DeutschKlinik und Therapie

DBT-Sucht

Petra Zimmermann, Julia Förster und Sophie Reiske beschreiben im Interview die Besonderheiten der DBT-S, die auf die Behandlung beider Störungen, Borderline und Substanzgebrauchsstörungen, gleichermaßen abzielt. Sie erläutern die Unterschiede zur Standard-DBT, die Vorteile der Therapie und geben Einblicke in ihre eigenen positiven Erfahrungen mit der Methode.
 

Was ist das Besondere am DBT-Konzept, ist es für alle BPS-Patient*innen geeignet?

Als Linehan die DBT entwickelte, war diese ursprünglich zur ambulanten Behandlung von chronisch suizidalen Frauen mit und ohne Substanzabhängigkeit konzipiert. Die DBT wurde zu Beginn als modulare störungsspezifische ambulante Therapieform aufgebaut und später für die stationäre sowie für die teilstationäre Behandlung modifiziert. Das Besondere bildet dabei das Zusammenspiel von Dialektischer Grundhaltung, Behandlungsstruktur und Strategien. Z. B. sieht die Behandlungsstruktur, die Einzeltherapie in Kombination mit einem Fertigkeitentraining, einem Telefoncoaching sowie dem sogenannten Konsultationsteam zur Unterstützung der Behandelnden vor.

Es liegen viele differenzierte Untersuchungen zur Standard DBT und deren positive Behandlungserfolge für Borderline-Patient*innen vor. Im Laufe der Weiterentwicklung der DBT wurden verschiedene Adaptationen an Komorbiditäten wie zum Beispiel die Posttraumatische Belastungsstörung, Essstörung,  oder DBT für Kinder und Jugendliche ausgearbeitet. Dies ist wichtig, da, je nach Ausprägung und um welche komorbide Störung es sich handelt, dies in die Behandlung mit einbezogen werden sollte. In unserem Buch wird erstmalig im deutschsprachigen Raum eine Anpassung der DBT für die Behandlung von Betroffenen einer Borderline Persönlichkeitsstörung und einer gleichzeitig bestehenden Substanzgebrauchsstörung praxisnah vorgestellt, damit auch diese Patient*innengruppe maximal von der Behandlung profitieren kann.

Die DBT bietet auf diese Weise mit ihren Modifikationen sicherlich ein gutes Behandlungsangebot. Jedoch kann es im Einzelfall nicht der richtige Zeitpunkt oder nicht das passende Vorgehen für eine betroffene Person sein. Auch das ist wichtig zu akzeptieren und bedeutet nicht, dass der- oder diejenige nicht von einem anderen Vorgehen profitieren kann.

Wie hoch ist der Anteil von Borderline-Patient*innen, die auch eine Substanzgebrauchsstörung haben?

Dies ist in den verschiedenen Studien unterschiedlich, die Angaben für die Prävalenzraten einer komorbiden Substanzgebrauchsstörung bei Menschen mit BPS variieren zwischen 21 und 67 %. In einer Metaanalyse wurde untersucht, dass durchschnittlich 57,4 % der untersuchten Borderline Patient*innen zusätzlich die Diagnose zumindest einer Substanzgebrauchsstörung aufwiesen. Die Prävalenzrate für Borderline Persönlichkeitsstörung und Alkoholstörung lag bei 48,8 %. Für BPS und Drogenmissbrauch bzw. -abhängigkeit, wurde eine Prävalenzrate von 38 % ermittelt.  Insgesamt kann man also von einer recht häufigen komorbiden Erkrankung sprechen um so wichtiger finden wir den störungsspezifischen Ansatz für eine erfolgreiche Behandlung.

Inwieweit unterscheidet sich die DBT-S von der Standard DBT?

Die Standard DBT bietet eine Struktur mit verschiedenen Therapiemodulen, die für die DBT-S erweitert und an Besonderheiten der Substanzgebrauchsstörung angepasst wurden. Es werden zusätzlich Methoden und Interventionen aus dem suchttherapeutischen Bereich mit einbezogen. Weiterhin wurden suchtspezifische Skills entwickelt, die so in der Standard DBT nicht angewendet werden.
Diese Komorbidität sollte explizit berücksichtigt werden da ca. 78% der Menschen mit einer BPS zusätzlich im Laufe ihres Lebens eine Substanzgebrauchsstörung entwickeln und deswegen eine Behandlungsform benötigen, die beiden Problemlagen parallel berücksichtigt. 

Die DBT-Haltung ist, wie Sie schreiben, ein wichtiges Kriterium für die Wirksamkeit. Wie kann man diese Haltung beschreiben?

Die Grundhaltung in der DBT basiert auf Akzeptanz. In diesem Fall insbesondere Akzeptanz gegenüber den Betroffenen, der Störung und der daraus resultierenden Verhaltensweisen. Betroffene sind häufig mit Stigmatisierung konfrontiert, gerade bei süchtigem Verhalten spielt dies eine Rolle. Aber auch bei der Entstehung der Borderline-Störung sind Invalidierungen und Abwertungen zentral.  Die DBT betrachtet Verhaltensweisen im Rahmen einer Borderline-Störung wie Konsum oder Selbstverletzungen als Versuche mit Symptomen wie Hochanspannung und als überwältigend erlebte Gefühle umzugehen. Häufig sind diese Bewältigungsversuche initial wirksam, bis sie sich dann zu einem weiteren Problem entwickeln. Die Entwicklung neuer Bewältigungsstrategien, ohne sich oder anderen Schaden zuzufügen, ist das zentrale Ziel der DBT. Dies erfordert in Nahezu allen Lebensbereichen Veränderung, die nur durch größte Anstrengung zu erreichen ist. Dies Anzuerkennen und auch kleine Schritte in Richtung Veränderung wahrzunehmen und zu benennen ist Teil der Therapie. Die Essenz dieser Haltung hat M. Linehan mit den DBT Grundannahmen dargestellt.

Was kann man unter dem „Schmetterlingsprinzip“ verstehen und welche Rolle spielt es in der Behandlung?

Der Schmetterling, der von Blüte zu Blüte fliegt und jeweils nur einen kurzen Moment an einem Ort verweilt, dient als Metapher für das teilweise unbeständige Verhalten von Menschen mit einer Suchtproblematik. Auch bei Ihnen ist die Aufmerksamkeitsspanne häufig kurz und wird rasch von Reizen, die mit Substanzkonsum in Verbindung stehen, gesteuert. Dies führt zu Herausforderungen in der Beziehungsgestaltung, da Konsum prioritär ist. Die DBT-S geht auf diese Besonderheit ein und hält zu Beginn einer Behandlung die Hürde mit den Behandlern in Kontakt zu gehen bewusst niedrig und sorgt aktiv dafür, das unterstützende Kontakte stattfinden.

Die dialektische Ausrichtung ist zentral in der DBT-S, warum spielt sie eine so große Rolle?

Die Dialektik in der DBT besteht vor allem zwischen den Polen Akzeptanz und Veränderung. Vielen Betroffenen fällt es sehr schwer zu akzeptieren, dass sie eine Substanzgebrauchsstörung haben. Die Akzeptanz dieser Problematik mit den verbundenen Konsequenzen stellt jedoch die Voraussetzung dar, tatsächlich die notwendigen Schritte in Richtung Veränderung umzusetzen. Dazu gehört auch, dass Betroffene Rückschläge und Rückfälle in alte Verhaltensweisen als Teil der Störung akzeptieren, um bereits erfolgte Schritte in Richtung Veränderung wahrnehmen und wertschätzen zu können.

Helfen z.B. die „Dialektische Abstinenz“ und andere Prinzipen, die Rückfallquoten zu senken?

Wir würden das gern weiter fassen: Die „dialektische Abstinenz“ bewegt sich ja zwischen den Polen Abstinenz und Beachtung der Möglichkeiten, die die betroffene Person zu dem Zeitpunkt für eine Umsetzung der Abstinenz mitbringt. Wir müssen berücksichtigen, dass es sich nicht ausschließlich um eine Substanzgebrauchsstörung, sondern um die Komorbidität mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt. D. h., sobald die Emotionen nicht mehr durch eine Substanz reguliert werden, zeigen sie sich meist viel deutlicher und bilden eine zusätzliche Herausforderung für die Betroffenen. So ermöglicht die Einigung auf einen bewältigbaren Abstinenzzeitraum den Betroffenen überhaupt in die Behandlung einzusteigen und dabei zu bleiben, anstatt sich angesichts zu hoher Anforderungen überfordert zu fühlen und aufzugeben. Geringere Abbruchraten sind auch das, was wir in Studien finden. Gleichzeitig kommt es natürlich auch zu Konsumvorfällen. Hier greift wieder, wie in der vorangegangenen Frage erläutert, das dialektische Prinzip. Dem Vorfall wird mit radikaler Akzeptanz begegnet. Was ist notwendig, um ihn zu stoppen und die Abstinenz wieder aufzugreifen sind dann das Thema. Im Buch geben wir einen Überblick über den Forschungsstand. In den US- amerikanischen Studien, die ausschließlich an einer kleinen Anzahl von Frauen mit dieser Komorbidität durchgeführt wurden, ergaben sich mehr Abstinenztage und negative Urinscreenings im Vergleich zu einem allgemein üblichen Vorgehen im Rahmen der Suchtbehandlung. Um die Auswirkungen auf die Rückfallquote zu bewerten, wären diesbezüglich weitere Studien notwendig.

Ihr Buch ist ein Praxisleitfaden, ein Herzstück des Bandes ist die praktische Umsetzung der DBT-S, kann er direkt für die Implementierung der DBT-S im Behandlungssetting genutzt werden?

Ja genau das ist unser Anliegen. So wird am Beispiel einer DBT-S Station in Berlin mit einer DBT-S Tagesklinik und dem „DBT-S Flex“ Konzept jeder Schritt von der Vorbereitung auf die Behandlung bis zur Durchführung beschrieben. DBT und DBT-S ist ja eine Teambehandlung. Wie das genau mittels eines Konsultationsteams läuft und welchen Umgang das Team mit schwierigen Herausforderungen wie z. B. einem verschwiegenen Konsumvorfall während der Behandlung gefunden hat, bietet eine gute Orientierung für häufig auftretende Fragen. Auf günstige Voraussetzungen und typische Teamentwicklungen bei der Implementierung eines DBT-S Konzepts geht ein eigenes Kapitel mit Lösungsanregungen ein. Aber auch für eine ambulante DBT-S Therapie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ist das Vorgehen mit Dialogen zwischen Therapeutin und Patientin dargestellt. Das Prinzip, das Vorgehen konkret und anhand eines oder mehrerer Behandlungsbeispiele praktisch aufzuzeigen wird auch bei der sozialen Arbeit im komplementären Bereich genutzt. Nicht zuletzt war es uns wichtig bei dem DBT-S Fertigkeiten-, also Skillsprogramm neben der Didaktik unsere Erfahrungen mit den Betroffenen aus verschiedenen Behandlungsfeldern darzustellen. Worauf sollte bei der Vermittlung der Skills geachtet werden? Was stellen besondere Hürden für die Teilnehmenden des Fertigkeitentrainings dar und wie kann ein Üben der Skills strukturiert werden. Zur Illustration sind beispielhaft ausgefüllte Arbeitsblätter abgedruckt.  

Zum Schluss noch eine Frage zu Ihrer persönlichen Erfahrung: Was schätzen Sie an diesem therapeutischen Vorgehen besonders?

Die klare Struktur in der Behandlung, konkrete Absprachen wie z. B. die Prioritätensetzung bei einer Fülle an Problemen, die Betroffene mitbringen. Das Arbeiten auf gleicher Augenhöhe ist ein weiterer Aspekt. So wird immer wieder eine möglichst tiefe Zustimmung der zu behandelnden Person für das Vorgehen ausgehandelt und eingeholt. Auch die vorher schon angesprochene dialektische Haltung. In Therapien steht schnell ein forderndes auf Veränderung ausgerichtetes Handeln im Vordergrund. Gerade auf der Beziehungsebene ermöglicht auf der Akzeptanzseite das Validieren und damit das Verstehen der Betroffenen aus ihrer ganz subjektiven Sicht eine tragfähige Basis. Weiterhin die schon angesprochenen Grundannahmen, die eine annehmende Haltung der Behandelnden gegenüber den Patient*innen fördern. Enorm hilfreich ist die Arbeit im Konsultationsteam, was so weit möglich auch ambulant eingerichtet wird. Nicht zuletzt ist DBT und DBT-S nicht ohne Achtsamkeit und achtsamen Mitgefühl denkbar, was auch persönliche Spuren und eine entsprechende Praxis bei uns gefördert hat.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Petra Zimmermann

Dipl.-Psych. Petra Zimmermann, 1984 - 1989 Studium der Psychologie in Erlangen-Nürnberg, 1994 Abschluss der Verhaltenstherapieausbildung. Von 1994 bis 1996 eigene psychotherapeutische Praxis und Honorartätigkeit in therapeutischer Gemeinschaft für Heroinabhängige in San Sebastian, Spanien. Von 1996 bis 2001 Psychotherapeutin in den Oberbergkliniken, Behandlungsschwerpunkt substanzbezogene Störungen und/oder psychische Erkrankungen, ab 1999 leitende Psychologin. 1999 approbiert als Psychologische Psychotherapeutin (VT). Seit 2001 in eigener psychotherapeutischer Praxis mit den Schwerpunkten Dialektisch Behaviorale Therapie, Substanzgebrauchsstörungen und Traumafolgestörungen niedergelassen. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie und Dialektisch Behaviorale Therapie. 

Julia Förster

Dipl.-Psych. Julia Förster, 1998–2005 Studium der Psychologie an der Freien Universität Berlin. Approbierte Psychologische Psychotherapeutin (Schwerpunkt: Verhaltenstherapie). Seit 2006 Mitarbeiterin der DBT-Sucht Station der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité. Zusatzqualifikationen in Dialektisch Behavioraler Therapie und spezieller Psychotraumatherapie. Seit 2019 in eigener psychotherapeutischer Praxis mit den Schwerpunkten Dialektisch Behaviorale Therapie, Substanzgebrauchsstörungen und Traumafolgestörungen niedergelassen. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie und Dialektisch Behaviorale Therapie.

Sophie Reiske

Dipl.-Psych. Sophie Reiske, 1996–2002 Studium der Psychologie an der Freien Universität in Berlin. Von 2004 bis 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus und Stationspsychologin der DBT-Sucht Station. Approbierte Psychologische Psychotherapeutin (VT), Zusatzqualifikationen in Psychotraumatologie und traumazentrierter Psychotherapie (DeGPT) und Dialektisch Behavioraler Therapie. Dozentin und Supervisorin für Verhaltenstherapie und Dialektisch Behaviorale Therapie. Leiterin des Referates DBT-Sucht des Dachverbandes DBT. Seit 2017 In eigener psychotherapeutischer Praxis mit den Schwerpunkten Dialektisch Behaviorale Therapie, EMDR, Traumafolgestörungen und Substanzgebrauchsstörungen niedergelassen.

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Das sagt der Dorsch zu:

Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) [engl. dialectic behavior therapy], [KLI], gegenwärtig die am häufigsten untersuchte Behandlungsform der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Die Behandlungsstruktur des ambulanten Konzepts umfasst: (1) Einmal wöchentlich stattfindendes Fertigkeitentraining aus vier Modulen (Achtsamkeit, Emotionsregulation, interpersonelle Wirksamkeit, Stresstoleranz) in der Gruppe über einen Zeitraum von einem Jahr; (2) Einzeltherapie (2 Jahre, mit ein bis zwei Wochenstd.); (3) vereinbarte Telefonberatung durch den Einzeltherapeuten in akuten Krisen; (4) wöchentliche Supervisionsgruppe. ...

 

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