ADHS-E – das ADHS-Screening für Erwachsene

Das erfolgreiche ADHS-Screening für Erwachsene, das ADHS-E, ist in 3. Auflage erschienen. Es umfasst ein Kernscreening (ADHS-E) und eine Langfassung, das ADHS-LE, das unter anderem auch ein Alkohol-, Drogen- und Medikamentenscreening enthält. Wir haben mit den beiden Autoren Prof. Dr. Sören Schmidt und Dr. Frederic Hilkenmeier über die wichtigsten Neuerungen der aktuellen Ausgabe und die Besonderheiten der adulten ADHS gesprochen. 

AHDS bei Erwachsenen Chaos im Kopf ADHS Screening Foto: shutterstock / Billion Photos

Der Test bezieht sich auf ADHS im Erwachsenenalter, wird diese nicht in der Regel bereits im Kindesalter diagnostiziert? Gibt es Unterschiede bei den Symptomen zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen?

ADHS ist eine Störung in der Lebensspanne, die bereits im Kindesalter auftritt und überwiegend auch dann diagnostiziert wird. Erwachsene können jedoch ebenfalls betroffen sein. Einige leben mit der Diagnose bereits seit dem Kindesalter, bei anderen ist ein diagnostischer Prozess im Kindesalter jedoch nicht erfolgt, so dass sie erst im Erwachsenenalter nach therapeutischer Unterstützung suchen. Diagnostisch betrachtet gilt für Kinder und Erwachsene mit ADHS gleichermaßen die Symptomtrias aus Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität, wie sie insbesondere in den Klassifikationssystemen ICD-11 oder DSM-5 verankert sind. Die Art und Weise, wie sie sich ausprägen, unterscheidet sich jedoch qualitativ zwischen den Altersgruppen. So zeigt sich beispielsweise die motorische Hyperaktivität bei Erwachsenen seltener und weicht einer inneren Unruhe. Diese wird von den Betroffenen allerdings als nicht weniger belastend wahrgenommen, zeigt sich „nach Außen“ aber anders als eine ausgeprägte Hyperaktivität. Auch Impulsivität und Unaufmerksamkeit wirken sich altersspezifisch aus. Die Unaufmerksamkeit kann sich z.B. in Schwierigkeiten in der Organisation von Terminen ausdrücken, was im Beruf oder auch privat zu Problemen führen kann; die Impulsivität kann in Schwierigkeiten in der Unterdrückung von konkreten Stimuli ihren Ausdruck finden, was zum „undurchdachten“ Treffen von Entscheidungen (z.B. impulsive Käufe) führen kann und ebenfalls im Alltag oft als problematisch erlebt wird. Somit ist es im Erwachsenenalter besonders wichtig, im diagnostischen Prozess darauf zu schauen, welche Probleme individuell aus den zugrundeliegenden funktionellen Beeinträchtigungen durch die Störung entstehen. Diese stehen bei einer Vorstellung in der Klinik oder in der Praxis oft im Vordergrund. 

Das ADHS-Screening für Erwachsene wurde vor 15 Jahren das erste Mal veröffentlicht. Was hat sich jetzt in der neuen 3. Auflage verändert, welche Entwicklungen wurden einbezogen?

Zum einen wurde bei der neuen Auflage darauf geachtet, dass die erfassten Problembereiche auch über die diagnostischen Kriterien im ICD-11 abbildbar sind. In diesem Fall waren allerdings keine größeren Anpassungen vorzunehmen, da das Verfahren schon ab der ersten Auflage die im DSM-5 (damals noch DSM-IV) abgebildeten Erscheinungsformen der ADHS weitestgehend berücksichtigt hat. Diese finden sich heute überwiegend im ICD-11 wieder und waren auch damals schon nach ICD-10 darstellbar. Die größte Veränderung bezieht sich in der vorliegenden Form auf eine umfangreiche Anpassung auf Skalen- und Itemebene und einer Überprüfung der psychometrischen Basis des Verfahrens. Die Skalen wurden im Rahmen umfassender konfirmatorischer Faktorenanalysen überprüft und neu angepasst. Daraus resultierte sowohl im Kernscreening ADHS-E als auch der Fragebogenlangform ADHS-LE ein geringerer Itemumfang bei gleichbleibender oder besserer psychometrischer Güte gegenüber den Vorgängerversionen. Auch die Validierung basiert auf einer breiteren methodischen Basis als in der Ursprungsversion, so dass insgesamt gesagt werden kann, dass die Güte des Verfahrens nach wie vor klar gegeben ist, dem oder der Anwender*in nun aber ein deutlich zeiteffizienteres Verfahren zur Verfügung steht.

Sie haben in die neue Auflage auch Erfahrungen aus der Praxis eingearbeitet, sowohl eigene als auch die von anderen Anwender*innen, können Sie uns hierfür Beispiele geben?

Ein zentrales Element war die Kürzung des Itemumfangs und damit eine Erhöhung der Zeitökonomie in beiden Fragebögen, da sich das ADHS-E gesamthaft auf das Selbsturteil bezieht und gemäß S3-Leitlinie damit „nur“ eines von mehreren wesentlichen Elementen im diagnostischen Prozess darstellt. Gleichzeitig durfte darunter die psychometrische Güte nicht leiden, was für uns handlungsleitend war. Das ADHS-E verfügt zudem nun über eine feinere Skalierung (sechsstufig) und sowohl im ADHS-E als auch ADHS-LE erfolgt die Erfassung ausschließlich problemorientiert, was zu einer Verbesserung der Reliabilität geführt hat. Eine weitere wesentliche Anmerkung aus der Praxis (und auch aus der eigenen Erfahrung) war die etwas „sperrige“ und zeitlich langwierige Auswertung anhand der Auswertungsschablonen, insbesondere im ADHS-LE. Hier hat es eine umfassende Anpassung gegeben, so dass beide Fragebögen sehr viel intuitiver und vor allem deutlich schneller auswertet werden können, was dem Einsatz im therapeutischen Setting besonders entgegenkommen dürfte.

Welche Bereiche werden mit dem ADHS-E gescreent?

Es sind zum einen die im ICD-11 enthaltenen Problemdimensionen Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität (innere Unruhe), aber eben auch Problemfelder, die für das Erwachsenenalter spezifisch sind und die bereits in den vorangegangenen Versionen enthalten waren. Dies sind insbesondere Beeinträchtigungen im Rahmen von Emotionen und Affekt, einer oft ausgeprägten Stressintoleranz sowie – nur im ADHS-LE – eine Skala zur retrospektiven Erfassung von relevanten Symptomen in der Kindheit.

In letzter Zeit wurde in den Medien relativ viel zur Diagnose ADHS bei Frauen veröffentlicht. Werden geschlechtsspezifische Unterschiede thematisiert?

Das ADHS-E orientiert sich im Schwerpunkt an der Erfassung der zentralen diagnostischen Kriterien, die für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Im Rahmen der Normierung wurde daraufhin überprüft, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede in der Beantwortung der Items gab: Hier ließen sich jedoch in allen Altersgruppen keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen, so dass wir auf eine geschlechtsspezifische Erstellung von Normentabellen verzichtet haben. Wenngleich sich die Störung im Alltag und im qualitativen Empfinden erlebter Beeinträchtigungen durchaus geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausprägen kann, so ist dies auf der Ebene der in den Fragebögen abgefragten diagnostischen Kriterien jedoch nicht festzustellen. 

Das ADHS-E enthält das Kernscreening sowie eine Langform, das ADHS-LE – wann sollte welche Form eingesetzt werden?

Das Kernscreening ADHS-E dient mit seinen 15 Items einer ersten Abschätzung möglicher ADHS-Symptome. Somit dient diese Fragebogenversion eher der Abklärung eines ersten diagnostischen Eindrucks und – abhängig vom Ergebnis – einer weitergehenden und ausführlicheren Erfassung möglicher Symptome einer ADHS. Hier kann z.B. die Fragebogenlangform ADHS-LE zusätzlich zum Einsatz kommen. Diese erfasst die Symptomlage etwas differenzierter und mit mehr Items und verfügt zudem über eine retrospektive Skala, die mit der Erfassung von Symptomen einer ADHS im Kindesalter ein weiteres wesentliches diagnostisches Kriterium erhebt. Bezüglich einer Verlaufskontrolle im Rahmen einer therapeutischen Behandlung ließe sich wiederum das Kernscreening ADHS-E heranziehen. Dieses verfügt über eine feinstufigere Skalierung (sechsstufig) gegenüber dem ADHS-LE (vierstufig) und kann somit Veränderungen auf der Symptomebene sensibler abbilden. Zudem verfügt das Kernscreening über neue Normen und ist durch die Anpassungen auf der Itemebene nicht mehr „nur“ eine verkürzte Version der Fragebogenlangform Langform ADHS-LE. Beide Verfahren sind autarker geworden und lassen sich entsprechend der zugrundliegenden Fragestellung auch voneinander unabhängig anwenden. 

Warum enthält das ADHS-LE ein Substanzmittelscreening?

Komorbider Substanzmittelmissbrauch ist bei ADHS häufig festzustellen. Die Gründe dafür sind vielfältig, für den therapeutischen Prozess jedoch elementar. Schon bei der Erstauflage des ADHS-E war es das Ziel, dem oder der Anwender*in ein Instrument an die Hand zu geben, mit welchem er oder sie Substanzmittelkonsum direkt miterfassen und dabei vor allem auch die qualitativen Merkmale des Empfindens (Stichwort Selbstmedikation) berücksichtigen kann. Was ebenfalls wichtig ist: Prinzipiell lässt sich das Screening auch unabhängig von der Bearbeitung des ADHS-LE durchführen, sofern der Anwender dies für sinnvoll erachtet. Die Auswertung des Screenings ist von beiden Fragebogenversionen unabhängig.

Kann auf Basis der Fragebögen des ADHS-E eine ADHS-Diagnose gestellt werden?

Nein, das ist nicht möglich. Um die Diagnose einer ADHS zu vergeben, ist gemäß ICD-10/ICD-11 erforderlich, dass neben den zu erfassenden diagnostischen Verhaltens- und Funktionsbeeinträchtigungen, wie sie in den Fragebögen ADHS-E/ADHS-LE erhoben werden, auch Einschätzungen zum dadurch entstehenden Leidensdruck in verschiedenen Lebensbereichen einer betroffenen Person (z.B. in der Familie und bei der Arbeit) getroffen werden müssen. Hier liegt es an der Fachperson selbst, weitere diagnostische Schritte einzuleiten, die über die Erfassung eines Fragebogens im Selbsturteil hinausgehen. Ebenfalls wichtig: Das ADHS-E kann über beide Fragebogenversionen zwar das dimensionale Ausmaß der darin enthaltenen Kernsymptome abbilden, deren Ursachenabschätzung bedarf aber einer ausführlicheren differenzialdiagnostischen Einordnung, da Symptome einer ADHS auch bei anderen (psychischen) Störungen auftreten können. Hierzu bedarf es weiterer diagnostischer Schritte und auch den Einsatz weiterer diagnostischer Verfahren.

Was ist bei der Durchführung des ADHS-E zu beachten, gibt es spezielle Anforderungen für die Umgebung und Atmosphäre?

Durch die standardisierten Instruktionen ist das ADHS-E mit beiden Fragebogenversionen einfach und schnell durchführbar. Somit bedarf es keiner besonderen Vorbereitung. Mit Blick auf die Umgebung sollte gewährleistet sein, dass eine ablenkungsarme Durchführung möglich ist, um aus Ablenkung resultierende Messfehler zu vermeiden. Wie bei allen diagnostischen Maßnahmen sollte zudem eine vertrauensvolle Testatmosphäre hergestellt werden. Dies ist vor allem mit Blick auf das Substanzmittelscreening essentiell, da bei Patient*innen häufig die Sorge besteht, dass die darin getätigten Angaben über den therapeutischen Kontext hinaus zu schwerwiegenderen Konsequenzen führen können. Hier sollte der oder die Anwender*in hinreichend Zeit einplanen, um die Durchführung behutsam zu instruieren und daraus entstehende Fragen zu beantworten.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Sören Schmidt

Prof. Dr. Sören Schmidt, geb. 1977. 1999 – 2005 Studium der Psychologie an der Universität Bremen. 2005 – 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Post-Doc am Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Diagnostik, Universität Bremen, 2005 – 2011 parallel Mitarbeiter an der psychologischen (Kinder-) Ambulanz am Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation (ZKPR, Universität Bremen). 2013 – 2014 Hochschuldozent an der Hochschule Fresenius in Köln und Düsseldorf, von 2014 – 2021 Professor für Angewandte und Klinische Psychologie an der Hochschule Fresenius in Köln, Düsseldorf und Hamburg. Seit September 2021 Professor für Psychologie in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Emden/Leer.

Dr. Frederic Hilkenmeier

Dr. Frederic Hilkenmeier, geb. 1983. 2004 – 2007 Studium der Psychologie an der Universität Hamburg. 2007 – 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl kognitive Psychologie, Universität Paderborn. 2012 – 2015 Post-Doc am Lehrstuhl Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Paderborn. Seit 2015 Hochschuldozent an der Hochschule Fresenius in Hamburg.

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