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Das Prämenstruelle Syndrom erkennen und behandeln

Von Dr. Gudrun Kaiser.

Prämenstruelle Veränderungen erleben nahezu 90% aller Frauen mit Menstruationszyklus (Campagne & Campagne, 2007). Was jedoch verbirgt sich hinter dem geläufigen Begriff „Prämenstruelles Syndrom“ genau? Ist PMS eine Krankheit oder eher eine Modeerscheinung? Und was können Betroffene und ihre Angehörige tun? Einen Überblick dazu finden Sie in diesem Artikel.

Frau mit PMS negative und positive Seiten Prämenstruelles Syndrom Ratgeber

PMS und PMDS – eine Begriffsklärung

Das Prämenstruelle Syndrom (kurz „PMS“) und die Prämenstruelle Dysphorische Störung (kurz „PMDS“) treten in den Tagen vor Einsetzen der Periode auf. Sie umfassen sowohl psychische als auch körperliche Veränderungen, wie beispielsweise depressive Verstimmungen, Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen oder auch Antriebslosigkeit, Brustspannen, Gelenk- oder Kopfschmerzen. Von PMS und PMDS wird dann gesprochen, wenn die prämenstruellen Veränderungen zu Einschränkungen und Leiden bei den Betroffenen führen. Der Unterschied zwischen PMS und PMDS liegt dabei in der Schwere der Symptomatik: PMDS stellt laut den amerikanischen Diagnoserichtlinien (DSM-5; Falkai & Wittchen, 2015) eine psychische Störung dar, für welche eine feste Anzahl bestimmter Symptome erfüllt sein müssen. Aber auch ohne die Erfüllung der recht strengen Diagnoserichtlinien für PMDS können Betroffene unter ihren prämenstruellen Symptomen leiden. In diesem Fall sprechen wir von PMS. Beides ist weit verbreitet - laut einer Übersichtsarbeit von Wittchen und Kollegen (2002) sind im deutschsprachigen Raum ca. 18.6% aller Frauen mit Menstruation von PMS, ca. 5.8% von PMDS betroffen.

Positive prämenstruelle Veränderungen – die andere Seite

Wie in den meisten Fällen, wenn über prämenstruelle Veränderungen berichtet wird, werden zunächst die negativen, belastenden prämenstruellen Veränderungen betrachtet. Dies stellt jedoch eine einseitige Betrachtungsweise dar. Prämenstruelle Veränderungen umfassen nicht ausschließlich negative Aspekte, es gibt vielmehr auch positiv erlebte prämenstruelle Veränderungen. Diese umfassen beispielsweise das Gefühl von mehr Kreativität, eine größere innere Gelassenheit oder das Gefühl von mehr Energie (Chaturvedi, Prabha, & Chandra, 1990). Da die positiven Aspekte der prämenstruellen Phase jedoch in der Gesellschaft und öffentlichen Berichterstattung häufig wenig Raum einnehmen und der Fokus vielmehr auf den negativen prämenstruellen Veränderungen liegt, ist das Wissen um positive Veränderungen nicht weit verbreitet. Dies kann dazu führen, dass die Wahrnehmung der negativen Veränderungen und damit auch die Auswirkungen von PMS und PMDS verstärkt werden (Kaiser und Kollegen, 2018).

Der Teufelskreis des Prämenstruellen Syndroms

Prämenstruelle Veränderungen sind, wie der Name schon sagt, an eine bestimmte Phase des Menstruationszyklus gebunden. Sie finden in der späten Lutealphase statt, also in den letzten Tagen vor Einsetzen der Menstruationsblutung. Damit sind sie an hormonelle Veränderungen geknüpft, welche das Auftreten von PMS und PMDS jedoch nicht ausreichend erklären können. So treten PMS und PMDS nicht bei allen Frauen in der gleichen Symptomkonstellation auf, auch wenn die hormonellen Prozesse sich ähneln (Rapkin & Akopians, 2012). In der folgenden Abbildung finden Sie eine Übersicht über die Faktoren, welche bei PMS und PMDS eine wichtige Rolle spielen:

Worauf liegt mein Fokus? - Die Rolle der Wahrnehmung bei PMS und PMDS

Die hormonellen Veränderungen stehen am Beginn des prämenstruellen Teufelskreises. Damit ein PMS oder eine PMDS entstehen, müssen die dadurch entstandenen körperlichen und psychischen Veränderungen von den Betroffenen jedoch zunächst wahrgenommen werden. Dies klingt banal, ist jedoch nicht selbstverständlich. Bestimmt kennen Sie selbst von sich, dass Sie in verschiedenen Situationen Ihren Körper und ihre Stimmung mehr oder weniger wahrnehmen. Wenn Sie beispielsweise unter leichten Kopfschmerzen leiden, werden Sie diese in einem ruhigen Moment auf dem heimischen Balkon eher wahrnehmen als in einer stressigen Präsentationssituation auf der Arbeit. Dieser Mechanismus nennt sich Aufmerksamkeitsfokussierung und kann ganz einfach auch zuhause erfahrbar werden, indem Sie sich beispielsweise eine Minute ganz bewusst auf Ihre Atmung und Ihren Puls konzentrieren. Sie werden diese durch Ihre bewusste Aufmerksamkeitslenkung gut wahrnehmen können, wohingegen Atmung und Puls im Alltag in der Regel einfach „mitlaufen“, ohne wahrgenommen zu werden. Dieser Mechanismus der Aufmerksamkeitslenkung ist in vielen Feldern der menschlichen Psyche entscheidend und so wird es Sie nicht überraschen, dass er auch bei PMS und PMDS eine Rolle spielt. Erst wenn die prämenstruellen Veränderungen in den Aufmerksamkeitsfokus der Betroffenen rücken, kann ein PMS und eine PMDS entstehen.

„Bekommst du schon wieder deine Tage?“ - Die Rolle von Erwartungen und Bewertungen

Neben den Belastungen durch die psychischen und körperlichen Symptome selbst ist auch die Bewertung der Symptome entscheidend für das Ausmaß der Einschränkungen in der prämenstruellen Phase. Manche Betroffene nehmen ihre prämenstruellen Veränderungen als normalen, gesunden Prozess im Rahmen ihres Menstruationszyklus wahr. Andere wiederum erleben die prämenstruellen Veränderungen beispielsweise als bedrohlich für ihr Leistungsniveau oder auch als Hinweis darauf, dass etwas mit ihrem Körper „nicht stimmt“ oder dieser „nicht richtig funktioniert“. Diese unterschiedlichen Bewertungen können eine Entlastung oder eine zusätzliche Belastung darstellen. Eine Betroffene mit zweitgenanntem Bewertungsschema würde vermutlich in zusätzliche Anspannung und Sorge geraten angesichts der „Bedrohungslage“, was körperliche Beschwerden zusätzlich verstärken kann.

Heute bin ich unaushaltbar, ab ins Bett! – Die Rolle des Verhaltens

Zudem haben Bewertungen unmittelbar Einfluss auf das darauffolgende Verhalten. Wenn eine Betroffene beispielsweise die Bewertung hat, durch ihre prämenstruelle Reizbarkeit „nicht gesellschaftsfähig“ zu sein, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein Treffen mit Freundinnen absagt und sich stattdessen zurückzieht, erhöht. Kurzfristig kann ein solcher sozialer Rückzug zu Erleichterung führen, da sich die Betroffene nicht mit ihrer Reizbarkeit konfrontieren muss. Gleichzeitig fallen jedoch potenzielle positive Erlebnisse weg. Es fehlt ein „Gegengewicht“ zu den negativ erlebten Symptomen und auch die Aufmerksamkeit kann schwerer von den Symptomen weggelenkt werden. Dadurch bietet der Rückzug eine offene Tür für Grübeln, depressive Verstimmungen und kann damit langfristig eine Zunahme von PMS und PMDS bedingen.

Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen, in denen die Bewertung und das darauf folgende Verhalten einen unmittelbaren Einfluss auf PMS und PMDS haben. Denken Sie beispielsweise auch an Verhalten und Konflikte in Partnerschaften, an den Umgang mit Stresssituationen auf der Arbeit oder an die endlos erscheinende Suche nach dem „richtigen“ Medikament.

Der PMS-Teufelskreis dreht sich – und nun?

Beim Lesen der Ausführungen ist Ihnen bestimmt schnell aufgefallen, dass die Einflussfaktoren eng miteinander vernetzt sind und ein Faktor in den anderen übergeht. Das ist symptomatisch für das komplexe Bild von PMS und PMDS, welche multifaktoriell bedingt sind. Hormonelle Veränderungen, deren Wahrnehmung, Bewertung und das folgende Verhalten spielen dabei wichtige Rollen. Jeder Faktor für sich genommen führt nicht gezwungenermaßen zu prämenstruellen Belastungen, erst durch ihr Zusammenspiel entstehen PMS und PMDS. Warum also lohnt es sich, die Einflüsse dennoch „auseinanderzunehmen“ und einzeln zu betrachten? Ganz einfach: in jedem der genannten Einflussfaktoren bergen sich Ansatzpunkte, um aus dem Teufelskreis der PMS und PMDS auszusteigen und die dadurch entstehenden Belastungen zu reduzieren.

Der erste Schritt: Muster erkennen!

Zunächst jedoch empfiehlt es sich, über 2-3 Zyklen hinweg ein Symptomtagebuch zu führen. Also täglich aufzuschreiben, welche Symptome vorliegen, um einen Überblick über das individuelle zeitliche und inhaltliche Symptommuster zu bekommen. Damit haben Sie einen wichtigen Schritt schon geschafft: die prämenstruelle Phase und die damit einhergehenden Symptome „brechen“ nicht einfach scheinbar unkontrollierbar auf die Betroffene ein, sondern es ist vielmehr vorhersehbar, wann sich Betroffene auf welche Veränderungen einstellen können oder müssen. Damit ist ein wichtiger Faktor bereits geschafft: die Situation ist wieder ein Stück weit kontrollierbarer und damit handhabbarer.

Viele Wege führen aus dem Teufelskreis

Darauf aufbauend können eigene Bewertungen und Verhaltensweisen identifiziert, beleuchtet und kritisch hinterfragt werden: hilft es mir im Umgang mit meinen Beschwerden, mir immer wieder den Gedanken X zu machen? Ist es hilfreich, mich auf diese oder jene Art zu verhalten oder möchte ich etwas neues ausprobieren? Daneben kann es grundlegend helfen, durch Entspannungstraining das allgemeine Anspannungsniveau zu senken und eine aktive Aufmerksamkeitslenkung zu trainieren. Zudem spielen Bewegung und Ernährung eine Rolle bei PMS und PMDS, ebenso können medikamentöse Therapien einen Ausweg darstellen. So individuell wie Menstruationszyklen sind, so individuell sind auch PMS und PMDS und so unterschiedlich sehen dementsprechend die möglichen Behandlungspläne aus. Die gute Nachricht bei komplexen und multifaktoriellen Erkrankungen ist dabei immer: je mehr Faktoren zu der Erkrankung führen, desto mehr führen auch wieder hinaus!

Als kleine Hilfe bei der Suche nach Ihrem individuellen Symptommuster und dem Training neuer Denk- und Verhaltensweisen können wir Ihnen den Ratgeber zum Prämenstruellen Syndrom ans Herz legen, welcher diesen Sommer bei Hogrefe erscheint:  Ratgeber Prämenstruelles Syndrom - Informationen für Betroffene und Angehörige (C. Weise & G. Kaiser) (siehe unten).

 

Quellen

Campagne D M, & Campagne G. (2007). The premenstrual syndrome revisited. European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology, 130(1), 4–17.

Falkai P., & Wittchen H. U. (Hrsg.) (2015). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5® (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe

Kaiser, G., Schormann, A., Kues, J. N., Weise, C. (2018). Knowledge about Positive Premenstrual Changes and Somatosensory Amplification Increase the Report of Positive Premenstrual Changes: An Experimental Study. Psychotherapy and Psychosomatics, 87(4), 237-239.

Rapkin A. J., & Akopians A. L. (2012). Pathophysiology of premenstrual syndrome and premenstrual dysphoric disorder. Menopause International, 18(2), 52–59.

Weise, C. & Kaiser, G. (2022). Ratgeber Prämenstruelles Syndrom. Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe

Wittchen H. U., Becker E., Lieb R., & Krause P. (2002). Prevalence, incidence and stability of premenstrual dysphoric disorder in the community. Psychological Medicine, 32(1), 119–132.

Dr. Gudrun Kaiser

Dr. Gudrun Kaiser ist Psychologin und approbierte psychologische Psychotherapeutin. Bereits während Ihrer Promotion an der Philipps-Universität Marburg beschäftigte Sie sich mit Frauengesundheit und forschte zur Online-Behandlung von PMS und PMDS. Aktuell arbeitet sie als Psychologin und Psychotherapeutin in ihrer Online-Praxis und bietet Beratung und Coaching für Einzelpersonen und Paare.

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Was sagt der Dorsch zu:

Prämenstruelle dysphorische Störung [engl. premenstrual dysphoric disorder; lat prae vor, mens Monat, gr. δυσφόρειν (dysphorein) traurig sein], [BIO, KLI], bez. nach DSM-5 ist die prämenstruelle dysphorische Störung ein Syndrom, das in der Mehrzahl der Menstruationszyklen in der letzten Woche vor Beginn der Menstruation einsetzt und sich innerhalb weniger Tage nach Beginn der Menstruation bessert. Beinhaltet mind. eines der folg. Symptome: deutl. Affektlabilität, deutl. Reizbarkeit oder Wut oder vermehrte zw.menschliche Konflikte, deutl. depressive Verstimmung, Gefühle der Hoffnungslosigkeit oder Selbstherabsetzung, deutliche Angst, Anspannung, Gereiztheit oder Nervosität ...

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