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Glücksspielsucht im Umfeld

Unter einer Glücksspielsucht leidet häufig nicht nur der Betroffene selbst, sondern auch sein Umfeld, v.a. Familienmitglieder und Freunde. Wie kann man als Angehöriger oder Freund helfen und gleichzeitig auch mit der eigenen Belastung umgehen?

Wir haben mit Dr. Ursula G. Buchner und Annalena Koytek, den Autorinnen des Ratgebers "Deine Spielsucht betrifft auch mich", gesprochen.

Was ist Glücksspielsucht?

Frau Dr. Buchner, Frau Koytek, was sind eigentlich Glücksspiele?
Bei Glücksspielen hängen Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall ab und nicht vom Geschick oder den Entscheidungen der Spieler. Klassischerweise meint man damit Spiele wie Lotto, Lotterien oder Lose, aber auch Spiele, die in Spielbanken gespielt werden: Roulette, Black Jack und Poker. Diese Spielformen werden auch als "Großes Spiel" bezeichnet. Außerdem gehört das Spiel an Automaten in Spielbanken ("Kleines Spiel") oder in gewerblichen Spielhallen dazu. Auch Sportwetten sind Glücksspiele. Rechtlich betrachtet handelt es sich nur dann um Glücksspiele, wenn ein Entgelt verlangt wird.
Inzwischen kann man viele Glücksspiele auch online spielen. Leider sind viele Angebote illegal, sodass keine Spielerschutzmaßnahmen, wie z.B. Spielersperren, existieren.

Was genau versteht man unter einer Glücksspielsucht?
Von einer Glücksspielsucht oder einer Störung durch Glücksspielen spricht man, wenn Personen sehr stark vom Spielen eingenommen sind, ihr Spielverhalten nicht mehr unter Kontrolle haben – also länger und für mehr Geld spielen als geplant – und nicht mehr dazu in der Lage sind, mit dem Spielen ganz aufzuhören oder es einzuschränken. Sehr häufig lügen Betroffene ihre Angehörigen über die Häufigkeit des Spielverhaltens an und versuchen, die Verluste zu verheimlichen. Viele reagieren gereizt oder ärgerlich, wenn sie nicht spielen können, und nutzen Glücksspiele, um ihre Stimmungen auszugleichen und Problemen aus dem Weg zu gehen.
Glücksspielsucht ist eine anerkannte Krankheit, bei der nach einer Diagnose durch eine Fachkraft von den Krankenkassen bzw. Rentenversicherungsträgern die Therapie gezahlt wird. Erste Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige sind häufig (spezialisierte) Suchtberatungsstellen.

Anzeichen für Glücksspielsucht

Woran merkt man, dass ein Freund oder ein Familienmitglied süchtig sein könnte? Muss man sich Sorgen machen, wenn mittwochs und samstags Lotto gespielt wird?
Bei betroffenen Glücksspielern ist es zum Teil schwierig, die Krankheit zu erkennen, da z.B. äußerliche Merkmale wie eine Alkoholfahne fehlen. Betroffene können oft sehr lange über ihre wahre Situation hinwegtäuschen. Es gibt aber auch viele Menschen, die regelmäßig an Glücksspielen wie Lotto teilnehmen und keine Probleme mit ihrem Spielverhalten haben, sondern das Spiel als Unterhaltung nutzen. Allerdings gibt es keine Spielform ohne Risiko.
Ein Hinweis für eine Glücksspielsucht kann sein, dass die betroffene Person unter ihrem Glücksspielverhalten leidet und keine Kontrolle darüber hat. Sie sollte dann unterstützt werden. Weitere Anhaltspunkte können sein, dass heimlich gespielt wird, wenn sich jemand andauernd gedanklich mit dem Spielen beschäftigt oder wenn das Glücksspielen zu finanziellen Problemen führt. Auch das Anlügen nahestehender Personen über das Glücksspielverhalten und über die Höhe des verspielten Geldes ist ein Warnsignal.
Wichtig ist: Wenn Sie sich Sorgen über das Glücksspielverhalten einer anderen Person machen, können Sie sich jederzeit an eine (spezialisierte) Suchtberatungsstelle wenden und Ihre Sorgen schildern. Die Fachkräfte dort können Sie bei der Einschätzung unterstützen und Ihnen gegebenenfalls Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Bereits bei einer beginnenden Erkrankung gibt es vielfältige negative Auswirkungen. Daher ist es gut, wenn Betroffene möglichst früh Hilfen erhalten.

Welche Probleme berichten Angehörige von Glücksspielsüchtigen am häufigsten?

In vielen Fällen kommen Angehörige – ebenso wie betroffene Spieler – aufgrund finanzieller Schwierigkeiten in die Beratung. Sie berichten dann häufig auch davon, dass die Betroffenen mehr und mehr Zeit mit Glücksspielen verbringen und dadurch z.B. Verabredungen versäumen oder auch keine Zeit mehr haben, um gemeinsam etwas zu unternehmen. Auch ist es belastend, wenn die Betroffenen häufig gereizt und angespannt sind.
Das Angebot an Glücksspielen im Internet nimmt zu.

Die Rolle als Angehöriger

Wie kann man mit den Belastungen durch die Sucht eines Familienmitgliedes umgehen? Sollte man sich auch selbst Unterstützung suchen?
Es gibt verschiedene Strategien, die dabei helfen können, mit so einer schwierigen Situation umzugehen. Viele Angehörige versuchen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das erkrankte Familienmitglied zu unterstützen, und verlieren dabei sich selbst aus dem Blick. Es ist aber immer wichtig, auch gut für sich selbst zu sorgen und die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen, damit mittel- und langfristig nicht die eigene Gesundheit leidet.
Unterstützung sollte man sich spätestens dann suchen, wenn man merkt, dass es einem selbst nicht mehr gut geht, wenn man also beispielsweise schlecht schläft, keinen Appetit mehr hat oder Magenprobleme bekommt. Neben der hausärztlichen Praxis können hier insbesondere (Sucht-)Beratungsstellen hilfreiche Anlaufstellen sein.

Was kann man tun, wenn ein Angehöriger seine Sucht nicht wahrhaben will und eine Behandlung verweigert?
In einem solchen Fall muss man für sich selbst überlegen, wie man mit der Situation umgehen möchte. Grundsätzlich kann man immer nur das eigene Verhalten verändern. Es ist aber durchaus möglich, dass eine Veränderung des eigenen Verhaltens den Betroffenen dazu anregt, sein Verhalten ebenfalls zu überdenken, und ihn dazu motiviert, etwas gegen die Sucht zu unternehmen. Dafür gibt es allerdings keine Garantie. Gerade in so schwierigen Situationen, wenn man selbst eine Veränderung möchte, der andere aber nicht, ist eine professionelle Unterstützung hilfreich.

Wie viel Einfluss hat man als Angehöriger überhaupt? Gibt es auch Situationen, in denen nur noch ein Kontaktabbruch hilft?
Als Angehöriger hat man, wie gesagt, in erster Linie Einfluss auf das eigene Verhalten. Viele Betroffene berichten im Nachhinein aber auch, dass ihre Angehörigen sie dabei unterstützt und dazu motiviert haben, Hilfe anzunehmen. Dennoch gibt es auch Situationen, in denen ein Kontaktabbruch – manchmal auch vorübergehend – hilfreich für die Angehörigen ist. Dieser Schritt wird von Angehörigen meist dann genutzt, wenn der Betroffene keine Veränderung möchte oder zulässt und es den Angehörigen selbst mit der Situation sehr schlecht geht. Wichtig ist, dass das Verhalten der Angehörigen konsequent ist und sie ihr eigenes Wohlbefinden wieder stärker in den Mittelpunkt rücken.

Glücksspielsüchtige können zwar wieder in ein ganz normales Leben zurückfinden, Rückfälle lassen sich aber nie ganz ausschließen. Wie kann man als Angehöriger mit der Angst vor einem Rückfall umgehen?
In der Tat kann man auch bei einer langen Glücksspielfreiheit einen Rückfall nie ganz ausschließen. Für Angehörige ist dieses Wissen sehr belastend, Angst und Ungewissheit bleiben häufig lange bestehen. In vielen Fällen geht ja mit der Erkrankung eine lange Phase des Verheimlichens und des Lügens über das Ausmaß der Glücksspielproblematik einher. Das in dieser Zeit verlorene Vertrauen muss erst nach und nach wiederaufgebaut werden. Häufig wird es dann auch zunehmend leichter, offen über belastende Themen zu sprechen. Wichtig ist, dass nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Angehörige darauf achten, die neu erlernten Bewältigungsstrategien anzuwenden und Probleme frühzeitig und in einem konstruktiven Rahmen anzusprechen. Betroffene können so nach und nach lernen, sich bei ersten Anzeichen von sogenanntem "Suchtdruck" Hilfe zu holen. Damit wird die Situation meist auch für die Angehörigen einfacher.hm

Dr. Ursula G. Buchner

Dr. Ursula G. Buchner lehrt seit 2017 an der H:G Hochschule für Gesundheit & Sport, Technik & Kunst in Ismaning.
Von 2008 bis 2017 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS).

Dipl.-Psych. Annalena Koytek

Annalena Koytek ist seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS).

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