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Kommunikation bei Autismus verbessern

Autismus ist kein einzelnes Störungsbild, sondern ein Spektrum an Störungen mit unterschiedlichen Symptomen, Ausprägungen und Schweregraden. Dieser Artikel soll vor allem die Herausforderungen der Kommunikation zwischen den Betroffenen und ihrem sozialen Umfeld beleuchten. Welche Herausforderungen bestehen und wie kann die Kommunikation verbessert werden?

Autismus ist Segen UND Fluch.
Ich bemerke wunderschöne Dinge,
wie den Krabbelkäfer im Gras,
aber nicht,
dass die Wiese,
auf der das Gras wächst,
ein Fußballfeld ist.

(Andreas M., ca. 2003)

Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) nehmen die Welt auf eine besondere Art und Weise wahr. Es gelingt ihnen gut, sich auf Einzelheiten zu konzentrieren, aber die Symbolik oder „das große Ganze“ bleibt ihnen häufig verborgen. Diese besondere Art der Wahrnehmung spiegelt sich auch in der Kommunikation wider.

Was sind Autismus-Spektrum-Störungen?

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) sind tiefgreifende Entwicklungsstörungen, die bereits in der frühen Kindheit beginnen und bis ins Erwachsenenalter hin fortbestehen. Die Bezeichnung „Spektrum“ wurde gezielt gewählt, um der Bandbreite an Erscheinungsformen und der Vielfältigkeit der individuellen Ausprägungen gerecht zu werden.

Es gibt drei Kernbereiche, in denen sich die Symptome der ASS äußern:

  • Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion
  • Schwierigkeiten in der Kommunikation
  • Sich wiederholende Verhaltensmuster und eingeschränkte Interessen

Die einzelnen Symptome und deren Schweregrad können sehr unterschiedlich sein. Bei rund 50 % der Betroffenen liegt zudem eine geistige Behinderung vor.

Wie äußern sich die Symptome von ASS im Einzelnen?

Vielen Menschen mit ASS fällt es schwer, Beziehungen oder Freundschaften zu Gleichaltrigen aufzubauen. Das kann daran liegen, dass sie sich nicht leicht darin tun, eine wechselseitige Interaktion zu gestalten und innere Zustände auszudrücken. Manche Personen mit ASS wirken auf Außenstehende auf sich selbst bezogen und wenig interessiert an der Befindlichkeit oder den Interessen des Gegenübers. Das Sozialverhalten erscheint manchmal merkwürdig oder unangemessen. Auch soziale Signale wie Blickkontakt, Mimik und Gestik werden häufig nicht oder nur reduziert zur Gestaltung von Interaktionen eingesetzt (z.B. Lächeln und Nicken, um Interesse zu signalisieren).
Personen mit ASS haben häufig Probleme beim eher oberflächlichen „Smalltalk“, können aber zum Teil ausdauernd und detailliert über ein bestimmtes Interessensgebiet sprechen. Des Weiteren helfen Ihnen Strukturen und es können daher manchmal Schwierigkeiten auftreten, wenn es zu Veränderungen ihrer Routinen kommt.

Welche sprachlichen Besonderheiten treten bei ASS auf?

Die Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten sind bei Personen mit ASS sehr unterschiedlich ausgeprägt. Manche Personen mit einer schweren Beeinträchtigung bilden überhaupt keine Sprache aus oder sie verfügen lediglich über eine begrenzte Anzahl von kommunikationsbezogenen Wörtern oder Zeichen. Andere Personen mit ASS zeigen kaum Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch. Zu den sprachlichen Besonderheiten, die bei Personen mit ASS auftreten können, gehören:

  • Sofortiges oder zeitversetztes Wiederholen von Wörtern (Echolalie)
  • Gebrauch von Metaphern und Wortneuschöpfungen (Neologismen)
  • Verwechslung der Personalpronomen „ich“ und „du“ (pronominale Umkehr)
  • Veränderte lautliche Eigenschaften von Sprache (veränderte Prosodie)

Eine große Herausforderung für Personen mit ASS kann die Verarbeitung von Informationen in einem größeren Kontext darstellen. Während eine Person ohne ASS vielleicht primär das Fußballfeld wahrnimmt, achtet eine Person mit ASS vielleicht eher auf Einzelheiten, wie den Käfer im Gras. So kann es mitunter zu Missverständnissen kommen, wenn auf verschiedenen Ebenen kommuniziert wird.
Auch eine Redewendung wie „Ich habe keinen Bock“ wird von Personen mit ASS mitunter wörtlich genommen. Nicht von einer ASS Betroffene nehmen häufig gar nicht bewusst wahr, dass sie Redewendungen und Sprichwörter täglich benutzen. Für Menschen mit ASS kann dies jedoch zur Herausforderung werden. Warum spricht die Klassenkameradin jetzt plötzlich davon, dass sie keine männliche Ziege besitzt, wenn es doch um die nächste Unterrichtsstunde geht?
Kommunikation ist meist auch ein Zusammenspiel aus Sprache, Mimik und Gestik. Personen mit ASS haben zum Teil Schwierigkeiten, alle Dimensionen dessen, was und wie kommuniziert wird, spontan ganzheitlich wahrzunehmen. Zum Teil fokussieren sie sich auf einzelne Aspekte, wie beispielsweise auch nonverbale Kommunikationselemente, und verpassen dadurch die eigentliche Bedeutung des Gesagten.

Wie lässt sich die Kommunikation zwischen Menschen mit ASS und ihrem Umfeld verbessern?

Um die Kommunikation bei ASS wirksam zu fördern, sollten Kommunikationsprobleme zwischen den Betroffenen und ihrem Umfeld als Problem der unterschiedlichen Bedeutungswahrnehmung aufgefasst werden. Speziell bei Personen mit großen Beeinträchtigungen sollten folgende Fragen gestellt werden:
Was bekommt die Person von ihrer Umgebung mit? Was davon nimmt sie wahr und welche Bedeutung schreibt sie dieser zu? Ist ein Löffel lediglich ein Gegenstand, den man sich in den Mund führt oder – eine Ebene weitergedacht – ist er ein Instrument, das mit Essen in Verbindung gebracht wird?
Allzu oft ist die Ebene des Bedeutungsverstehens nicht passend gewählt, sodass Menschen mit ASS mit Kommunikationsmitteln konfrontiert werden, die sie nicht verstehen.
Um die Wahrnehmungsebene von Personen mit ASS aufzugreifen, sind Hilfsmittel mit einer konkreten, räumlichen Struktur hilfreich, z.B. dreidimensionale Gegenstände, Piktogramme, Fotos, Zeichnungen und geschriebene Texte. Dabei ist es notwendig, dass die unterstützte Kommunikation an das Niveau des Bedeutungsverstehens der entsprechenden Person angepasst wird.
Wichtig ist, eine für den Einzelnen maßgeschneiderte unterstützte Kommunikation zu finden, die die kommunikative Kompetenz dieser Person fördert. So wird auch die Selbstständigkeit der Person im Alltag verbessert.

ComFor-2 – Wegbereiter von Kommunikation

Mithilfe des ComFor-2 sollen Kommunikationsprobleme von Personen mit ASS angegangen werden. ComFor-2 ist ein psychologisches Testverfahren, das mit Erwachsenen und Kindern durchgeführt werden kann, deren verbalen Kommunikationsfähigkeiten beeinträchtigt oder nicht vorhanden sind.
Dabei stehen zwei Kernfragen im Vordergrund:

  • Welche Hilfsmittel sind für eine unterstütze Kommunikation am besten geeignet?
  • Ab welchem Niveau des Bedeutungsverstehens sollten diese Hilfsmittel eingesetzt werden?

Anhand von Sortieraufgaben wird das Kommunikationsproblem der Bedeutungswahrnehmung systematisch untersucht. Auf diese Weise kann ermittelt werden, wie gut die Wahrnehmung der Person auf den verschiedenen Ebenen ausgeprägt ist. Am Ergebnis erhält man ein individuelles Stärken-Schwächen-Profil, welches einen Ansatz für weitere Förderung der Kommunikationsfähigkeiten darstellt. So können Hilfsmittel gefunden werden, die den Fähigkeiten der individuellen Person entsprechen.

Literatur:

Cholemkery, H, Kitzerow, J., Soll, S, & und Freitag, C. M. (2017). Ratgeber Autismus-Spektrum-Störungen. Göttingen: Hogrefe.

Verpoorten, R., Noens, I., Maljaars, J., & van Berckelaer-Onnes, I. (2019). ComFor-2 – Wegbereiter von Kommunikation. Überarbeitete deutschsprachige Fassung. Bern: Hogrefe.


Zitat von Andreas M.: https://www.dresdner-autisten.info/autismus/

Helen Golombek

Helen Golombek ist Psychologin und Projektmanagerin im Bereich Psychodiagnostische Testverfahren beim Hogrefe Verlag in Bern.

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Das sagt der Dorsch zu:

Autismus-Spektrum-Störungen (= ASS) [engl. autism spectrum disorder; gr. αὐτός(autos) selbst]; umfassen eine Gruppe heterogener, meist angeb. Störungen mit frühem Beginn. Grundlegendes Funktionsmerkmal ist die Beeinträchtigung der sozialen Kommunikation, die jedoch im Ausprägungsgrad stark variieren kann. ...

 

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