DeutschSchule und Entwicklung

10 Jahre „Frühe Bildung“

Vor 10 Jahren, 2011, erschien die Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis „Frühe Bildung“ zum ersten Mal. Im Gespräch beleuchten die Herausgeber*innen Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll und Prof. Dr. Marcus Hasselhorn die Anfänge in einer Zeit des Aufbruchs, sprechen über Ziele und Entwicklung und verraten ihre Pläne für die künftige inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift.

2011 wurde die Zeitschrift „Frühe Bildung“ ins Leben gerufen. Was waren damals die Beweggründe dafür?

Mit Einführung der Bildungspläne, dem Ausbau der Kita-Plätze und der Anbahnung des Rechtsanspruches für einjährige Kinder, gewann die frühe Bildung gesamtgesellschaftlich sehr an Bedeutung. Dazu kam der Aufbau von Studiengängen für die frühe Bildung und öffentliche Diskussionen zum Thema Qualität in der frühpädagogischen Praxis. Nicht zuletzt hatte die Bosch-Stiftung in dieser Gemengelage ein Nachwuchsförderprogramm für die Forschung zu Fragen der frühen Bildung aufgesetzt. Daraus entstanden an verschiedenen Orten in Deutschland Forschungsaktivitäten, die weniger durch interdisziplinäre Zugänge als vielmehr durch gemeinsame Fragen auch über die im Feld vertretenen Disziplinen hinweg kennzeichnen lassen. Durch die Deakzentuierung der Disziplinen hatten wir den Eindruck, dass die Forschenden in dem neu vitalisierten Feld in Deutschland kein geeignetes gemeinsames Publikationsorgan hatten. Diese Entwicklungen haben zur Entstehung der Zeitschrift maßgeblich beigetragen. Mit der „Frühen Bildung“ wollten wir diese Lücke schließen.

Was waren die wichtigsten Ziele der Zeitschrift und würden Sie nach zehn Jahren sagen, dass diese erreicht wurden?

Mit der Zeitschrift „Frühe Bildung“ wollten wir den Diskurs zu einer evidenzbasierten frühen Bildung anregen, indem wir die rasant wachsenden einschlägigen Forschungsaktivitäten abbilden und sichtbar machen. Gleichzeitig wollten wir ein Forum für den Diskurs unter den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und den neu eingerichteten Studiengängen schaffen sowie dem Austausch zwischen Wissenschaft und Bildungspraxis Rechnung tragen.

Das Ziel, ein Forum für den Diskurs unter den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen im Feld der frühen Bildung zu schaffen, ist unserer Ansicht nach gut erreicht worden. Was den Austausch zwischen Wissenschaft und Bildungspraxis anbelangt, waren wir weniger erfolgreich. Zumindest scheint uns da noch viel Luft nach oben zu sein. Der Spagat zwischen dem Anspruch einer den hohen Standards empirisch-wissenschaftlichen Arbeitens gerecht werdenden und gleichzeitig die Bedürfnisse eines in weiten Teilen nicht wissenschaftlich-akademisch ausgebildeten Personals im Praxisfeld der (frühen) Bildung bedienenden Zeitschrift hat sich als herausfordernder erwiesen als wir das vor 10 Jahren geglaubt hatten.

Die Gründung von „Frühe Bildung“ fiel in eine Zeit des Optimismus, des Aufbruchs, schreiben Sie im Editorial des Jubiläumsheftes. Was ist aus dieser Aufbruchsstimmung geworden?

Der rasante Ausbau an Plätzen in Kindertageseinrichtung und der große Aufwuchs im Berufsfeld der Frühpädagogik ist keineswegs abgeschlossen. Er hält weiter an und wird durch den Rechtsanspruch für die Schulkindbetreuung noch weiterwachsen. Auch die Diskussion um Qualität und Qualitätsstandards wird intensiver denn je geführt, wie nicht zuletzt am „Gute-Kita-Gesetz“ und seiner vielfältigen Umsetzungsprojekten zu beobachten ist.

Sie wollten eine Zeitschrift gründen, die sich sowohl an die Wissenschaftscommunity als auch an die Praxis wendet. Bleibt dies als Ziel auch für die nächsten Jahre?

Inzwischen haben wir das Ziel weiter präzisiert: Die Zeitschrift informiert über Forschung, Projekte, Diskussionen und Innovationen im Feld der Frühpädagogik – mit starkem Praxisbezug. Daher auch die Vorgabe, dass die wissenschaftlichen Beiträge klar die Implikationen für die Praxis herausstellen und ja auch grundsätzlich einen konkreten Bezug für Praxis der Frühen Bildung haben müssen.

Die Frühe Bildung ist daher für alle Akteure der frühpädagogischen Praxis von Relevanz, die Maßnahmen und Programme für dieses Feld planen oder durchführen wollen – weniger für einzelne Fachkraft in den Kindertageseinrichtungen.

Welche Themen würden Sie als besonders relevant für die nächsten Jahre erachten, welche Schwerpunkte möchten Sie inhaltlich setzen?

Bildungschancen und Bildungsungleichheiten sind Themen, die durch die pandemiebedingten Kita-und Schulschließungen keineswegs weniger Beachtung erfahren, sondern im Gegenteil noch weiter an Bedeutung gewonnen haben. Einen besonderen Fokus werden wir daher zukünftig verstärkt Kinder aus belasteten Lebenslagen lenken und dabei für die pädagogische Praxis konkrete, evidenzbasierte Maßnahmen anbieten, um insbesondere diesen Kindern frühe Bildung so zu ermöglichen, dass sie für ihren weiteren Bildungs- und Entwicklungsweg gut gerüstet sind – unabhängig von ihrem familiären Umfeld. Gleichzeitig wird dieser Schwerpunkt nicht eingegrenzt sein auf die bildungsrelevanten Kompetenzen der Kinder im engeren Sinne, sondern auch nicht-kognitive, sozio-emotionale Entwicklungsfacetten verstärkt beleuchten.

Die „Frühe Bildung“ ist auch für Nachwuchswissenschaftler*innen eine attraktive Möglichkeit der Veröffentlichung. Was könnte für Interessierte besonders reizvoll sein?

Bei der Überlegung, welche Schwerpunkthefte wir planen, beziehen wir als Herausgeberinnen und Herausgeber immer auch Projekte mit ein, von denen wir wissen, dass dort auch Nachwuchswissenschaftlerinnen mitwirken und z.B. promovieren. Wir ermutigen diese dann auch, Ihre Ergebnisse oder zumindest Teile davon, in der Frühen Bildung zu veröffentlichen. Gleichzeitig haben wir eine konkrete Neuerung vor: Wir wollen durch die Ausschreibung eines Preises „Young Scientists Best Paper“ für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch attraktiver werden.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll

Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll, Dipl.-Psychologin, seit 2006 Leiterin des Staatsinstitutes für Frühpädagogik (IFP). Studium der Psychologie und Pädagogik an der Universität Regensburg. Promotion 1997 bei Klaus Grossmann im Bereich der Bindungsforschung. Anschließend wissenschaftliche Mitarbeit am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. 2005 Habilitation an der Ludwig-Maximilians-Universität München, seit 2012 APL Professur an der LMU München. Forschungsschwerpunkte: Bindungsentwicklung von der Kindheit bis zum Jugendalter, frühkindliche Bildungsprozesse, Qualitätsbedingungen frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung.

Prof. Dr. Marcus Hasselhorn

Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, geb. 1957. 1977–1983 Studium der Psychologie in Göttingen und Heidelberg. 1983-1985 Promotionsstipendiat am Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München (Arbeitsbereich: Prof. Dr. Franz Weinert). 1986 Promotion. 1985-1992 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Georg-August Universität Göttingen. 1992-1993 Vertretungsprofessur für Entwicklungspsychologie an der Universität Koblenz-Landau. 1993 Habilitation. 1993-1997 Professor für Entwicklungspsychologie an der Technischen Universität Dresden. 1997-2007 Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der der Georg-August Universität Göttingen. Seit 2007 Professor für Psychologie mit dem Schwerpunkt Bildung und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt und Direktor der Abteilung Bildung und Entwicklung am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in Frankfurt am Main. Arbeitsschwerpunkte: Frühe Bildung, pädagogisch-psychologische Diagnostik, Lernstörungen.