Patienteninformation und selbstbestimmte Patientenentscheidung in der Psychotherapie

Patienteninformation und eine selbstbestimmte Patientenentscheidung sind auch in einer Psychotherapie von großer Bedeutung. Dabei stellen sich viele Fragen, wie: Unter welchen Bedingungen gilt eine Patientenaufklärung als umfassend? Wann treffen Patientinnen und Patienten wirklich selbstbestimmte Entscheidungen? Und wie lassen sich diese Aspekte unter Berücksichtigung spezifischer therapeutischer Zielsetzungen verwirklichen? Wir haben mit Frau Dr. Sylvia Helbig-Lang, Autorin des neuen Bandes aus der Reihe „Standards der Psychotherapie“ über die Besonderheiten der Patienteninformation im therapeutischen Kontext gesprochen.

Patienteninformation und selbstbestimmte Patientenentscheidung Frauen im Gespräch auf Sofa Bild: Shutterstock / SB Arts Media

Warum ist Patienteninformation in der Psychotherapie so wichtig, welche Folgen könnte eine mangelnde Aufklärung haben?

Die Aufklärung von Patient*innen ist nicht nur eine gesetzliche Vorgabe; sie hat auch nachgewiesene Effekte auf die Qualität der therapeutischen Beziehung und auf die Wirksamkeit der Therapie selbst. Patient*innen, die sich gut informiert fühlen, bewerten ihre Therapeut*innen als vertrauenswürdiger und kompetenter; eine fehlende Aufklärung geht dagegen mit häufigeren Berichten über negative Behandlungseffekte und häufigeren Therapieabbrüchen einher. Auch für einzelne Aspekte der Aufklärung, z.B. hinsichtlich der Vermittlung eines Fallkonzepts oder hinsichtlich der Information über Behandlungsalternativen liegen Befunde vor, dass eine gute Aufklärung sich positiv auswirkt. Einzelne Studien zeigen sogar eine stärkere Symptomreduktion. Gut informierte Patient*innen haben also mehr Vertrauen in eine Behandlung und Hoffnung auf Besserung gilt als wesentlicher unspezifischer Wirkfaktor in der Psychotherapie.

Es gibt aber in der Psychotherapie einige Dilemmata, was die Aufklärung von Patient*innen betrifft, z.B. bei der Behandlung mit Placebos, was ist hierbei zu beachten?

Tatsächlich bewegt sich die Aufklärung im therapeutischen Kontext oft im Spannungsfeld zwischen den ethischen Prinzipien der Patientenautonomie und der Nichtschädigung. Eine umfassende Aufklärung z.B. über Risiken und Nebenwirkungen ist einerseits notwendig, um Patient*innen in die Lage zu versetzen, eigenständige Entscheidungen bezüglich einer Behandlung zu treffen; andererseits kann eine solche Aufklärung negative Erwartungen erzeugen und so den Therapieerfolg gefährden oder sogar direkt zu unerwünschten Symptomen führen. Wir kennen dies insbesondere aus dem Bereich der medizinischen Placebo-Forschung, wo die Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen eines Medikaments ebendiese Nebenwirkungen hervorruft, auch wenn gar kein aktives Medikament vergeben wird, sondern nur ein Placebo. Aber auch bei anderen therapeutischen Interventionen, die nicht invasiv sind, sondern nur angeleitet werden, können solche Effekte beobachtet werden. Das Vorgehen bei der Patientenaufklärung sollte daher sensibel für beide Erfordernisse – Autonomie und Nichtschädigung – sein und auf individuelle Patientenmerkmale angepasst werden. 

Was wäre für Behandelnde bezüglich ihrer eigenen Haltung zu beachten, was Aufklärung und patientenorientierte Entscheidungsfindung angeht?

Es ist sicherlich hilfreich, zunächst für sich selbst zu überlegen, unter welchen Bedingungen man sich gut behandelt und ernst genommen fühlen würde. Viele von uns würden sicher darin übereinstimmen, dass Behandler*innen sich ausreichend Zeit für eine Aufklärung nehmen sollten und es ok sein muss, wenn ein Patient oder eine Patientin Fragen stellt oder sich ggfs. auch nicht sofort entscheiden kann.

Für Psychotherapeut*innen und sicher auch für Ärzt*innen besteht bei Entscheidungsprozessen häufig die Herausforderung, dass viele in diesen Berufen Tätige ein hohes Verantwortungsbewusstsein für das Wohl ihrer Patient*innen empfinden. Das ist einerseits wichtig und gut; es kann aber andererseits dazu führen, dass man „im Sinne des Patientenwohls“ Risiken oder die Möglichkeit von Nichterfolg verschweigt oder bestimmte Behandlungsalternativen gar nicht erst ins Gespräch bringt – frei nach dem Motto „Der Experte weiß es am besten“. Das ist sehr verständlich und entspricht der lange Zeit üblichen Praxis des ärztlichen Paternalismus. Inzwischen gehen wir aber davon aus, dass für eine gute Psychotherapie ein gemeinsames Arbeitsbündnis hergestellt werden sollte, das auf Gleichberechtigung beruht. Das kann wiederum nur durch umfassende Aufklärung erreicht werden. Dazu zählt auch anzuerkennen, dass Patient*innen gute Gründe haben können, sich gegen eine wirksame Behandlung zu entscheiden – weil die Behandlungskosten im aktuellen Moment zu hoch sind oder dadurch andere wichtige Lebensziele gefährdet werden. Für Behandler*innen kann es dann hilfreich sein, die Entscheidungsfindung selbst bereits als wichtiges therapeutisches Ziel zu definieren, das Patient*innen in ihrer Selbstwirksamkeit unterstützt - auch wenn die Entscheidung schließlich gegen eine wirksame Behandlung ausfällt. 

Was ist der Unterschied zwischen dem Entscheidungsmodell Informed Consent und der Partizipativen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making)?

Beide Modelle setzen eine gute Aufklärung an den Beginn eines Entscheidungsprozesses. In der Entscheidungsfindung selbst gibt es dann aber deutliche Unterschiede. Ein Informed Consent erlaubt den Patient*innen in der Regel nur, eine Entscheidung für oder gegen eine Behandlung oder einen Eingriff zu treffen. Die Behandler*innen beantworten Fragen zu einer ausgewählten Form der Behandlung, aber gehen in der Regel nur am Rande auf Behandlungsalternativen ein. Ein Entscheidungsprozess im Sinne des Shared Decision Making setzt deutlich mehr auf einen Austausch zwischen Behandler*innen und Patient*innen. Die Patient*innen werden beispielsweise gefragt, was sie für wichtig halten, welche Erwartungen oder Vorerfahrungen sie haben und Behandler*innen wägen dann gemeinsam mit den Patient*innen ab, welche Behandlung am besten dazu passen könnte. Dieses Vorgehen ist deutlich stärker am Prinzip der Autonomieförderung orientiert, kostet aber Zeit und ist daher in vielen Settings nicht einfach implementierbar.

Die Situation in einer Psychotherapie ist anders als z.B. vor einer OP – ist eine einmalige Aufklärung ausreichend?

Eine Psychotherapie unterscheidet sich grundlegend von den meisten anderen therapeutischen Behandlungen, die in der Regel in einer einmaligen oder über eine Zeitlang unverändert durchgeführten Intervention bestehen. Geht man zu einer Physiotherapie oder erhält man ein Medikament, ist es meist ausreichend, einmal zu Beginn Informationen zu Wirkung, Risiken und Nebenwirkungen zu erhalten, weil diese Informationen sich nicht oder nur wenig über die Zeit hinweg verändern. Psychotherapie ist dagegen ein dynamischer und langfristiger Prozess, bei dem zu Behandlungsbeginn nicht immer absehbar ist, welche konkreten therapeutischen Interventionen eingesetzt werden und  welche Risiken und Nebenwirkungen damit verbunden sind. Es ist praktisch unmöglich und auch nicht sinnvoll zu Beginn einer Behandlung über alle Möglichkeiten und Eventualitäten aufzuklären. Entsprechend sind Patienteninformation und Entscheidungsfindung in der Psychotherapie ein kontinuierlicher Prozess, der in unterschiedlichen Phasen der Behandlung unterschiedliche Arten der Information und Unterschiede in der Art der Informationsvermittlung erforderlich macht. Da Psychotherapie auch deutlich variabler in den Möglichkeiten ist als eine Standardbehandlung mit einem Antibiotika, muss hier auch mehr auf eine zielorientierte und an den individuellen Patient*innen orientierte Aufklärung geachtet werden.

Welches sind typische Aufklärungs- und Entscheidungssituationen im psychotherapeutischen Prozess?

Typische Aufklärungs- und Entscheidungssituationen lassen sich einerseits anhand des Therapieverlaufs und denn damit verbundenen Aufgaben einteilen, andererseits gibt es klare rechtliche Vorgaben, wann über bestimmte Aspekte der Behandlung aufgeklärt werden muss. Gerade zu Beginn stehen rechtliche Aufklärungspflichten im Fokus; Patient*innen erhalten Informationen über ihre Diagnose, mögliche Behandlungsformen, Dauer und Erfolgsaussichten einer Behandlung und deren formalen Ablauf. Sie sollen damit in die Lage versetzt werden, die Entscheidung zu treffen, ob und welche Art von Psychotherapie für sie zum aktuellen Zeitpunkt passend ist. Spätere Entscheidungen orientieren sich stärker an inhaltlichen Überlegungen, z.B. zu den Therapiezielen oder der Umsetzung einzelner Interventionen. Auch die Beendigung einer Therapie ist eine Entscheidungssituation, die Information und Austausch bedarf. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über typische Aufklärungssituationen.

 

Anmerkungen: 1 gemäß § 11 der Psychotherapie-Richtlinie bzw. § 19 der Psychotherapie-Vereinbarung, 2 gemäß Patientenrechtegesetz, 3 gemäß Muster-Berufsordnung

Sie stellen die Entscheidungssituationen für verschiedene Patient*innengruppen dar, etwa für therapieunerfahrene oder vorbehandelte. Was gibt es denn z.B. zu beachten, wenn jemand bereits Psychotherapieerfahrung hat?

Therapieerfahrung ist nicht gleich Therapieerfahrung. Wichtig für Nachbehandler*innen ist, nichts als gegeben vorauszusetzen. Tatsächlich gibt es Patient*innen, auf deren Vorerfahrungen aus vergangenen Behandlungen unmittelbar aufgebaut werden kann. Bei anderen stellt sich dann aber doch heraus, dass das Wissen über die Diagnose oder Behandlungsmöglichkeiten nur unvollständig oder unzutreffend ist. Daher sollte auch bei Patient*innen mit Vorerfahrung eine umfassende Aufklärung über Diagnose, Störungsverständnis sowie Ziele und Ablauf der Therapie eingeplant werden. Hilfreich ist es, dabei zunächst das Wissen der Patient*innen zu erfragen und dieses dann nach Bedarf zu ergänzen oder zu berichtigen. Wichtig ist aber auch, die Vorerfahrungen der Patient*innen ernst zu nehmen, z.B. durch Fragen, wie „Sie haben ja bereits Therapieerfahrung – was war da besonders wichtig für Sie? Was hat Ihnen geholfen?“ oder „Was soll hier auf keinen Fall passieren?“. 

Was ist zu beachten, wenn Patient*innen nur eingeschränkt entscheidungsfähig sind, z.B., weil sie sich in einer suizidalen Krise befinden oder auch, weil sie eine Intelligenzminderung haben?

Bei Einschränkungen der Einwilligungs- und Entscheidungsfähigkeit ist zunächst wichtig, vorübergehende Einschränkungen von dauerhaften Einschränkungen zu unterscheiden. Im Fall vorübergehender Einschränkungen, z.B. aufgrund akuter Krisen oder Intoxikation, sollte überlegt werden, inwieweit die anstehende Aufklärung oder Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann. Liegt im akuten Fall eine Selbst- oder Fremdgefährdung vor, z.B. eine suizidale Krise ohne Absprachefähigkeit, muss unter Umständen jedoch eine Entscheidung getroffen werden, auch ohne vorliegendes Einverständnis. Dies ist dann legitim, wenn durch die Entscheidung eine akute Gefahr abgewendet werden kann und es keine sinnvollen Alternativen gibt. Natürlich stellen solche Situationen immer eine Einschränkung der Patientenautonomie dar und sollten deswegen auch nachbearbeitet werden, wenn die akute Krise vorüber ist.

Sind Patient*innen aufgrund von rezidivierend verlaufenden Störungen immer wieder eingeschränkt in ihrer Entscheidungsfähigkeit, empfiehlt es sich, sogenannte Vorausverfügungen zu erstellen, die den Patientenwillen für einen späteren Krankheitsfall regeln. Dies kann z.B. Informationen zum gewünschten Umgang mit Medikation, Behandlungssettings oder auch Schweigepflichtsentbindungen umfassen. Dauerhafte Einschränkungen in der Einwilligungsfähigkeit werden in der Regel durch die Bestellung einer rechtlichen Betreuung geregelt. Diese ist hinsichtlich des Umfangs ihrer Befugnisse variabel; d.h. Behandler*innen müssen sich Informationen über den Umfang der Betreuung einholen. Trotzdem sollte auch hier eine umfassende Aufklärung angepasst an die Aufnahmefähigkeit der Patient*innen erfolgen und jede Entscheidung transparent mit diesen besprochen werden. 

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Sylvia Helbig-Lang

Dr. Sylvia Helbig-Lang, geb. 1978. 1998–2002 Studium der Psychologie in Dresden. 2003-2007 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der TU Dresden. 2007-2011 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen. 2009 Promotion und Approbation als Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie. 2011-2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Hamburg. Seit 2015 Leitung des staatlich anerkannten Ausbildungsinstituts PTA Hamburg. 2018 Habilitation.