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Effiziente Hilfen gegen Alpträume bei Kindern

Wenn Alpträume häufig auftreten und starkes Leiden auslösen, kann eine Therapie effiziente Hilfe leisten. Auch für Kinder und Jugendliche ist die Imagery-Rehearsal-Therapy die erste Wahl zur Behandlung. Autorin Dr. Johanna Thünker hat mit uns über das neue Manual zum Thema gesprochen und wie es gelingt, Kinder und Jugendliche in der Alptraumtherapie mithilfe der Therapiebausteine Edukation, Alptraumrekonstruktion, Entspannung, Imagination und Alptraummodifikation wirksam vom Leidensdruck zu entlasten.

alptraum alpträume bei kindern effiziente hilfe gegen alpträume Foto: Rawpixel.com/shutterstock

Ab wann werden Alpträume zu einer klinisch relevanten Störung?

Alpträume werden zu einer klinisch relevanten Störung, wenn sie Leiden verursachen. Dieses kann direkt sein, also durch die Belastung durch den Alptraum selbst oder auch indirekt durch Schwierigkeiten beim zu Bett gehen oder Müdigkeit oder emotionale Auffälligkeiten am Folgetag. Ein klares quantitatives Kriterium wie die Anzahl der Alpträume pro Woche gibt es nicht. 

Gibt es Besonderheiten bei Kindern und Jugendlichen, unterscheiden sich die Alpträume bzw. die Belastung durch diese von denen von Erwachsenen?

Bei Kindern und Jugendlichen treten Alpträume häufiger auf als bei Erwachsenen und werden zunächst als altersgerechtes Phänomen betrachtet. Ein Grund für die Abnahme der Alptraumhäufigkeit über die Lebensspanne ist die Abnahme des REM-Schlafs (REM = rapid eye movement), der Schlafphase, in der am meisten geträumt wird und die deswegen auch „Traumschlaf“ genannt wird.

Welche Komorbiditäten gibt es, treten Alpträume z.B. im Rahmen einer Angststörung bei Kindern auf?

Alpträume können im Rahmen verschiedener anderer psychischer Störungen auftreten, eine Moderatorvariable dabei ist Stress. Während sie bei der Posttraumatischen Belastungsstörung eines von mehreren Symptomen sind, treten sie bei anderen psychischen Störungen wie Ängsten, Depressionen oder auch Psychosen zwar erhöht auf, sind aber nicht Bestandteil der Diagnosekriterien. 

Als Goldstandard in der Therapie von Alpträumen bei Erwachsenen gilt die Imagery-Rehearsal-Therapy, kann diese auch bei Kindern und Jugendlichen angewendet werden? Sind Modifikationen notwendig?

Nach jetzigem Kenntnisstand ist die Imagery-Rehearsal-Therapy auch bei Kindern die erste Wahl. In der Logik des Behandlungsansatzes bedarf es keine Veränderungen, auch bei Kindern wird der Alptraumhergang rekonstruiert, verändert und die neue Traumfassung mittels Imagination wiederholt geübt. Gerade bei jüngeren Kindern sollte dieser Prozess jedoch spielerisch und mithilfe von verschiedenen Materialien gestaltet werden.

Könnten Sie kurz das im Buch enthaltene Therapieprogramm vorstellen, welche Bausteine enthält es?

Das Therapieprogramm besteht aus ca. acht Therapiesitzungen, also eine echte Kurzzeittherapie. Abhängig vom Alter der betroffenen Kinder oder Jugendlichen werden die Eltern mehr oder weniger stark miteinbezogen. Am Anfang stehen der Beziehungsaufbau und die Psychoedukation über Alpträume, wichtig für die Betroffenen ist zu verstehen, dass Alpträume zwar normal sind – man also keinesfalls „verrückt“ ist, auch wenn man ganz verrückte Dinge träumt – und dennoch manchmal so sehr stören, dass sie behandlungsbedürftig sind. 

In den beiden folgenden Stunden werden Grundfertigkeiten der Entspannung und der Imagination erworben. Bei diesem Imaginationstraining werden Situationen ganz ähnlich den bekannten Fantasiereisen verwendet, nur das Ziel ist hier nicht eine tiefe Entspannung, sondern die Sinne in der Vorstellung zu schärfen, herauszufinden, was man sich besonders gut vorstellen kann und mit Veränderungen von Szenen umzugehen. 

Dann folgt das „Herzstück“ der Behandlung, die Alptraummodifikation. Der ursprüngliche Alptraum wird erzählt, nachgespielt, gemalt oder ähnliches. Dann werden gemeinsam mögliche Modifikationen überlegt und eingebaut, bis eine schlüssige neue Traumfassung entsteht. Diese neue Traumfassung wird dann geübt, das bedeutet konkret, dass sie vorgelesen und vorgestellt wird oder dass das Kind sie zuhause anschaulich mithilfe von Bildmaterial wiedergibt oder durchgeht. Der Prozess wird in der Regel mindestens einmal wiederholt mit dem Ziel, die Sicherheit im Umgang mit der Technik zu erhöhen. Ältere Kinder und Jugendliche lernen dies eigenständig, bei jüngeren Kindern oder auch Jugendlichen mit mehr Unterstützungsbedarf werden die Eltern angelernt, hierbei zu unterstützen. Idealerweise gibt es dann eine kleine Therapiepause von ca. 3 Wochen und anschließend eine gemeinsame Reflexion des Erlernten.
 

Die Eltern werden immer mit in die Therapie einbezogen oder nur, wenn der Bedarf besteht?

In jedem Fall werden die Eltern in die Psychoedukation in der ersten Sitzung sowie in die Reflexion am Ende einbezogen. Je mehr Unterstützung das jeweilige Kind benötigt, umso mehr werden sie auch in weitere Therapieschritte und insbesondere die Hausaufgaben aktiv einbezogen.

In der Alptraumtherapie für Kinder gibt es ein Therapietier. Welches ist es und welchem Zweck dient es?

Das Therapietier heißt Alma und ist ein Albatros. Neben der sprachlichen Nähe des Wortanfangs wurde der Albatros auch deswegen gewählt, weil es sich bei ihm um ein sehr ausdauerndes Tier handelt. Und ein bisschen Ausdauer ist auch bei der IRT nötig. Alma dient einmal zur Illustration der Arbeitsblätter, um diese ansprechender zu gestalten. Für jüngere Kinder hält sie auch für jeden Therapiebaustein einen Merksatz bereits, der durch die Therapeutin oder den Therapeuten in der jeweiligen Sitzung vermittelt werden kann, markiert als „Almas Tipp“ z.B.: „Entspannungstraining ist zwar nicht unbedingt sehr spannend, es heißt ja schließlich ENTspannung, kann aber trotzdem Spaß machen. Und vor allem fühlst du dich hinterher sehr gut.“ Außerdem enthält das Manual eine Vorlage für ein Alma-Ausmalbild.

Kernstück der Alptraumtherapie ist die Alptraummodifikation, welche Schritte sind hierfür notwendig?

Der grobe Ablauf ist in der unten stehenden Abbildung aufgeführt. Es wird empfohlen, für den Vorgang die Metapher eines Horrorfilms zu nutzen, bei dem die betroffene Person von der Rolle der/des Protagonist*in in die Rolle der/des Drehbuchautor*in schlüpft, um aus dem Horrorfilm einen eher langweiligen Film zu machen – bei dem man dann ruhig schlafen kann. (Dazu gibt es ein entsprechendes Arbeitsblatt).

Im ersten Schritt wird der Alptraum „rekonstruiert“, das heißt so viel wie er wird so weit erzählt, nachgespielt oder gemalt, bis Kind und Therapeut*in eine Vorstellung haben, worum es geht. Je nach Art des Alptraums ist dies unterschiedlich aufwendig, bei posttraumatischen Alpträumen werden Gefühle schnell aktiviert, eine vollständige Rekonstruktion ist nicht nötig und auch nicht ratsam, sondern es reicht, den groben Rahmen zu kennen. Bei idiopathischen Alpträumen, die vielleicht schon länger zurückliegen, ist eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Alptraum zum Teil nötig, um überhaupt eruieren zu können, welche Elemente negative Gefühle auslösen.

Im zweiten Schritt werden dann diejenigen Bestandteile des Traums herausgearbeitet, die einerseits bleiben können (z.B. der Ort des Geschehens, bestimmte Personen usw.) und die, die auf jeden Fall raus müssen (z.B. eine Waffe, oder dass man tatsächlich angegriffen wird). Ist der Traum in Text oder Bildform dargestellt, können diese Elemente einfach farbig markiert werden, ansonsten können sie auf einem Arbeitsblatt aufgeschrieben oder gemalt werden.

Weil der eigene Alptraum Gefühle der Hilflosigkeit auslöst, werden dann zunächst ganz grundsätzliche Ideen gesammelt, wie man mit den Dingen, die gestrichen werden sollen, sonst umgehen könnte. Also wenn z.B. „Dunkelheit“ raus soll, könnte auf der neuen Liste stehen: „Es ist Tag, ich habe eine Laterne dabei, ich habe ein Nachtsichtgerät, um mich herum sind so viele Glühwürmchen, dass ich gut sehen kann ...“ Wie realistisch diese Ideen sind, ist dabei unerheblich – denn Träume sind schließlich auch nicht immer realistisch.

Erst im Anschluss wird mittels Imagination überprüft, welche dieser Möglichkeiten sich das betroffene Kind oder der/die betroffene Jugendliche gut vorstellen kann. Er oder sie wählt von den vorstellbaren Möglichkeiten dann die aus, die am besten in die neue Traumgeschichte zu passen scheint.

Auch die erste neue Fassung des Traums wird mittels Imagination erprobt, wichtig ist von vorneherein deutlich zu machen: Es ist eine erste Version (darum 1.0), meistens ist der erste Versuch noch kein Treffer und es sind Nachbesserungen nötig. Am häufigsten passiert es, dass die neue Traumfassung noch zu wenig konkret ist, insbesondere am Ende und dadurch negative Sinneseindrücke aus dem ursprünglichen Traum auftreten können, hier muss dann noch nachgebessert werden, bis es eine zufriedenstellende Endversion gibt.

Diese Endversion wird dann so aufbereitet, dass sie als Hausaufgabe mitgenommen werden kann: Ein Text kann aufgeschrieben oder als Tonaufnahme aufgezeichnet werden, ein oder mehrere Bilder können erstellt oder ein Spiel mit Playmobil oder ähnlichem als Fotostrecke festgehalten werden. Zuhause wird die neue Traumversion dann abends vor dem Schlafengehen geübt.

Warum ist es wichtig, dass der modifizierte Traum mit dem ursprünglichen Traum noch in Zusammenhang steht? Können auch jüngere Kinder das gut umsetzen?

Unser Gedächtnis funktioniert wie ein großes assoziatives Netzwerk. Wird ein Punkt aktiviert, aktiveren sich auch die umliegenden Knotenpunkte. Durch das häufige Üben werden neue Gedächtnisspuren gebahnt, damit diese in der Nacht beim Auftreten eines potenziellen Alptraums auch aktiviert werden können, muss es eine Verbindung (Assoziation) zwischen beiden Träumen geben. Kindern fällt das eher leicht, gerade weil die jüngeren sich nicht so viele Gedanken darum machen, ob sie den richtigen Grad an Veränderung erreichen, sondern unmittelbar spüren und meist auch kommunizieren, wann sie „den Film“ genug oder auch zu viel verändert haben.
 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Dr. Johanna Thünker

Dr. Johanna Thünker, geb. 1985, 2003-2008 Studium der Psychologie in Münster und Düsseldorf. 2008-2013 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Psychologischen Institut der Universität Düsseldorf, Abteilung Klinische Psychologie. 2010 Promotion. 2013 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin. Seit 2013 niedergelassen als Verhaltenstherapeutin für Erwachsene, Kinder und Jugendliche in Bottrop mit den Schwerpunkten Schlafstörungen und ADHS.

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