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Essenzen – Im Gespräch mit Paul Watzlawick

Paul Watzlawick, österreichischer Philosoph, Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler, ist bis heute einer der bekanntesten Wissenschaftler weltweit. Dr. Jessica Röhner und Prof. Dr. Astrid Schütz geben mit ihrem Buch „Essenzen – Im Gespräch mit Paul Watzlawick“ einen unterhaltsamen Überblick über sein Werk in Form eines fiktiven Geburtstagsdinners. Im Gespräch mit uns erzählen sie über die Arbeit am Band, was sie persönlich mit Watzlawick verbindet und was ihn heute noch so aktuell macht.

Am 25.7.2021 hätte Paul Watzlawick seinen 100. Geburtstag gefeiert. In welchen Punkten ist er heute noch aktuell?

Dr. Jessica Röhner:
Paul Watzlawicks Arbeiten sind in vielen Punkten noch aktuell. Durch die Corona-Pandemie aktuell besonders salient, sind in meinen Augen einerseits die Unterscheidung von digitaler und analoger Kommunikation und andererseits das Prinzip der Wirklichkeitskonstruktion. Uns allen ist in den vergangenen Monaten durch Kontaktbeschränkungen besonders bewusst geworden, dass eine Berührung (z. B. ein tröstendes in-den-Arm-nehmen; analoge Kommunikation) nicht einfach durch Worte (z. B. „Das wird wieder.“; digitale Kommunikation) zu ersetzen ist. Gleichzeitig sehen wir aktuell sehr beispielhaft wie Falschnachrichten (z. B. in den sozialen Medien) florieren und wie Personen sich verschiedene Wirklichkeiten konstruieren.

Prof. Dr. Astrid Schütz:
In der Tat, und wir sehen wie erfolgreich gute Kommunikation, wie schädlich schlechte Kommunikation ist.

Sie haben in Ihrem Buch eine außergewöhnliche Form gewählt, nämlich ein fiktives „Geburtstagsdinner“, vom Aperitif bis zum Digestif, mit „Problemkategorien als gut verdaulichen Häppchen“ und „Wirklichkeiten a la carte“ – wie kam es dazu?

Dr. Jessica Röhner:
Einerseits war dies sicher eine Form des Wunschdenkens. Wie gern hätten wir einmal persönlich mit Paul Watzlawick Ideen ausgetauscht und diskutiert. Andererseits ging es uns auch darum, für die Leser*innen ein zusammenhängendes Werk zu schaffen, keinen Flickenteppich aus zusammengesuchten Zitaten. Durch Überleitungen, Rückfragen und Zusammenfassungen, die im Rahmen des fiktiven „Geburtstagsdinners“ von uns eingefügt wurden, sollte zudem das Verständnis der Inhalte erleichtert werden, um möglichst vielen Personen die nicht immer ganz einfache „Watzlawick-Kost“ in moderner und vereinfachter Art zugänglich zu machen.

Prof. Dr. Astrid Schütz:
So macht die Lektüre hoffentlich auch Spaß und kann bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein erfolgen.

Was verbindet Sie persönlich mit Paul Watzlawick, welches sind Ihre Berührungspunkte mit ihm und seinen Schriften?

Dr. Jessica Röhner:
Im Laufe meiner beruflichen Entwicklung gab es immer wieder verschiedene Berührungspunkte mit Paul Watzlawicks Schriften. Durch unser Buch zum Thema Kommunikation haben wir uns natürlich sehr ausführlich mit den Kommunikationsaxiomen von Paul Watzlawick auseinandergesetzt. Faszinierend finde ich vor allem die Ideen Watzlawicks zum Konstruktivismus. Dass Personen die Welt auf verschiedene Weise interpretieren und so ganze, voneinander getrennte Wirklichkeitskonstruktionen entstehen, ist eine weitreichende Erkenntnis. Nicht nur erleben wir aktuell, wie Personen sich durch KI-gesteuerte Algorithmen in vollkommen unabhängigen Realitäten bewegen (Stichwort: Filter bubbles), sondern wir sehen auch wie gezielt mit Falschnachrichten gearbeitet wird, um Wirklichkeit zu schaffen.   

Prof. Dr. Astrid Schütz:
Watzlawick ist ein Klassiker, der in der Vermittlung von Psychologie nicht fehlen darf. Viele neuere Ansätze bauen darauf auf.

Sie haben verschiedene Originaltexte für das Buch verwendet – auf welcher Basis haben Sie diese aus der Vielzahl seiner Schriften ausgewählt?

Dr. Jessica Röhner:
Wir haben die Zitate vor allem unter dem Gesichtspunkt der Aktualität ausgewählt. Es war uns gleichzeitig jedoch auch wichtig, einen möglichst umfangreichen Überblick, in einer komprimierten Form abzubilden. Demnach haben wir versucht Wesentliches und Aktuelles zu vereinen.

Prof. Dr. Astrid Schütz:
Und natürlich spielte auch unser persönlicher Geschmack eine Rolle. So durften Beispiele nicht fehlen, die uns zum Lachen bringen oder in unseren Trainings und Coachings regelmäßig zu Erkenntnisfortschritten führen.

Es gibt einiges von Watzlawick, was sehr bekannt ist, wie die 5 Axiome der Kommunikationstheorie oder natürlich die „Anleitung zum Unglücklichsein“ – sind Sie bei der Arbeit am Buch auf Aspekte gestoßen, die Ihnen selbst noch unbekannt waren und die Sie für besonders entdeckenswert halten?

Dr. Jessica Röhner:
Paul Watzlawicks Werk ist sehr umfangreich, mit vielen Querverweisen, Beispielen und Referenzen. Daher entdeckt man recht häufig neue Aspekte und es lohnt sich in jedem Fall vorhandenes Wissen zu vertiefen. Was ich persönlich für sehr entdeckenswert empfand, waren die oftmals zwischen den Zeilen vermittelten Geschichten hinter den Theorien, die Entstehungsgeschichten – etwa die Analogie zwischen Metamathematik und Metakommunikation, die im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit entstand.

Prof. Dr. Astrid Schütz:
Ich habe bei der Lektüre auch viel Neues erfahren, so war mir die Lebensgeschichte Watzlawicks und deren Verschränkung mit den Erkenntnissen bislang weniger bekannt.

Eben dies ist das Wesen jeder selbsterfüllenden Prophezeiung. Gerüchte von der bevorstehenden Verknappung einer für viele Menschen wichtige Ware (z. B. Benzin) führen zu Hamsterkäufen, die über Nacht die Verknappung herbeiführen – und zwar auch dann, wenn das Gerücht jeder „wirklichen“ oder „wahren“ Grundlage entbehrt. Es genügt, dass eine hinreichend große Zahl von Menschen es für bare Münze nimmt.*

Wenn man Zitate wie dieses liest, dann könnten die Worte genau die jetzige Situation in der Pandemiezeit beschreiben. Hätte das Verhalten und die Äußerungen der Menschen in der Corona-Krise Paul Watzlawick überrascht oder eher nicht?

Dr. Jessica Röhner:
Wir können natürlich nur mutmaßen, wie Paul Watzlawick über die Corona-Krise gedacht hätte. Ich denke, überrascht wäre er nicht gewesen, da das Verhalten der Menschen etwa bei Hamsterkäufen, wie Sie es hier beispielhaft anführen, eben mitunter absehbar war.  Dennoch steht der Name Paul Watzlawick auch mit persönlicher Entwicklung in Verbindung. Seine Werke lassen Spielraum für das Hinterfragen des eigenen Verhaltens und bieten Erklärungsansätze, selbst in solch schwierigen Zeiten, wie wir sie gerade durchleben. Das macht sie zeitlos und nützlich für alle.

Prof. Dr. Astrid Schütz:
Viele typisch menschliche Phänomene wie Eskalationsspiralen und Teufelskreise ändern sich leider über die Jahre wenig und sind damals so aktuell wie heute gewesen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

* Watzlawick, P. (2011). Münchhausens Zopf oder Psychotherapie und Wirklichkeit. Bern: Hogrefe Verlag. S.170–171.

Dr. Jessica Röhner

Dr. Jessica Röhner ist Habilitandin und Stipendiatin am Lehrstuhl für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik sowie Beraterin am Kompetenzzentrum für Angewandte Personalpsychologie an der Universität Bamberg. Sie schloss ihre Promotion mit dem Prädikat summa cum laude 2014 an der Technischen Universität Chemnitz ab. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Diffusionsmodellanalysen, Indirekte Verfahren der Diagnostik, Implicit Biases, Kommunikation und Verfälschungsverhalten in psychologischen Verfahren

(Foto: Philipp J. Thoss)

Prof. Dr. Astrid Schütz

Prof. Dr. Astrid Schütz ist seit 2011 Inhaberin des Lehrstuhls für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik sowie Leiterin des Kompetenzzentrums für Angewandte Personalpsychologie an der Universität Bamberg. Nach Studien der Psychologie, Soziologie, Erwachsenenbildung, Gender Studies und Forensic Studies in Erlangen, Bamberg und Tuscaloosa erfolgte ihre Promotionsschrift zu Selbstdarstellung von Politikern und ihre Habilitationsschrift zu Selbstwertregulation und Selbstwerterhöhung. Tätig war sie an der University of Virginia, der Case Western Reserve University, der University of Southampton und der TU Chemnitz tätig. Sie hat über 30 Bücher und über 100 Artikel in internationalen Zeitschriften veröffentlicht. Forschungsschwerpunkte sind Persönlichkeit und Interaktion, Emotionale Kompetenz und Emotionsregulation, Gesundheit, Selbstwert, Narzissmus und Selbstüberschätzung.

(Foto: Barthel, Bamberg)

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