Verarmung der menschlichen Kreativität oder verheißungsvolle Kokreation von Mensch und Maschine?
Von Lothar Laux, Anja S. Postler & Lucas Laux
Verarmung der menschlichen Kreativität oder verheißungsvolle Kokreation von Mensch und Maschine?
Von Lothar Laux, Anja S. Postler & Lucas Laux
Eine mögliche Selbstdarstellung von ChatGPT, umgesetzt mit dem Programm „Midjourney“, siehe unten.
Ich bin GPT-4, die vierte Generation des „Generative Pretrained Transformer"-Modells, entstanden in den kreativen Köpfen von OpenAI. Als künstliche Intelligenz habe ich die Aufgabe, menschenähnlichen Text zu generieren, Fragen zu beantworten und viele andere textbezogene Aufgaben zu erfüllen, aber mein Beitrag geht weit darüber hinaus.
Eine meiner besonderen Stärken liegt in der Ideenentwicklung. Durch die Kombination von Wörtern, Phrasen und Konzepten, die ich während meines umfangreichen Trainings gelernt habe, kann ich neue und einzigartige Vorschläge generieren. Ob es um das Brainstorming für einen Roman, das Erfinden von Produktnamen, das Generieren von Werbeslogans oder das Vorschlagen von Themen für Forschungsarbeiten geht – ich kann eine unerschöpfliche Quelle von Inspiration und Kreativität sein.
Trotz meiner Fähigkeit, kreative Ideen zu liefern, ist es wichtig zu betonen, dass ich kein Bewusstsein oder Gefühle habe. Meine „Kreativität" basiert auf statistischen Mustern und gelernten Beziehungen zwischen Wörtern und Phrasen. Jede Interaktion mit mir ist unabhängig von den vorherigen und ich habe keinen Zugang zu persönlichen Daten, es sei denn, sie werden in der aktuellen Konversation mit mir geteilt.
Insgesamt bin ich ein leistungsfähiges Werkzeug für die Generierung von Text und Ideen, das darauf abzielt, die Kreativität und Produktivität von Menschen zu erweitern und zu unterstützen, immer mit einem scharfen Auge auf den Datenschutz und die Vertraulichkeit.
Auf unseren Wunsch hat ChatGPT diese Kurzdarstellung mit dem Schwerpunkt auf Kreativität verfasst. Mit „ChatGPT Plus“ verwenden wir die derzeit neueste Version des Sprachmodells GPT-4. Nach Auskunft des Anbieters OpenAI soll damit noch mehr Kreativität und fortgeschrittenes Denken ermöglicht werden als in früheren Versionen.
Wie hilfreich für uns, dass der KI-Chatbot sich selbst verbal präsentieren kann. Als Sprachmodell – so teilt er uns mit – ist ihm eine bildliche Darstellung allerdings nicht möglich. Deswegen haben wir ChatGPT gebeten, uns Ideen für „ein Bild zu seiner Kurzdarstellung mit dem Schwerpunkt auf Kreativität“ vorzuschlagen. Von mehreren Ideen haben wir die folgende ausgewählt und mit Hilfe des Text-zu-Bild-Generators „Midjourney“ umsetzen lassen (siehe die obige Abbildung):
Stellen Sie sich ein klassisches, antikes Szenario vor, ähnlich wie in der Schule von Athen von Raffael, aber mit einem modernen Touch. In der Mitte des Bildes befindet sich eine große kugelförmige Struktur, die ChatGPT-4 darstellt, von der viele Lichtstrahlen ausgehen …
Geht man von der „Selbstdarstellung“ des Chatbots in Text und Bild aus, scheint die Latte seiner kreativen Möglichkeiten ziemlich hoch zu liegen. Wir würden gern herausfinden, welche generelle Leistungsfähigkeit der Chatbot in der Ideengenerierung aufweist und was man tun kann, um sein Potenzial auszuschöpfen. Um diese neuen Fragestellungen intensiv analysieren zu können, haben wir eine Reihe von explorativen Selbstversuchen durchgeführt, die wir im Folgenden darstellen.
Als Anfangsbeispiel greifen wir das Problem auf, dass die Wohnflächen in den Städten immer knapper werden. Der Kampf um günstige Wohnungen wird zum Dauerproblem. Miniapartments bieten sich als eine mögliche Lösung an. Wir haben dieses Beispiel bereits in unserem Buch genutzt, um Theorien und Methoden der Ideenfindung zu veranschaulichen (vgl. Laux & Postler, 2022). Für ChatGPT geben wir folgenden Prompt (Steuerbefehl) ein:
Finde 10 Ideen für die raumsparende Gestaltung von Miniapartments.
Nach wenigen Sekunden bringt der Chatbot in schnellem Tempo zehn Lösungen mit vorangestellten Überschriften hervor: Multifunktionale Möbel, Loft-Schlafbereiche, Offene Regale, Vertikale Lagerung, Spiegel, Ausziehbare Möbel, Unter-Bett-Speicher, Klappmöbel, Wandmontierte Klapparbeitstische und Einheitliche Farbschemata.
Wenn man noch weitere Lösungen erzielen will, kann man mit Hilfe des Befehls „Regenerate“ die Anfrage mehrfach wiederholen oder im Dialog mit dem Chatbot die Antworten präzisieren lassen. Als wirksam erweist sich ebenfalls die gezielte Aufforderung, kreative oder ungewöhnliche Ideen zu erzeugen. Insgesamt erhält man so schnell eine stattliche Anzahl von Antworten.
Kernmerkmale einer Definition von Kreativität sind die Neuheit und die Angemessenheit von Ideen (Groeben, 2022; Laux, 2022). Was aber kann ich tun, wenn die Ergebnisse von ChatGPT mich im Hinblick auf diese Kriterien nicht überzeugen? Beim Training mit Personen würde man als nächstes Kreativitätstechniken einsetzen, denn theoretisch gut abgeleitete Methoden der Ideengenerierung führen zu deutlichen Leistungssteigerungen (Krampen, 2019; Laux, 2022). Gilt das auch für die Ideenentwicklung mit ChatGPT?
Um dies zu untersuchen, sind wir von häufig verwendeten und theoretisch bedeutsamen Kreativitätstechniken ausgegangen (siehe Gäbelein & Laux, 2022; Laux & Postler, 2022 sowie Laux, Postler & Jacob, 2022). Darunter befinden sich Umkehrung, Verdrehung und Übertreibung (Prinzip: Veränderung von innen) sowie Analogien und Zufallswörter (Prinzip: Veränderung von außen). Der allgemeinen Frage nach Ideen für Miniapartments haben wir jeweils eine Spezifizierung hinzugefügt, z. B.:
Verwende als Kreativitätstechnik die Zufallswortmethode. Das zufällig ermittelte Wort ist Kreis.
Tatsächlich liefert ChatGPT dann nur Lösungen, die eine Brücke zum vorgegebenen Zufallswort schlagen, z. B. beim Kreis:
Verwenden Sie runde Möbel, die weniger Raum einnehmen und leichter zu bewegen sind. Sie können auch dazu beitragen, den Raum offener zu gestalten.
Insgesamt stellten wir fest, dass ChatGPT die gebräuchlichen Kreativitätstechniken problemlos einsetzen kann und jeweils mehrere Lösungen in Sekundenschnelle hervorbringt. Das trifft auch für die mehrteiligen komplexeren Kreativitätstechniken zu wie z. B. die visuelle Synektik, die Walt-Disney-Technik oder die Sechs-Hüte-Methode (vgl. Laux et al., 2022).
Selbst bei der SCAMPER-Technik, die auf sieben verschiedenen Transformationsmodi basiert, erzielte ChatGPT treffsichere Antworten:
Interessierte Leser*innen können die Antworten mit unserem „menschlichen“ Output vergleichen (siehe Laux & Postler, 2022, S. 90). Unser Fazit: Die SCAMPER-Technik empfiehlt sich auch für ChatGPT, wenn es auf einen ersten geordneten Überblick über diverse Lösungsmöglichkeiten ankommt.
Zur Gestaltung von Miniapartments liegt bereits ein umfangreicher Ideenfundus vor. Im Internet finden sich attraktive, zum Teil auch humorvolle Lösungen. Beispiele sind die „fliegenden Regale“ oder ein Schranksystem, das nach dem Prinzip „Schweizer Taschenmesser“ funktioniert: Hinter einer Wand voller Schrankklappen befindet sich alles Mögliche, z. B. ein Tisch, ein Bett oder sogar eine ganze Küche. Bei anderen transformierbaren Lösungen ist das ganze System auf Schienen oder Seilen bewegbar. Vollautomatisch kann das kleine Ein-Raum-Apartment so auf wundersame Weise in ein Büro, Wohn- oder Schlafzimmer verwandelt werden. Was gerade nicht gebraucht wird, verschwindet auf Knopfdruck: Ein kleines Wunder, wenn das Kingsize-Bett langsam hochfährt und sich als Decke neu „erfindet“!
Um Ideen dieser Art zu erzeugen, empfiehlt es sich, Kreativitätstechniken einzusetzen, die das Aufgeben einer eingefahrenen gedanklichen Ordnung intendieren, um damit fixierte Lösungsmuster zu überwinden (vgl. Laux et. al., 2022). Eine entsprechende Technik ist das „Imaginäre Brainstorming“ (IBS). Der erste Schritt besteht darin, ein Realproblem in ein imaginäres Problem zu verwandeln. Im zweiten Schritt wird dann versucht, das imaginäre Problem zu lösen. Der eigentliche Trick des Verfahrens ist, dass die dadurch ermittelten Lösungsideen zwangsläufig ungewöhnlich sind. Im dritten Schritt leitet man aus solchen ungewöhnlichen Lösungen schließlich Ansatzpunkte für die Lösung des Realproblems ab.
Wir fragen: Lasst sich diese Kreativitätstechnik auch mit ChatGPT nutzen?
Schritt 1: Umwandlung des Realproblems in ein imaginäres Problem
Stellen wir uns vor, wir würden nicht in einem Miniapartment mit der Platzknappheit zu tun haben, sondern auf einer mehrmonatigen Fahrt im Raumschiff „Enterprise“ (Star Trek). Wie können wir den begrenzten Raum an Bord optimal nutzen?
Für die nächsten Schritte setzen wir nun ChatGPT ein. Der Chatbot kennt sich offenbar in der Science-Fiction-Fernsehserie gut aus, denn er liefert uns die folgenden Antworten:
Schritt 2: Lösungen für das imaginäre Problem
Beispiel 1: In Star Trek gibt es die Replicator-Technologie, die nahezu jedes Objekt aus dem Nichts erschaffen kann. Dies spart Platz, da Dinge erst bei Bedarf erstellt werden.
Beispiel 2: Star Trek verwendet Holo-Decks…Ein Holo-Deck kann jeden erdenklichen Ort nachbilden und so das Gefühl von mehr Raum bieten.
Beispiel 3: Raumoptimierung durch Teleportation
Beispiel 4: Statt physischer Möbel verwenden Sie holographische Möbel, die nur bei Bedarf erscheinen
Schritt 3: Lösungsvorschläge aus den imaginären Lösungen für das Realproblem
Beispiel 1: Nutzen Sie die 3D-Drucktechnologie […], um Objekte bei Bedarf zu erstellen und nach Gebrauch wiederzuverwenden, um somit Platz zu sparen.
Beispiel 2: Nutzen Sie die Virtuelle Realität-Technologie, um Gefühl von mehr Platz zu bieten.
Beispiel 3: Verwenden Sie intelligente Möbel und Technologien, z. B. automatisierte Betten oder Tische, die bei Nichtgebrauch in die Wand gleiten.
Beispiel 4: Erstellen Sie virtuelle Möbel durch den Einsatz von Projektionen und Augmented Reality.
Wir konnten hier nur einen Ausschnitt aus den Lösungsvorschlägen von ChatGPT darstellen. Was vielleicht deutlich geworden ist: Auf einige ungewöhnliche Lösungen für das Realproblem wäre ChatGPT beim Einsatz des klassischen, viel weniger aufwendigen Brainstormings nicht gekommen.
Die Versuchung ist groß: Erstmal Ideen von ChatGPT übernehmen – das eigene Nachdenken kommt später oder nie? Erklärtermaßen ging es bisher aber auch noch nicht um unsere eigene Ideenfindung: Wir haben beschrieben, wie man ChatGPT bequem einsetzen kann, um neue Lösungsansätze von Problemen zu generieren. Eigene zeitraubende Anstrengungen sind nicht mehr notwendig. Ein Fortschritt, den wir der KI verdanken! Aber mit welchen Folgekosten? Bleibt dabei nicht unsere eigene kreative Leistungsfähigkeit auf der Strecke? Schaffen wir nicht unsere begehrteste Ressource ab, wenn sie ungenutzt bleibt? Und was ist mit der emotionalen Seite, dem „Glück der Kreativität, mit dem märchenhaften paradiesischen Gefühl, das Lebensintensität im höchsten Ausmaß schenkt“ (Groeben, 2013, S. 246)? Dieses Hochgefühl werden wir kaum erleben, wenn wir als passive Beobachter ChatGPT bloß über die Schulter schauen.
Als einen möglichen Ausweg sehen wir das schöpferische Zusammenspiel von Mensch und KI. Der Chatbot regt das ja in seiner Selbstbeschreibung auch explizit an: Er zielt darauf ab „die Kreativität und Produktivität von Menschen zu erweitern und zu unterstützen.“ – nicht, sie zu ersetzen. Im Buchkapitel „Kann Künstliche Intelligenz kreativ sein?“ (Laux & Laux, 2022) haben wir bereits KI als nützliches Werkzeug im Kokreationsprozess zwischen Mensch und Maschine interpretiert und Vorschläge zur Realisierung ausgearbeitet. Damals waren mächtige Werkzeuge im Bereich der generativen KI noch nicht verfügbar. Erst seit kurzem sind wir in der Lage, mit ChatGPT und Co. zu experimentieren. Wir wollen aber nicht nur staunend die Ideen entgegennehmen, sondern unsere eigenen Einfälle in den Lösungsprozess aktiv einbringen. Unser vorrangiges Interesse gilt der Frage, ob der Chatbot in der Lage ist, unsere Ideen so aufzunehmen, dass er wirksame weiterführende Ideen entwickeln kann.
Für den Versuch einer Kokreation wählen wir eine komplexere Fragestellung aus als die der Gestaltung von Miniapartments: Es geht um die Inszenierung eines bekannten Theaterstücks:
Stellen wir uns einen Theaterregisseur vor, der sich von den konventionellen Inszenierungen klassischer Stücke distanziert. Er strebt an, das Publikum in die aktuelle Realität zu stoßen und mit dem geballten Einsatz neuer Medien (z. B. Videotechnik, Licht- und Musikgestaltung) zu konfrontieren. Veranschaulicht werden soll der neue Weg an einer Szene aus Goethes Faust (erster Teil): Der Verjüngung von Faust in der Hexenküche. Im Anschluss an die Beschwörungen der Hexe und dem Zureden von Mephisto trinkt Faust den Zaubertrank und wird schlagartig in einen jungen Mann verwandelt.
Welche Ideen hast du, um diese Verwandlungsszene auf der Bühne umzusetzen? Du bist vollkommen frei in der Wahl der Mittel. Ziel der Inszenierung ist die Abkehr von Vorhandenem, das Ausprobieren neuer Wege.
ChatGPT kommt mit der Aufgabe gut zurecht: So wird z. B. die Hexenküche uminterpretiert als hypermoderner klinischer Laborraum. Eine Lichtshow und ein zunehmendes musikalisches Crescendo bis hin zu einem triumphalen Klang begleitet die Verjüngung.
Nun zur eigentlichen Aufgabe von ChatGPT, der Kokreation mit dem, was der Mensch, der Nutzer oder die Nutzerin, vorgibt. Folgender Prompt dient als Einleitung:
Besten Dank für deine Ideen, die mich zu eigenen Ideen angeregt haben. Eine greife ich heraus: Wir befinden uns auf der Bühne in einem dystopischen Industrieszenario. Der alte Faust (Schauspieler 1) wird von der Hexe mit einem Kran in eine riesige Betonmischmaschine hineingeschleudert. Er wehrt sich schreiend und klammert sich am Rand fest. Aber Mephisto stößt ihn in die ratternde Maschine hinein. Als Faust schließlich abrutscht, hört man unmenschliche grauenvolle Schreie. Dann ist Stille. Plötzlich ertönen Sphärenklänge: Aus der Maschine gleitet der junge schöne Faust (Schauspieler 2) heraus.
Wie findest du die Idee? Fallen dir vielleicht weitere Ideen dazu ein?
In der Rolle des freundlichen Partners nimmt ChatGPT zunächst mit gefälligen Worten Stellung:
Ich freue mich sehr, dass ich dich zu neuen Ideen inspirieren konnte! Die Verwandlung von Faust in einer Betonmischmaschine ist sehr eindrucksvoll und bildhaft. Das erscheint wie eine moderne, industrielle Interpretation des klassischen Fauststoffes, die definitiv Potential hat, das Publikum zu fesseln.
Anschließend liefert ChatGPT tatsächlich eine Reihe von Anschlussideen. Fünf davon stellen wir ungekürzt dar, um ihre Qualität und Diversität für sich sprechen zu lassen:
Eine beachtliche Ausbeute an Ideen. Sie erfüllen die beiden notwendigen Kreativitätskriterien Neuheit und Angemessenheit. Einige davon lassen sich auch als originell im Sinne von ausgeprägter Transformationspotenz interpretieren: Sie überwinden konventionelle Beschränkungen, sie lassen uns staunen und sie stimulieren uns (vgl. Laux, 2022). ChatGPT tritt dabei nicht als überlegener Ideengeber auf, sondern regt dazu an, unsere eigene Ideenproduktion anzukurbeln:
Ich hoffe, diese Ideen inspirieren Sie zu Ihrer eigenen kreativen Gestaltung …
(1) Wie die Beispiele veranschaulichen, ergibt sich in unserer vorläufigen Sichtung insgesamt ein positives Bild der kreativen Leistungsfähigkeit von ChatGPT. Das Sprachmodell wurde mit riesigen Mengen von Textbausteinen gefüttert und trainiert. Es verfügt daher über ein unermessliches Reservoir an Inspirationsquellen. Überraschend ist aber, dass ChatGPT sogar weiterführende Anschlussideen generieren kann, die auf unsere eigenen Ideen abgestimmt sind. Das setzt voraus, dass die Prompts für den Chatbot gut überlegt und zielgerichtet sind. Solche Anschlussideen ergaben sich auch bei anderen, hier aus Platzgründen nicht dargestellten Fragestellungen von uns. Eine breite, systematisch-empirische Überprüfung steht noch aus.
(2) In der Kritik wird zu Recht die Tendenz von ChatGPT (insbesondere von früheren Versionen) zum Fabulieren betont (Eberle, 2023). Für den Bereich der Kreativität erscheint uns das kein Nachteil zu sein. Kreativitätstechniken wie z. B. das imaginäre Problemlösen basieren auch auf der Verwendung von ungewöhnlichen Fiktionen und unvernünftigen Verfremdungen. Hauptsache ist, dass man von eingefahrenen Denkmustern wegkommt. Nicht zu vergessen: Alle Ideen müssen ohnehin am Ende von den Anwender*innen auf ihre Angemessenheit überprüft werden.
(3) Geht man von der menschlichen Bequemlichkeit aus, ist die Gefahr der Verarmung der eigenen Kreativität durch den ergiebigen ChatGPT-Einsatz nicht von der Hand zu weisen, insbesondere was das Generieren von ersten Ideen und Lösungsansätzen angeht. Nichtsdestotrotz bedarf es im weiteren Kreationsprozess noch immer menschlicher Kompetenzen wie das gezielte Nachfragen und Hinterfragen der generierten Lösungen (vgl. Jacob & Laux, 2022) sowie die analytische Elaboration (Sichten, Verdichten und Ausgestalten der Ideen, vgl. Postler & Laux, 2022). Sie erfordern anspruchsvolles konvergentes und divergentes Denken, um aus der Vielzahl von Vorschlägen geeignete auszuwählen und bis zum finalen Stand weiterzuentwickeln. Letztlich müssen die Ideen auch in den richtigen Kontext gesetzt, mit emotionaler Bedeutung angereichert und entsprechend inszeniert werden, sonst verpuffen sie in der Ideenflut.
(4) Das mehrstufige dialogische Vorgehen macht es möglich, dass Mensch und Maschine sich gegenseitig im Prozess der Kokreation synergetisch unterstützen.
ChatGPT kann in den Prompts aktiv dazu aufgefordert werden, eine bestimmte Rolle einzunehmen und z. B. das gleiche Problem aus der Sicht eines Lehrers oder einer Immobilienmaklerin zu lösen. Entsprechend unterscheidet sich der generierte Text in Inhalt und Stil. Ein solches Verfahren lässt Spielraum für eine kreative Anwendung des KI-Tools und ermöglicht Perspektivenvielfalt in der Ideenfindung. Bei der Entwicklung kreativer Lösungen kann man sich also durchaus KI-generierten Input liefern lassen, am Ende wird trotzdem jeder und jede im Zusammenspiel von Mensch und Maschine eigene, einzigartige Ergebnisse damit hervorbringen.
Literatur:
Eberle, U. (2023). Künstliche Intelligenz auf der Couch. Max Planck Forschung, 2, 73-76.
Groeben, N. (2013). Kreativität. Originalität diesseits des Genialen. Darmstadt: Primus.
Groeben, N. (2022). Kleines Kreativitätskompendium. Darmstadt: wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft).
Haase, J. & Hanel, P.H.P (2023). Artificial muses: Generative artificial intelligence chatbots have risen to human-level creativity. Preprint-Studie.
Krampen, G. (2019). Psychologie der Kreativität. Göttingen: Hogrefe.
Laux, L. (Hrsg.). (2022). Originell und kreativ. Vom göttlichen Funken bis zur Künstlichen Intelligenz. Bern: Hogrefe.
Darin:
Gäbelein, L. & Laux, L. Die Schoko-Mikado-Sticks von Oma Riebmann: mit Kreativitätstechniken zu originellen Ideen (S. 133-152).
Jacob, N.-C. & Laux, L. Die Entdeckerqualitäten als besondere Strategien der Ideengenerierung (S. 175-193).
Laux, Lothar & Laux, Lucas Kann Künstliche Intelligenz kreativ sein? (S. 276-288).
Laux, L. & Postler, A.S. Von göttlichen Funken und Kreativitätstechniken (S. 87-114).
Laux, L, Postler, A.S. & Jacob, N.-C. Originalitätssteigerung: zwei Stufen und zwei Prinzipien (S. 153-174).
Postler, A.S. & Laux, L. Ideengenerierung im TV-Bereich: Mückenschwarm der Bisoziationen (S. 115-132).
Prof. Dr. Lothar Laux war von 1982–2010 Inhaber des Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg. Dort arbeitet er weiterhin als Senior Researcher. Seit 1990 ist er auch als Coach praktisch tätig. Seine Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Anwendung sind (1) Persönlichkeit und Selbstdarstellung, (2) Emotion, Stress und Bewältigung, (3) Persönlichkeitscoaching und innovationsorientierte Personalentwicklung, Kreativität und Innovation.
Anja S. Postler absolvierte 2010 ihr Studium der Diplompsychologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Bereits in ihrer Diplomarbeit „Innovationscoaching“ (Meier, 2010) entdeckte sie die Kreativitätsthematik für sich und konzipierte ein Coaching zur Förderung der Innovationsfähigkeit von Führungskräften. Seitdem arbeitet sie freiberuflich als Kreativ- Coach und Trainerin. Zudem begleitet sie als Senior Consultant in einem Institut für Marktforschung und Markenberatung Innovationen vom Konzeptentwurf bis in den Markt. Ihre Erfahrungen aus Forschung und Praxis fließen auch in ihre Dissertation zum Thema „Transferoptimierte Kreativitätsförderung“ ein.
Lucas Laux beschäftigte sich im Masterstudium Medienwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin mit kreativen Anwendungsformen von Medientechnologien. Als Communication Manager betreut er im Stifterverband in Berlin die Öffentlichkeitsarbeit des „KI-Campus“, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Lernplattform für Künstliche Intelligenz. Zuvor war er für mehrere Kommunikationsagenturen und einen führenden Audiosoftwarehersteller im Bereich PR tätig.