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Als Erste am Unfallort – wie schnelle Rettung gelingt

ITLS – International Trauma Life Support ist eine weltumspannende Organisation mit dem Ziel, die Sterblichkeit und die Behinderungsrate nach Verletzungen zu senken. Das Fachbuch „Access – als Erste am Unfallort“ zeigt, wie schnelle Rettung gelingen kann und z.B. mit einfachen Mitteln Unfallopfer von Rettungskräften geborgen werden können. Wir haben mit Herausgeber Johannes Pranghofer, Lehrbeauftragter beim ITLS, über das Konzept gesprochen und erfahren, welche Chancen es bietet.

Ersthelfer Rettungssanitäter am Unfallort

Wie würden Sie das Konzept von ITLS „International Trauma Life Support“ beschreiben, in wie vielen Ländern wird es angewandt und seit wann ist es in den deutschsprachigen Ländern in Anwendung?

Das Grundkonzept von ITLS ist letztlich die Zahl an Behinderungen und/ oder Todesfällen nach einem schweren Unfall weltweit zu reduzieren. Dies ist Motto und Auftrag. Der amerikanische Mutterverband und der in Deutschland ansässige Verein International Trauma Life Support Germany e. V. haben genau dies zu Ihrer Aufgabe gemacht und setzen es im Rahmen eines Lehrgangssystems, welches Anfang der 1980er Jahre durch den Gründer John E. Campbell entwickelt wurde, um. Bei praktischen Fortbildungsveranstaltungen lernen Kursteilnehmende (meist aus dem Bereich der präklinischen Versorgung, also Rettungssanitäter*innen, Notfallsanitäter*innen und Notärzt*innen) die notwendigen Inhalte und Handgriffe, um schwer- und schwerstverletzten Personen adäquat zu helfen. Dabei vermittelt ITLS einen Handlungskompentenz-orientierten Ansatz und baut auf das Vorwissen der Kursteilnehmenden auf. Wissenschaftlich evaluierte Erkenntnisse werden in umsetzbare Lerneinheiten transformiert und durch die Teilnehmenden diskutiert, ausprobiert und trainiert. In Deutschland ist der Verein seit gut 20 Jahren aktiv.

In welchen Situationen sind Rettungsdienste die Ersten vor Ort, etwa vor der Feuerwehr und vor welche Probleme sind sie dort oft gestellt?

In vielen Regionen sind Rettungswachen regelhaft mit professionellen Einsatzkräften 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr besetzt. Dem entgegen stehen viele gut ausgebildete und professionelle agierende freiwillige Feuerwehren, die Ihren Dienst zwar auch im gleichen zeitlichen Ansatz leisten, gleichzeitig aber durch die Natur der Freiwilligkeit erst von zu Hause oder der Arbeitsstelle zum jeweiligen Stützpunkt eilen müssen, dort die Fahrzeuge besetzen und zur Einsatzstelle fahren. Aus diesem Umstand heraus kommt es in einigen Fällen dazu, dass die Rettungsdienste früher vor Ort sind. Bedauerlicherweise wird dieser Umstand auch durch eine Ehrenamtsmüdigkeit begünstigt, wodurch ggf. freiwillige Feuerwehren auch unter einem Mangel an Einsatzkräften leiden. Im Kontext von Verkehrsunfällen sind führende Herausforderungen für die ersteintreffenden Kräfte, sich ein passendes Lagebild zu machen (beispielsweise Anzahl der Verletzten/ Betroffenen) und noch wichtiger, die Einsatzstelle abzusichern. Nur an einer sicheren Einsatzstelle sind alle Einsatzkräfte in der Lage, ihre Fertigkeiten und Fähigkeiten vollumfänglich zu nutzen, um damit die bestmögliche Hilfe anzubieten.
 

Wie kann man sich eine ideale Zusammenarbeit zwischen Feuerwehr und Rettungskräften vorstellen?

Die bestmögliche Zusammenarbeit fußt auf gegenseitigem Respekt in Anerkennung der jeweiligen Fertigkeiten und Fähigkeiten mit den jeweiligen Spezialisierungen. Im Mittelpunkt muss immer der oder die Patient*in stehen. Daher sind persönliche Befindlichkeiten und allzu große Egos fehl am Platz. Vielmehr ist ein sogenanntes Konzept der gleichen Sprache, gleiche Ziele sowie regelmäßiger Austausch, Übungen und Einsatznachbesprechungen ein Garant dafür, dass eine gute Zusammenarbeit funktioniert und zukunftsträchtig aufgestellt ist.

Glücklicherweise ist die Zahl der tödlichen Unfälle zurückgegangen. Mit welcher Art von Unfällen ist in den meisten Fällen zu rechnen, z.B. auf der Landstraße?

Statistisch gesehen sind Unfälle mit einem Frontalaufprall auf Landstraßen am häufigsten. Hier kommt es zu sogenanntem Begegnungsverkehr mit Geschwindigkeiten mit bis zu 100km/h. Durch den Umstand eines Frontalaufpralls kommt es naturgemäß dazu, dass mindestens 2 Personen durch den Unfall betroffen und ggf. verletzt sind. Nämlich die beiden Fahrzeugführer*innen. Selbstverständlich kann sich diese Zahl durch etwaige Mitfahrer*innen noch erhöhen

Was versteht man unter der „goldenen Periode“ und den „platinen zehn Minuten“?

Bei der „goldenen Periode“ handelt es sich um eine wissenschaftlich evaluierte Zeitspanne die einfach ausgedrückt besagt, dass ein*e schwerverletzte*r Patient*in dann eine gute Überlebenschance hat, wenn er*sie binnen einer Stunde nach dem Unfallereignis eine (unfall-)chirurgische Versorgung in einer geeigneten Behandlungseinrichtung (ggf. Operationssaal) erhält. Innerhalb dieser goldenen Periode haben die ersten 10 Minuten nach dem Unfallereignis nochmals einen besonderen Stellenwert, daher „platine zehn Minuten“. Sollte durch das Unfallereignis ein lebensbedrohlicher Zustand eingetreten sein, beispielsweise eine lebensbedrohliche Blutung, dann muss diese binnen zehn Minuten mit geeigneten Mitteln erstversorgt sein, sprich die Blutung gestoppt werden, sonst hängt das Überleben des Verletzten sprichwörtlich am seidenen Faden.

Gibt es Erfahrungswerte, welche Maßnahmen besonders schwierig sind für Rettungskräfte?

Einsatzstellen sind immer dynamisch und so lässt sich hier keine klare und eindeutige Antwort geben. Was aber gesagt werden kann, ist, dass ein hohes Maß an Training und Übung die Rettungskräfte darauf vorbereitet, dass so wenig wie möglich schwierige Situationen entstehen bzw. die Herausforderungen kleingehalten werden können, respektive immer geeignete Lösungsstrategien entwickelt werden können. ITLS Germany e. V. bietet durch sein Lehrgangsportfolio mit den zugehörigen Lehrbüchern genau eine solche Möglichkeit, auf seltene und ggf. außergewöhnliche Situationen bestmöglich vorbereitet zu sein.

Durch ITLS Access können viele Personen gerettet und Behinderungen vermieden werden. Schützt es aber auch die Rettungskräfte selbst z.B. vor psychischen Belastungen, weil die Hilfe effizienter ist und die Schritt-für-Schritt-Anleitungen Sicherheit geben?

Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten konnten beweisen, dass Hilflosigkeit und manchmal auch Überforderung ein wesentlicher Faktor sind, wenn psychische Belastungen entstehen. Daher kann ich mich nur wiederholen: Durch gute Vorbereitung im Sinne von Fortbildungen und praktischem Training werden u. a. zwei Dinge geschaffen: eine optimierte Patientenversorgung und Handlungssicherheit. Diese Handlungssicherheit steht der angesprochenen Hilflosigkeit entgegen und wirkt sich somit auch positiv auf die Gesundheit der Rettungskräfte aus.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Johannes Pranghofer

Johannes Pranghofer, 1983 in Stuttgart geboren. Rettungsassistentenausbildung beim Malteser Hilfsdienst in Frankfurt, danach Ausbildungsleitung dort sowie u.a. erweiterte Betriebsleitung bzw. Rettungswachenleitung Nebenbei ehrenamtliche Tätigkeit im Katastrophenschutz der Stadt Frankfurt am Main. Neben der beruflichen Tätigkeit Studium in Notfall- und Krisenmanagement sowie Hochschulpädagogik mit anschließendem Wechsel an die Malteser Rettungsdienstschule Hessen in Wetzlar. Berufsbegleitend Studium zum Manager im Gesundheitswesen und seit 2021 Schulleiter der Malteser Rettungsdienstschule Baden-Württemberg in Korntal bei Stuttgart. Seit 10 Jahren im Verein International Trauma Life Support Germany e. V. als Instruktor engagiert und seit gut 5 Jahren in der Rolle und Aufgabe des nationalen Lehrbeauftragten. Besonderer Fokus auf die Anpassung des ITLS Access Formats auf deutsche Bedingungen und Transformation in ein fallbasiertes Lernkonzept mit hohem praktischen Anteil.