DeutschWissen und Gesellschaft

Resilienz, ein Modewort?

Von Dr. med. Bernadette Ruhwinkel und Dr. sc. tech. ETH Michael Buchmann
Resilienz-Atelier Winterthur

Das Bewusstsein für die Wichtigkeit von Resilienz wird heute in vielen Bereichen unserer Gesellschaft immer grösser. In der Forschung geht man weitgehend davon aus, dass Resilienz trainierbar ist und zur Prävention von Leiden oder zur besseren Überwindung von Krisen nutzbar gemacht werden kann. Der Frage, was unter Resilienz verstanden wird und wie man sie beispielhaft trainieren kann, wird in diesem Artikel nachgegangen.

Gelbe Blume zwischen Steinen steht für Resilienz

Der Begriff Resilienz begegnet uns im Alltag immer öfter. Häufig wird er dabei in seiner Komplexität aber nicht verstanden. Weder Resilienz noch der Gegenpol, die Vulnerabilität, sind statisch, sondern sie verändern sich je nach den Herausforderungen und Ressourcen des Lebens. Resilienz ist immer dann gefragt, wenn auf verschiedenen Ebenen, wie zum Beispiel Mensch, Team, Organisationen oder Staaten, unerwartete krisenhafte Ereignisse zu bewältigen sind. Die Realität wird auf den Kopf gestellt, Komplexität nimmt zu, Marktbedingungen verändern sich, sicher Erwartetes bleibt aus. Bewährte Strategien sind plötzlich unbrauchbar. In Krisen, wie in der Corona-Krise oder dem Krieg in der Ukraine, sowie individuellen Lebenskrisen wird unsere Resilienz gebraucht und verbraucht. Können wir sie wieder aufbauen? Und wenn ja, wie können wir sie wieder erneuern?

Wo ist Resilienz sichtbar?

Resilienz ist eine ausgewogene Mischung von Belastungsreduktion und Ressourcenstärkung auf den verschiedenen Systemebenen. In herausfordernden Situationen zeigen sich individuelle Unterschiede im Umgang mit denselben Schwierigkeiten: Die einen Mitarbeiter oder Führungskräfte entwickeln besondere Stärken, andere halten dem Druck nicht stand oder Teams, die in kritischen Situationen mit Energie kreativ und dynamisch reagieren, während andere sich durch Konflikte blockieren lassen, indem sie am Altbewährten festhalten und sich notwendigen Änderungen widersetzen.

„Resilient sein heißt nicht, dass man unverwundbar ist oder unversehrt in einen früheren Zustand zurückkehrt. Es heißt vielmehr, dass man gegen ungünstige Bedingungen erfolgreich angeht, sich durch sie hindurchkämpft, aus den Widrigkeiten lernt und darüber hinaus versucht, diese Erfahrungen in das Gewebe seines Lebens als Individuum und in der Gemeinschaft zu integrieren.“

Rosemarie Welter-Enderlin

Definition Resilienz

Der Begriff Resilienz (lat. resilire = zurückspringen, abprallen) stammt ursprünglich aus der Materialwissenschaft. In der Zwischenzeit wird er in verschiedensten Forschungsdisziplinen und Lebensbereichen verwendet. So zum Beispiel in der Psychologie, Neurobiologie, Gesundheitswissenschaften, Soziologie, Politikwissenschaften, Landwirtschaft oder Urbanistik.
In der Psychologie steht Resilienz für psychische Robustheit oder auch psychische Elastizität. Sie wird auch als das “Immunsystem der Seele“ oder als „Stehaufmännchen-Kompetenz“ bezeichnet.

Unter „Stressor“ werden alle Begriffe zusammengefasst, die Menschen krank machen oder „…jede Begebenheit oder jede Situation, die geeignet ist, den Organismus zu gefährden und daher eine Stressantwort auszulösen…“(Jutta Heller). Reaktionen des Organismus auf Stressoren sind individuell. Somit sind Stressoren unterschiedliche Gefahrenpotentiale für einen spezifischen Organismus. Kalischs Definition „Resilienz ist die Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach Widrigkeiten.“ lässt sich auch auf Teams, Organisationen und Gesellschaften übertragen. Die Wirksamkeit von Resilienz in verschiedenen Systemen zeigt sich auf mannigfache Art und lässt sich auf unterschiedliche Weise stärken oder trainieren.

Mensch und Umwelt stehen in reger wechselseitiger Beziehung zueinander. Jedes dieser Systeme braucht unterschiedliche Strategien, um trotz Störungen wieder ins Lot zu kommen oder daran zu wachsen. Die Erkenntnisse der Zusammenhänge und Beeinflussung der Resilienz im System «Individuum» sind heute am weitesten erforscht.

Gut vorstellbar ist der von J. Heller aufgestellte Vergleich von Resilienz mit einem Fitnesscenter. Dieser Vergleich lässt sich ausbauen: Resilienz ist die „Schutzhülle“ unserer Psyche, die, wie unser Muskelmantel, durch Übung gestärkt werden kann, bei Nichtgebrauch jedoch schnell wieder schwindet. Im Fitnesscenter trainiert man einzelne Bestandteile des Muskelmantels. Man kann vergleichbar Resilienz trainieren.

Trainingsmöglichkeiten von Resilienz

Die menschliche Psyche ist komplex, aber wir kennen in der Resilienzforschung mittlerweile verschiedene Faktoren, anhand derer Resilienz trainierbar ist. Solche Faktoren lassen sich sowohl für die individuelle Stärkung von Resilienz festmachen als auch für Team-, organisationale- sowie gesellschaftliche Resilienz.

Trainierbare Resilienzfaktoren sind zum Beispiel: Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Beziehungen, Lösungsorientierung, Zielorientierung, Endlichkeit und Eigenverantwortung.

Faktor Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet nicht passiv erdulden, sondern meint das aktive Annehmen von dem, was wir nicht ändern können. Dabei ist auch gemeint, das Beste aus dem zu machen, was unabänderlich ist. Die Tatsache, dass unser Leben nicht statisch, sondern dauernd in Veränderung ist, lässt sich leicht benennen, aber damit bewusst zu leben, sich mit Akzeptanz dem zu stellen, ist ein dauernder Lernprozess. Ob in unserem alltäglichen Leben oder in Teams und Organisationen, gern sind wir bemüht an Bestehendem festzuhalten und uns Neuerungen zu widersetzen. Eine Haltung von «im fließenden Fluss des Lebens zu schwimmen» heißt, die Veränderungen als Teil des Lebens anzunehmen und weniger als Stress zu bewerten.

Aus dem Buddhistischen Gedankengut wissen wir, dass das Denken veränderbar ist und unser Inneres durch Meditationstechniken gestärkt und geformt werden kann. Unter dem Stichwort «neuronale Plastizität» kann dies heute belegt werden. So können bei Teilnehmern von Achtsamkeits-Kursen Veränderungen in ihrer präfrontalen Hirnaktivität entstehen, die mit positiver Befindlichkeit in Zusammenhang gebracht werden und es kann eine Stärkung des Immunsystem bewirkt werden.

„Achtsamkeit ist nichts anderes als Aufmerksamkeit. Eine Haltung des Gewahrseins voller Respekt und frei von Wertung“ meint Jack Kornfield. Durch das Erkennen, Akzeptieren, Erforschen von Körper, Gefühl, Geist und Wahrheit und das Nicht-Identifizieren erreicht man den achtsamen Wandel in regelmäßiger Meditationspraxis. In der Achtsamkeit vom Hier und Jetzt können wir den Moment gestalten und uns selbst besser kennen lernen. Ängste vor der Zukunft und Grübeln über Vergangenes lösen sich auf und machen uns frei für das gestaltbare Jetzt.

Neue Herausforderungen in Organisationen, wie Führungswechsel, Umstrukturierungen, können Veränderungen sein, gegen die wir uns wehren oder die wir mit großem Stress umsetzen. Eine Haltung von Akzeptanz und Achtsamkeit kann hier helfen, die Veränderungen anzunehmen, ohne sich am Veränderungsstress aufzureiben.

Diese Haltung der Akzeptanz lässt sich im Alltag üben und stärken und ermöglicht es uns, die eigene Resilienz zu erweitern, also den psychischen Schutzmantel zu stärken.

Faktor Beziehungen oder „Wir Faktor“

Ein Faktor, mit dem Resilienz verstärkt werden kann, ist die Beziehung. Die interpersonale Neurobiologie zeigt, dass die zwischenmenschlichen Interaktionen den Aufbau unserer Gehirne gestalten.

„Je sozialer unser Gehirn wurde, umso wichtiger wurden die Beziehungen als soziostatische Regulatoren unseres Geistes, unseres Körpers und unserer Emotionen.“

Gregor Hasler

Wir Menschen brauchen Beziehungen, sind als Spezies nicht überlebensfähig ohne die Gruppe. Deshalb ist unser Gehirn im Wesentlichen für Beziehungen gemacht und braucht andere Menschen und die Umwelt, um sich daran zu entwickeln. «Das Ich entwickelt sich am Du» sagt Martin Buber. Wenn wir uns mit unseren Fähigkeiten einbringen können und von anderen Menschen beantwortet werden, erleben wir Kohärenz und entwickeln uns. «Das Gehirn verarbeitet soziale Zusammenarbeit als Belohnung. Die Unterstützung eines Kindes bei den Hausaufgaben führt zu einer Aktivierung des Hirnbelohnungssystems des engagierten Vaters» meint G. Hasler.

Hasler plädiert für den Wir-Faktor, der Vorstellung des Ichs als Teil eines größeren Ganzen. Aber in unserer schnelllebigen Welt sind stabile, verlässliche Bindungen und soziale Anerkennung «zur Mangelware geworden». Das bewusste Pflegen des direkten, persönlichen Austausches, eines guten Miteinanders fördert den Zusammenhalt in Teams, Familien und im Freundeskreis und in der Gesellschaft. Ob wir ältere Menschen in der Nachbarschaft in unserm Alltag etwas Zeit widmen oder Freunde einladen und Zeit miteinander verbringen, wir stärken damit unsere eigene Resilienz und die Resilienz der anderen.
Akzeptanz und Beziehungen sind zwei wichtige Resilienzfaktoren. Weitere Faktoren finden sich auf der Seite vom Resilienz-Atelier.

M. Zander betont im „Handbuch Resilienzförderung“,“…. dass sich Resilienz fördern lässt, ja dass es in vielen Fällen sogar darauf ankommt, durch von außen zu mobilisierende Schutzfaktoren diese menschliche Fähigkeit in ihrer Entfaltung zu begünstigen.“

Nach U. Lang ist es Resilienz fördernd, wenn man eigene Ziele verfolgt und das Leben nach seinen eigenen Werten gestaltet, um diesem einen Sinn zu geben. Positive Emotionen können trainiert werden und „zu einer Verbesserung von Gesundheit, Beziehung und Lebenszufriedenheit führen“.

Key message

Resilienz wird als dynamischer und lebenslanger Prozess verstanden, der im Wechselspiel zwischen Mensch und Umwelt erfolgt und über verschiedene Lebensbereiche und -phasen variiert. Resilienz ist ein multidimensionales Geschehen und trainierbar anhand verschiedener Faktoren.
 

Korrespondenzadresse

Resilienz-Atelier
Obertor 1
CH-8400 Winterthur

info@resilienz-atelier.ch

Bibliografie

Buchmann M, Ruhwinkel B. 8 Resilienz - Faktoren [Internet]. resilienz-atelier.ch. [zitiert 29. März 2022]. Verfügbar unter: www.resilienz-atelier.ch/resilienz/8-resilienz-faktoren.html
Cozolino LJ. Die Neurobiologie menschlicher Beziehungen.
Kirchzarten bei Freiburg: VAK; 2007.
Cozolino L. Warum Psychotherapie wirkt - mit unserem Geist das Gehirn verändern. 1. Auflage. Freiburg: Arbor Verlag GmbH; 2017
Gilan D, Helmreich I. Resilienz - die Kunst der Widerstandskraft: Was die Wissenschaft dazu sagt. 1. Auflage. Freiburg: Verlag Herder GmbH; 2021.
Grotberg EH. Anleitung zur Förderung der Resilienz von Kindern - Stärkung des Charakters. In: Zander M, Herausgeber. Handbuch Resilienzförderung. 1. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften GWV; 2011.
Hasler G. Resilienz: Der Wir-Faktor. Stuttgart: Schattauer; 2017.
Heller J. Resilienz : 7 Schlüssel für mehr innere Stärke. 8. Auflage. München: GU; 2019.
Heller J. Resilienz-Workout. Stein: unveröffentlichtes Material. 2021.
Kalisch R. Der resiliente Mensch wie wir Krisen erleben und bewältigen : neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. München: Piper; 2020. (Piper 4263).              
Keown D. Der Buddhismus. 6., durchges. und erweiterte Auflage. Stuttgart: Reclam; 2014. (Reclam-Sachbuch).
Kornfield J. Das weise Herz : die universellen Prinzipien buddhistischer Psychologie. In: Das weise Herz die universellen Prinzipien buddhistischer Psychologie. 12. Auflage. München: Goldmann Arkana; 2008. (Goldmann Arkana).
Lang U. Resilienz: Ressourcen stärken, psychisches Wohlbefinden steigern. 1. Auflage. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer; 2019.
Welter-Enderlin R. Resilienz - Gedeihen trotz widrigen Umständen. 5. Auflage. Hildenbrand B, Herausgeber. Heidelberg: Carl-Auer; 2016.
Willi J. Ökologische Psychotherapie. 1. Auflage. Göttingen: Hogrefe AG; 1996.

Dr. med. Bernadette Ruhwinkel

Psychotherapeutische Ausbildung am Institut für Ökologisch-systemische Therapie (IÖST) in Zürich als Einzel-, Paar und Familientherapeutin.
Ab 2001 Aufbau der Psychotherapiestation für ältere Menschen (PTSA) in der Klinik Schlosstal IPW als Oberärztin zusammen mit einem Team.
Ab 2010 Leitende Ärztin und ab 2013 bis 2015 stv. Chefärztin der Alterspsychiatrie der integrierten Psychiatrie Winterthur (IPW).
Seit 2011 Master in Supervision und Coaching in Organisationen an der ZHAW in Zürich. Dozentin am Institut für ökologisch-systemische Psychotherapie (IÖST) in Zürich sowie an der Universität in Zürich (ärztliche Psychotherapie).
2015-Herbst 2018 Leitende Ärztin mit Schwerpunkt Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie in der Privatklink Hohenegg in Meilen
ab Herbst 2018 Vollzeit in eigener Praxis
seit 2019 zusätzlich Leiterin Resilienz-Atelier

Dr. sc. tech. Michael Buchmann

Studium der Agronomie und Promotion an der ETHZ-Zürich
Über 25 Jahre in Beratung sowie Aus- und Weiterbildung von Erwachsenen in Landwirtschaftsbereich tätig.
Nach Stellenverlust Interesse und Bewusstsein an eigener Resilienz entdeckt.
Umfeld von Arbeitssuchenden am eigenen Leib und in neuer Tätigkeit als Jobcoach vertieft kennen gelernt.
2020 -2021 Ausbildung zum zertifizierten Resilienz-Berater bei Prof. Dr. Jutta Heller
seit 2022 in Ausbildung zum betr. Mentor mit eidg. Fachausweis