcen, um die soziale Daseinsvorsorge, die auch gesetzlich bei uns verankert ist, zu unterstützen. Nach dem Prinzip der Subsidiarität zählen dazu an erster Stelle der jeweilige Mensch und seine Angehörigen, dann die kommunale Familie, Ehrenamtliche und professionelle Kräfte. Es wäre auch ethisch nicht zu vertreten, wenn ausländische Pflegekräfte in ihrem Heimatland ihre pflegebedürftigen Angehörigen zurücklassen müssen, um im Ausland zu arbeiten. In einem gemeinsamen Europa bedarf es auch grenzüberschreitender Projekte in der Pflege. Auf dem Gebiet der medizinischen Versorgung gibt die EU-Patientendirektive zur grenzüberschreitenden Versorgung. Auf dem Gebiet der Pflege sind ebenfalls grenzüberschreitende Anstrengungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit erforderlich.

 


Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Michael Bossle

Prof. Dr. Michael Bossle ist Krankenpfleger, Berufspädagoge und promovierter Pflegewissenschaftler (Dr. rer. cur.). Viele seiner Berufsjahre verbrachte er als Pflegeperson in der stationären Notfallversorgung psychisch erkrankter Menschen sowie in der Grundausbildung Pflege an einer Krankenpflegeschule als Lehrer und Pflegewissenschaftler. Im Jahr 2012 erfolgte der Ruf auf die Professur Pflegepädagogik an die Technische Hochschule Deggendorf. Dort war er u. a. als Gründungsdekan der Fakultät Angewandte Gesundheitswissenschaften tätig und pädagogisch verantwortlich involviert in das Projekt Kompetenzzentrum Bad Kötzting. Michael Bossle ist Mit-Herausgeber der pflegepädagogischen Zeitschrift PADUA.
Foto: Melanie Flemme

Prof. Dr. Horst Kunhardt

Prof. Dr. biol. hum. Horst Kunhardt ist Informatiker und Humanbiologe und seit 2004 Professor an der Technischen Hochschule Deggendorf (THD) für die Lehrgebiete Betriebliche Anwendungssysteme und Gesundheitsmanagement. Seit 2015 ist Prof. Kunhardt Vizepräsident für Gesundheitswissenschaften an der TH Deggendorf und leitet den European Campus Rottal-Inn für englischsprachige Studiengänge am Standort Pfarrkirchen. 2017 wurde Prof. Dr. Kunhardt in die Europäische Akademie für Wissenschaft und Kunst mit Sitz in Salzburg aufgenommen. Im Bereich der Forschung ist Prof. Kunhardt Projektleiter für das Kompetenzzentrum für die Aus- und Weiterbildung von ausländische Pflegekräften und Gesundheitsberufen in Bad Kötzting im Grenzraum Bayern-Tschechien und ist zusammen mit weiteren Projektpartnern für die wissenschaftliche Evaluation eines grenzüberschreitenden Rettungszentrums in der Grenzregion Bayern-Tschechien zuständig.