Klinik und Therapie

Wer darf Psychopharmaka verordnen?

Sollten Psychologische Psychotherapeuten Medikamente selbst verordnen oder nicht? Diese Frage stellt sich auch bei der Reform des Psychotherapeutengesetzes. Doch sie ist nicht ganz leicht zu beantworten und erfordert eine differenzierte Diskussion über Vor- und Nachteile und verschiedene Lösungsansätze.

Wir haben mit Herrn Professor Antoni, dem Präsidenten der DGPs, und Herrn Professor Rief, dem Leiter der Kommission Psychologie und Psychotherapieausbildung, über den aktuellen Stand der Diskussion gesprochen.

Herr Professor Antoni, welche Möglichkeiten würde es Psychologischen Psychotherapeuten eröffnen, wenn sie selbst Psychopharmaka verschreiben dürften?
Wenn Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die Möglichkeit hätten, Medikamente selbst zu verordnen oder Medikamentenverordnungen zumindest zu beeinflussen, hätte dies mehrere Vorteile. Zum einen könnten sie die begleitende medikamentöse Therapie besser auf die Notwendigkeiten des aktuellen psychotherapeutischen Behandlungsverlaufs abstimmen. Dies gilt insbesondere für Medikamente, die Lernprozesse während der Psychotherapie, zum Beispiel während Expositionsphasen, unterstützen und damit den Psychotherapie-Effekt verstärken können, obwohl sie für sich genommen bei diesen Krankheitsbildern nicht indiziert sind. Zum anderen könnte vermieden werden, dass durch eine nicht abgestimmte medikamentöse Behandlung die Wirkungen einer psychotherapeutischen Intervention, z.B. bei phobischen Ängsten, abgeschwächt oder gar verhindert werden. Durch eine bessere Integration medikamentöser und psychotherapeutischer Maßnahmen in einen Gesamt-Behandlungsplan wäre es zudem besser möglich, Patientinnen und Patienten über gestufte Behandlungspläne und -maßnahmen aufzuklären und sie zu motivieren.

Allerdings würde die Verordnung von Medikamenten ein sehr breites medizinisches Wissen voraussetzen, um medizinische Komplikationen sowie Neben- und Wechselwirkungen von Psychopharmaka kompetent beurteilen zu können. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Medikamenten schmale Wirkungsfenster oder Nebenwirkungen haben, die kontinuierliche medizinische Begleitung in Form von engmaschigen Kontrollen von Labor-, EKG- und weiteren Werten erfordern. Nicht zuletzt besteht das Risiko, dass sich durch die Möglichkeit einer Verordnung von Medikamenten das psychotherapeutische Rollenverständnis und die therapeutische Beziehung verändern. Sei es, weil es schwieriger wird, Patientinnen und Patienten zu motivieren, Selbstverantwortung zu übernehmen oder weil finanzielle Anreizsysteme eher Pharmako- als Psychotherapie fördern.

Herr Professor Rief, bei einer entsprechenden Gesetzesänderung wären ja sicherlich viele strukturelle Anpassungen, z.B. in der Aus- und Weiterbildung, notwendig. Sind auch "Zwischenmodelle" denkbar, bei denen die Verantwortung der Psychotherapeuten nur in bestimmten Bereichen ausgedehnt wird?
In der Tat würden sich die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung bei einer entsprechenden Gesetzesänderung verändern. Je weiter die Entscheidungs- und Verordnungskompetenzen für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gefasst würden, desto stärker müssten die medizinischen, pharma- und psychopharmakologischen Inhalte der Aus- und Weiterbildung vertieft werden. Aufgrund der begrenzten Zeit müssten dann andere Ausbildungsinhalte gekürzt werden. Daher wäre eine kooperative Medikamentenverordnung sicherlich einfacher zu realisieren als eine selbständige Verordnung. Bei einer kooperativen Medikamentenverordnung würde eine Psychologische Psychotherapeutin oder Psychotherapeut eine medikamentöse Verordnung erstellen, und der mitbehandelnde Arzt bestätigt nach Untersuchung des Patienten oder auf der Grundlage vorliegender Befunde, dass keine medizinischen Gründe gegen diese Verordnung/Verordnungsänderung vorliegen. Ein deutlich eingeschränkteres Modell wäre es, wenn Psychologische Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten nur eine medikamentöse Behandlungsempfehlung an die mitbehandelnden Ärzte geben würden, die diese berücksichtigen könnten, jedoch nicht berücksichtigen müssten.


Gibt es international bereits Erfahrungen mit dem Modell der Verordnung von Psychopharmaka durch Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten?
In den USA liegen bereits Erfahrungen aus Modellprojekten vor, die zeigen, dass verordnende Psychotherapeuten stärker eine funktionale Anpassung der Medikation an den Psychotherapieverlauf vornehmen und gegebenenfalls nicht nur die medikamentöse Behandlung selbst, sondern auch deren Ende systematischer einplanen.


Herr Professor Antoni, in welcher Form können sich Psychologinnen und Psychologen an der Diskussion beteiligen?
Psychologinnen und Psychologen können sich an dieser Diskussion in dem Online-Diskussionsforum der DGPs oder entsprechenden Angeboten ihrer Psychotherapieverbände und Kammern beteiligen.

Gibt es einen Zeitplan für die Entscheidungsfindung?
Der Zeitplan für diese Debatte richtet sich nach dem Gesamtzeitplan der Novellierung des Psychotherapeutengesetzes. Wenn dieses im Herbst 2018 verabschiedet werden sollte, müsste bis dahin auch die Frage geklärt werden, ob Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten Medikamente verordnen dürfen sollten. Ro

Lesen Sie mehr dazu in der Psychologischen Rundschau: "Verordnung von Medikamenten durch Psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten?"

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Prof. Dr. Conny Antoni

Seit 1997 Professor für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der Universität Trier, seit 2014 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und seit 2016 Präsident der DGPs.

Prof. Dr. Winfried Rief

Seit 2000 Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Philipps-Universität Marburg, Leiter der Psychotherapie-Ambulanz Marburg und Leiter der Kommission Psychologie und Psychotherapieausbildung der DGPs.