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Umweltschutz ist Gesundheitsschutz

Von Renate Flükiger & Sonja Schönberg

Unsere Konsummuster und Wohlstandsansprüche, aber auch unser Gesundheitssystem tragen wesentlich zur Umweltschädigung bei. Die aktuelle Gesundheitsversorgung verbraucht viel Energie, Rohstoffe und Materialien mit langen Lieferketten und ist so für rund 4,4 Prozent der globalen Treibhausgase verantwortlich. Wäre das Gesundheitswesen ein Land, wäre es der fünftgrösste Verursacher von Treibhausgasen weltweit und ist so massgeblich mitverantwortlich für die Klimakrise, den Biodiversitätsverlust und die Umweltverschmutzung und damit für direkte und indirekte negative Gesundheitseffekte.

Beispiele für direkte Gesundheitseffekte sind unter anderem hitzebedingte kardiovaskuläre Ereignisse oder die Auswirkungen von Luftverschmutzung auf die Gesundheit. Indirekte Gesundheitseffekte betreffen beispielweise Zoonosen und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Ereignisse wie die COVID-19 Pandemie als eine der Folgen des Biodiversitätsverlusts und des Klimawandels werden damit zunehmend wahrscheinlicher.

Der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) betont abermals, dass die Klimaerwärmung und die Überschreitung zahlreicher Ökosystemgrenzen die grösste Herausforderung für die öffentliche und individuelle Gesundheit des 21. Jahrhunderts darstellen, deren Auswirkungen wir schon heute und in Zukunft noch stärker wahrnehmen werden. Der Verlust intakter Ökosysteme hat eine enorme globale Krankheits- und Sterbelast zur Folge. Dies verdeutlicht, dass wir als Menschen in direkter Abhängigkeit zu intakten Ökosystemen stehen: eine gesunde Erde ist unsere Lebensgrundlage für ein gesundes und frei gestaltbares Leben.

Gesundheitsfachpersonen als Schlüsselpersonen in Umwelt- und Klimaschutz

Seit jeher bekennen und verpflichten sich Vertreter*innen von Gesundheitsberufen per öffentlichem Auftrag, Gesundheit zu schützen, zu erhalten und (wieder) herzustellen. Sie sind prädestiniert, um die Transformation zu einem planetaren Gesundheitsverständnis anzustossen und mitzutragen.

Gesundheitsfachpersonen wie beispielsweise Pflegefachpersonen sind bereits heute darin ausgebildet, eine holistische Sichtweise auf die Gesundheit und Krankheit von Personen einzunehmen. Sie verstehen und fördern Gesundheit innerhalb der sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und physiologischen Determinanten der Gesundheit.

Ihrem professionellen Handeln liegen ethische Kriterien zugrunde, wie im ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen festgelegt. Zudem geniessen Gesundheitsfachpersonen ein besonders grosses Vertrauen in der Gesellschaft und sind gerade deshalb qualifiziert, eine besondere, doppelte Verantwortung wahrzunehmen, um ein gesundes Leben auf einer gesunden Erde zu fördern.

Im Kontext einer planetaren Gesundheit bedarf es eines neuen, noch breiteren Verständnisses dieser etablierten Berufsrollen. Das professionelle Denken und Handeln von Gesundheitsfachpersonen sollte künftig über die individuelle Situation der Patient*in wie auch über einzelne Populationen hinauswachsen, hin zu einem ganzheitlichen, planetaren Gesundheitsverständnis.

Das Konzept der planetaren Gesundheit als neuer Denkrahmen für Gesundheitsfachpersonen

Das Konzept der planetaren Gesundheit ist ein wertebasierter und an Nachhaltigkeit orientierter Denk- und Handlungsrahmen, welcher die Transformation unterstützen kann. Er anerkennt die Abhängigkeit menschlicher Gesundheit von politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Systemen unserer Erde.
Um die dringlichen und komplexen Herausforderungen im Gesundheitswesen anzugehen, empfiehlt das Konzept eine inter- und transdisziplinäre Auseinandersetzung. So werden über die Grenzen von Fachbereichen und Professionen hinaus Denkweisen vereint, um tragfähige und erfolgreiche Lösungswege zu finden und umzusetzen.

Konkrete Ziele sind, Mitarbeiter*innen dazu zu befähigen, mit den aktuellen und künftigen Gesundheitsrisiken umzugehen, indem sie Herausforderungen frühzeitig erkennen, verstehen und ihr Handeln adaptieren können und so ein effektives, effizientes und resilientes Gesundheitssystem sicherstellen.

Als logische und nachhaltige Konsequenz ergibt sich daraus, dass alle Gesundheitsprofessionen angehalten sind, Lösungen im Sinn der Mitigation (selbst weniger Umweltschäden anrichten) und der Adaption (auf neue, gesundheitliche Herausforderungen adäquat reagieren) zu erarbeiten und wirkungsvoll umzusetzen.
Einige lang bekannte gesundheitsförderliche Empfehlungen wie z. B. zu körperlicher Aktivität oder Ernährungsempfehlungen haben wichtige Co-Benefits. Gonzalez Holguera und Senn (2021) weisen darauf hin, dass eine pflanzenbasierte Ernährung und die Mobilität zu Fuss oder per Fahrrad positive Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen haben, wie auch für die Erde, da weniger Treibhausgase entstehen.

Neuer Bildungsrahmen für Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsfachpersonen: das Planetary Health Framework

Um im Sinne der planetaren Gesundheit zu denken und zu handeln, benötigen Gesundheitsfachpersonen sowohl neues Wissen als auch neue Fähigkeiten und Fertigkeiten. Der in Abbildung 1 dargestellte  theoretische Bildungsrahmen für planetare Gesundheit von Faerron Guzman et al. (2021) bietet eine gemeinsame Sprache für die Aus- und Weiterbildung an. Er berücksichtigt fünf grundlegende Bereiche, welche die Essenz des Wissens, der Werte und des Handelns der planetaren Gesundheit im globalen und lokalen Kontext ausmachen:

  1. Verbundenheit mit der Natur fördern und Mitgefühl für Menschen und Umwelt entwickeln
  2. Interaktionen zwischen Gesundheit und Umwelt im Anthropozän anerkennen
  3. Gleichheit und soziale Gerechtigkeit, ethisch-moralische Werte und Normen stärken
  4. Soziale Bewegung und Systemwandel über transformative Lehrformate etablieren, die Austausch, Erfahrung und Reflexion fördern
  5. Zu Systemdenken innerhalb einer hohen Komplexität befähigen

Der Bildungsrahmen versteht sich als Erweiterung der inhaltlichen und praktischen Kompetenzen, welche Gesundheitsfachpersonen im Rahmen ihrer Aus- und Weiterbildung erwerben. Zentral sind kollaborative Arbeitsgemeinschaften sowie die Stärkung des Selbstvertrauens und der Selbstwirksamkeit. 

Für dieses neue Rollenverständnis braucht es zunehmend transformative Lehr- und Lernformate, welche die ethischen Kompetenzen, die Werthaltung und die Handlungskompetenz der Gesundheitsfachpersonen im Sinne des Planetary Health Education Framework weiterentwickeln. Richtungsweisend sind dabei Aspekte wie z. B. der Wert des Lebens zukünftiger Generationen, der Wert der natürlichen Umwelt, die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen etc.

Bestehende Netzwerke und Institutionen können wertvolle Unterstützung bei der Transformation zu neuen Rollen in Gesundheitsberufen bieten, so z.B. die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), Healthcare Without Harm, Health For Future und die Planetary Health Alliance.

 

Literaturliste

Bellina, L., Tegeler, M. K., Müller-Christ, G., & Potthast, T. (2020). Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Hochschullehre: BMBF-Projekt „Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten (HOCHN)“. Universität Bremen und Tübingen.          

Faerron Guzman, C. A., Aguirre, A. A., Astle, B., Barros, E., Bayles, B., Chimbari, M., El-Abbadi, N., Evert, J., Hackett, F., Howard, C., Jennings, J., Krzyzek, A., LeClair, J., Maric, F., Martin, O., Osano, O., Patz, J., Potter, T., Redvers, N., . . . Zylstra, M. (2021). A framework to guide planetary health education. Lancet Planet Health, 5(5), e253-e255. doi.org/10.1016/S2542-5196(21)00110-8           

Gepp, S. H., J., Hornschuch, M., Jung, L., Regler, H., Sass, R., Schwienhorst-Stich, E.-M., & Wabnitz, K. (2022). Klima.Umwelt.Gesundheit. Ein Leitfaden für Lehrangebote zu planetarer Gesundheit. Abgerufen am 05. April 2022, von www.klimawandel-gesundheit.de/wp-content/uploads/2022/01/Leitfaden-Planetary-Health-Lehre-2022_01.pdf

Gonzalez Holguera, J., & Senn, N. (2021). Das Konzept der "Co-benefits" von Gesundheit und Umwelt. Schweizer Ärztezeitung, 102(24), 807-809.

Health Care Without Harm. (2019). Health care climate footprint report. Abgerufen am 05. April 2022, von noharm-uscanada.org/ClimateFootprintReport            

International Council of Nurses (ICN). (2021). Der ICN-Ethikkodex für Pflegefachpersonen. Abgerufen am 11. April 2022, von www.sbk.ch/verband/internationales/international-council-of-nurses

Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). (2021). Climate Change 2021: The Phsical Science Basis. Contribution of Working Group / to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climat Change. C. U. Press. Abgerufen am 05. Aprill 2022, von www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/

Rosa, W. E., Dossey, B. M., Watson, J., Beck, D. M., & Upvall, M. J. (2019). The United Nations Sustainable Development Goals: The Ethic and Ethos of Holistic Nursing. J Holist Nurs, 37(4), 381-393. doi.org/10.1177/0898010119841723          

Wabnitz, K. J., Gabrysch, S., Guinto, R., Haines, A., Herrmann, M., Howard, C., Potter, T., Prescott, S. L., & Redvers, N. (2020). A pledge for planetary health to unite health professionals in the Anthropocene. Lancet, 396(10261), 1471-1473. doi.org/10.1016/S0140-6736(20)32039-0         

Renate Flükiger

Renate Flükiger lehrt als Dozentin im Bachelorstudiengang Pflege an der Berner Fachhochschule (BFH) im Departement Gesundheit, Fachbereich Pflege. Nebst der Lehre arbeitet sie in mehreren BFH-internen Arbeitsgruppen zum Thema Nachhaltige Entwicklung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Sie erwarb an der Rotkreuzschule für Krankenpflege Lindenhof Bern ihr Diplom in Pflege und arbeitete über 20 Jahre in verschiedenen Pflegefeldern und Kompetenzbereichen. Berufsbegleitend absolvierte sie den Master of Science in Pflege an der BFH. Ein CAS in Hochschuldidaktik (BFH) und ein CAS in Nachhaltiger Entwicklung (Uni Bern) erweitern zusätzlich ihre fachliche und persönliche Entwicklung.

Sonja Schönberg

Sonja Schönberg lehrt und forscht als Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkt Nachhaltige Ernährung und Planetary Health an der Berner Fachhochschule (BFH) im Departement Gesundheit, Fachbereich Ernährung und Diätetik (Schweiz). Parallel zu ihrer Anstellung an der BFH verfolgt sie ihre Dissertation an der Università della Svizzera Italiana (USI). Sie engagiert sich in der Fachgruppe Nachhaltige Ernährungsweisen des Schweizerischen Verbandes der Ernährungsberater*innen und erprobt auf dem solidarischen Landwirtschaftsbetrieb radiesli in Worb lösungsorientierte Beiträge an ein resilientes Schweizer Ernährungssystem der Zukunft.