„Der ist doch Psycho“ oder „Die müsste sich nur mal zusammenreißen“ – mit Aussagen wie diesen sind Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig konfrontiert. Ein Gespräch mit dem Arzt und Forscher Nicolas Rüsch über das Stigma psychischer Erkrankungen, die Folgen für die Betroffenen und was es braucht, um gegen Ausgrenzung und Diskriminierung vorzugehen.
Herr Professor Rüsch, Sie forschen seit Jahren zum Thema Stigma psychischer Erkrankungen. Was meinen Sie mit Stigma genau?
Stigma bedeutet, dass Menschen eine Person nicht als Individuum beurteilen und auf sie reagieren, sondern aufgrund der Eigenschaften, die ihrer Gruppe zugeschrieben werden. Typische Stereotypen sind zum Beispiel: „Psychisch Kranke sind faul, gefährlich oder selbst schuld.“ Ich verwende den Begriff Stigma als Oberbegriff für das Zusammentreffen von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung. Zum Vorurteil kommt es, wenn
Jemand dem Stereotyp zustimmt und emotional darauf reagiert. Er hat zum Beispiel Angst vor jemandem, der eine Psychose hat. Zur Diskriminierung kommt es, wenn er dann sein Verhalten danach ausrichtet und diese Person benachteiligt. Er gibt ihr zum Beispiel den Arbeitsplatz nicht, obwohl sie dafür qualifiziert ist, vermietet ihr die Wohnung nicht oder möchte sich unter Gästen nicht neben sie setzen.