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Naturbasierte Therapie

Naturbasierte Therapie (NBT) ist ein neuerer Therapieansatz zur Behandlung von Stressfolgeerkrankungen. Wir haben mit der Autorin Melitta Breznik über Einsatzmöglichkeiten und Methode der NBT gesprochen.

Wie ist die NBT entstanden und inwieweit unterscheidet sie sich von der Gartentherapie?

Es gibt verschiedene Formen von therapeutischen Ansätzen in der Natur, wobei in diesem Buch speziell der Erholungseffekt von Übungen in der Natur, welche mit positiven Kindheitserinnerungen verknüpft sind und durch multisensorische Reize vertieft und beschleunigt werden, untersucht wurde. Diese Form von Therapie in der Natur wurde von den beiden Autorinnen Dr. med. Melitta Breznik und Dr. phil. Anna Adevi als Naturbasierte Therapie (NBT) bezeichnet. Im vorgestellten Pilotprojekt wurden mit 26 Patient*innen mit Burnout zunächst anhand eines Fragebogens Interviews zur Erhebung der Naturanamnese mit dem Focus auf die Kindheit durchgeführt. Daraus wurden die Ziele für die NBT-Aktivitäten abgeleitet und individuelle Übungen in der Natur für jede*n Patientin kreiert. Die am Abschluss überreichte „Naturkiste “ und deren Besprechung sowie die nachträglich ausgefüllten Fragebögen, dienten als Erinnerungshilfe und Verstärker für die gemachten Erfahrungen und sollten dazu anregen, diese in eine alltägliche Praxis zu überführen.

Die reine Gartentherapie hingegen stammt ursprünglich aus dem englischsprachigen Raum. Es kann dabei um die Beschäftigung mit Pflanzen gehen, aber auch um das „Tun im Garten “. Der Garten und die Pflanzen ermöglichen eine Auseinandersetzung mit dem „Werden-Sein-Vergehen“ der Jahreszeiten und der gesamten Lebensspanne, es können jedoch auch andere Ziele in der Gartentherapie verfolgt werden, wie z.B. körperliches Training.

Für wen und bei welchen Beschwerden ist die NBT besonders geeignet?

Für das Pilotprojekt Naturbasierte Therapie wurden Patient*innen ausgewählt, die an einer psychophysischen Erschöpfung litten, begleitet von verschiedensten psychosomatischen Symptomenkomplexen. Typische Beschwerden der Erschöpfung zeigten sich in Form von Schlafstörungen und Beeinträchtigung des Tag-Nacht-Rhythmus, Störungen der Aufmerksamkeit, Gedankenkreisen, Verminderung der Konzentration. Begleitend traten oftmals Ängste, Nervosität, depressive Verstimmungen, Verlust des Selbstwerts auf. Zudem fanden sich oft vielfältige körperliche Begleitbeschwerden.

Bei der NBT wird mit Erinnerungen an positive Naturerlebnisse gearbeitet. Wie kann man diese wieder aktivieren?

Die Patient*innen werden mit Übungen in der Natur konfrontiert, die sie an die positiven Erlebnisse in der Natur ihrer Kindheit erinnern sollen. Schließlich wird durch das Tun im Rahmen der NBT- Übungen in der Natur der sensomotorische Cortex angeregt. Dabei werden die früheren positiven Erlebnisse auf mehrfache Weise durch Anregung der verschiedenen Sinneswahrnehmungen aufgerufen wie zum Beispiel durch die Wahrnehmung des Geruchs nach Rauch, der Wärme auf der Haut, dem Knistern der Glut, dem Gelb der Flammen und dem flackernden Licht eines Lagerfeuers. Sie werden wieder ins Bewusstsein gehoben und als innere Bilder neu verankert. Diese inneren Bilder können in Krisensituationen hilfreiche Instrumente sein, um sich selbst zu stärken, herausfordernde Situationen besser zu bewältigen und sich schneller zu entspannen.

Viele Menschen haben gerade in der Pandemie den wohltuenden Einfluss der Natur gespürt, das „Draußen“ war im wahrsten Sinne der Raum zum Durchatmen. Woher kommt dieser Effekt?

Der kleine unbeachtete Park nebenan bekam plötzlich eine neue Bedeutung, während des Lockdowns wurde er zum vergrößerten Wohnzimmer, zudem ist das Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge in der breiten Bevölkerung in den letzten beiden Jahren gewachsen. Die sich verbreitende Praxis des Waldbadens zum Beispiel, nimmt diese Themen in vielfältiger Weise auf. Zahlreiche wissenschaftliche Artikel sind er schienen, welche versuchen die Wirksamkeit eines Waldaufenthaltes zu untermauern. Als Resultate wurden positive Wirkungen nach waldbasierten therapeutischen Interventionen beschrieben, sie wirken sich etwa positiv auf den Blutdruck, das Stressempfinden und bei Depression und Angst.

Was ist die „Naturkiste“?

Nach Abschluss der jeweiligen NBT-Therapieeinheit wurde den teilnehmenden Patient*innen parallel zur Besprechung der verschiedenen für sie passenden Präventionsmöglichkeiten eine sogenannte „Naturkiste“ überreicht. Im Rahmen der Übungsvorbereitung, aber auch während der Aktivitäten selbst, hatten die Therapeutinnen diese Naturkiste mit kleinen themenzugehörigen Gegenständen gefüllt. Sie sollten als Symbole für die durchgeführten Übungen, die Emotionen im Zusammenhang mit den Kindheitserlebnissen, aber auch als Erinnerung an die zu fördernden individuellen Alltagsaktivitäten in der Natur dienen. So kann z. B. ein Stoffpinguin aus der Naturkiste, der im Kleiderschrank seinen neuen Platz gefunden hat, daran erinnern, den Badeanzug einzupacken, um in der Mittagspause kurz im See schwimmen zu gehen. Ein Tannenzapfen auf dem Schreibtisch erinnert mit seinem Duft an den Waldspaziergang, der in den täglichen Arbeitsweg eingebaut werden kann.

Wer kann die Naturbasierte Therapie anleiten, welche Ausbildung benötige ich dafür?

Generell kann jede*r ausgebildete Psychotherapeut*in, oder speziell geschultes Pflegepersonal, aber auch Coaches und andere Therapeut*innen, Therapien in der Natur anbieten. Bei der kindheitsorientierten NBT sollte die therapierende Person jedoch darauf vorbereitet sein, dass tiefe Verletzungen und Traumata aus der Kindheit getriggert werden können, daher ist für unerfahrene Anbieter*innen hier Vorsicht geboten. Es ist von besonderer Wichtigkeit negative Erlebnisse in der Kindheit gezielt während der Anamnese zu identifizieren und herauszufiltern, um die Patient*innen nicht ungewollt in diese zurückzuführen.

Um ein geschütztes und unverstelltes Erleben in der Natur zu gewährleisten, ist die eigene Involviertheit der Therapeut*innen bei den Aktivitäten wichtig. Das gemeinsame Tun mit den Patient*innen ist einerseits die Quelle der Verstärkung von erwünschtem Verhalten, das eigentlich aus der Kindheit bekannt ist, aber aufgrund der Lebensumstände und der biografischen Entwicklung nicht mehr möglich war.
Das Tragen von Freizeitkleidung verwischt die sonst deutlicher markierten Grenzen zwischen Therapeut*innen und Patient*innen. Die Naturumgebung löst die bisher anerkannten Grenzen auf, wobei hier ein feines Sensorium für Grenzüberschreitungen entwickelt werden muss, um die therapeutische Rolle trotz des gemeinsamen Erlebens in der Natur und der nebeneinander durchgeführten Aktivitäten aufrechtzuerhalten. Es gibt für die Naturbasierte Therapie, wie sie in diesem Buch beschreiben ist, kein eigenes Ausbildungsangebot, es empfiehlt sich jedoch als Psychotherapeut*in zum Beispiel einen CAS Wald, Landschaft und Gesundheit an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Wädenswil oder einen Kurs in Waldtherapie der Stiftung Europäische Akademie für Psychosoziale Gesundheit und Integrative Therapie zu absolvieren.

Kann die NBT wirksam als Prävention genutzt werden?

NBT vermag einen Rehabilitationsprozess in Gang zu setzen, der langfristige Änderungen im Verhalten auf natürliche Weise unterstützt und damit positive Umstrukturierungen verankert, die in der Folge Veränderungen in der psychischen und körperlichen Verfassung der Patient*innen bewirken. Der therapeutische Ansatz der NBT liefert einen Beitrag dazu, Menschen mit ihren gesunden Anteilen in Kontakt zu bringen, diese in den Alltag zu integrieren, zu pflegen und damit der Vereinnahmung durch Hektik und übersteigerte Leistungsansprüche in Beruf, Familie und Freizeit etwas entgegenzusetzen. Jede*r Patient*in sollte nach einem Training mit NBT in der Lage sein, die für sie/ihn sinnvollen Übungen in den Alltag zu integrieren. Diese sollten in Wohn- und Arbeitsplatznähe regelmäßig durchführbar sein und nicht allzu viel Zeit beanspruchen: Beispiel hierfür sind  z.B. das Begehen eines Barfußwegs mit knirschenden Kieseln unter den Füssen, eine Bank im Park, auf der man ausgestreckt liegend die Wolken am Himmel beobachten kann, oder der Halt vor einer Voliere auf dem täglichen Nachhauseweg, um mit den Sittichen zu pfeifen, wie man es früher in der Kindheit getan hat und alles um sich herum dabei vergessen konnte. Wir erholen uns bei solchen Aktivitäten, fokussieren uns auf den Körper und die uns umgebende Natur, werden Teil von ihr, so wie es uns als Kinder gelungen ist, staunend in ihr aufzugehen.


Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. med. Melitta Breznik

Dr. med. Melitta Breznik wurde in Kapfenberg, Österreich, geboren und studierte in Graz und Innsbruck Humanmedizin, wo sie auch zum Doktor der Medizin promovierte. Nach ihrer Ausbildung zur Praktischen Ärztin in Österreich ließ sie sich in der Schweiz zur Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ausbilden. Ihre psychotherapeutische Ausbildung erlangte sie in System- und Familientherapie. Sie arbeitete in verschiedenen psychiatrischen Kliniken in der deutschsprachigen Schweiz in leitender Position und engagierte sich für die konzeptuelle Implementierung komplementär-medizinischer Methoden in die psychiatrisch psychosomatische Behandlung. In den letzten Jahren war sie am Aufbau der Clinica Curativa, einer integrativen psychoonkologischen und psychosomatischen Abteilung, beteiligt. Sie ist Verfasserin von literarischen Werken, welche um Themen wie die transgenerationale Weitergabe von Traumata, Euthanasie in Nazideutschland, Sterben, Trauer, Suizid und Tod, sowie die Macht der Medizin und Psychiatrie in der Gesellschaft kreisen.

Foto: © Peter von Felbert