"Das könnte auch ich selbst sein..." ‒ die Begegnung mit einem demenzbetroffenen Menschen löst im Gegenüber oft starke, tiefsitzende Ängste aus. Die eigene, meist verdrängte Verletzlichkeit wird auf einmal bewusst. Um sich selbst zu schützen, tritt eine "psychische Distanzierung" ein. Diese Schutzreaktion könnte ein Grund sein für die leidvolle soziale und emotionale Isolation, die Menschen mit Demenz erleben.
Stigmatisierung von Menschen mit Demenz als Herausforderung an die Gesellschaft
Das Gesicht eines Menschen mit Demenz kann wie ein Spiegel wirken: Auch ich könnte einmal mein Gedächtnis und meinen Verstand verlieren. Auch mir wird einmal die Sprache fehlen. Wie wird es sein, wenn ich meine Selbstständigkeit verliere und auf die Hilfe anderer angewiesen bin? Werde ich das ertragen? (Hirschberger et al., 2005).
Die Begegnung mit einem demenzbetroffenen Menschen berührt den innersten Kern unserer Persönlichkeit. Eine unbewusste Identifikation findet statt: Ich bin Du. Dies löst massive Ängste aus, dasselbe Schicksal zu erleiden (Cavayas et al., 2012). Was wir im Alltag stets verdrängen, kommt bei dieser Begegnung an die Oberfläche des Bewusstseins ‒ und gefährdet unsere eigene seelische Stabilität: "Die schwere Krankheit eines anderen Menschen erinnert uns an unsere eigene Verletzlichkeit, Bedrohtheit, Körperlichkeit und Sterblichkeit. Um von diesen massiven Ängsten im Alltag nicht überflutet zu werden, bauen wir unbewusst eine "psychische Abwehr" auf (Mosher/Danoff-Burg, 2007). Wir versuchen, uns von der betroffenen Person innerlich zu distanzieren. Stigmatisierung beginnt somit in unserer eigenen Psyche ‒ ohne, dass wir dies beeinflussen könnten (Hinshaw, 2014). Die Wurzel des Stigmas wäre also "die eigene Furcht vor einer solchen Krankheit" (Solomon et al., 2004).