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Hilfen gegen den tagtäglichen Kampf am Esstisch

Nicht nur Eltern kennen das Verhalten, man kann es auch oft in seiner Umgebung beobachten: Kinder, die Essen verweigern und sich vielleicht sogar angeekelt wegdrehen. Kein Wunder, dass die Nerven oft blank liegen und die Mahlzeit zum Stresstest wird – für alle Beteiligten. Woher kommt dieses Verhalten, wie viele Kinder reagieren so und warum? Und wie lässt sich damit umgehen, damit alle wieder zufrieden am Tisch sitzen können?

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler haben zum Thema ein Buch geschrieben, wie in ihren erfolgreichen anderen Bilderbüchern gibt es einen Teil zum Vorlesen und einen Ratgeber-Teil. Fabian Grolimund hat uns dazu einige Fragen beantwortet.

Viele Tiere feiern ein Fest und probieren diverse Speisen, sind keine picky eaters Beim Festessen probiert auch der Nachwuchs unbekannte Speisen!

Das Problem kennen viele: Kinder, die nichts Neues probieren möchten, Essen verweigern, sich ekeln. Warum ist das so, was steckt hinter dem Verhalten?

Die Natur hat das eigentlich ganz gut eingerichtet: Als Babys sind Kinder normalerweise noch sehr offen gegenüber vielen neuen Nahrungsmitteln. Ab dem zweiten Lebensjahr erleben dann viele Kinder eine Phase, in der sie sehr heikel sind. Eine Erklärung dafür bieten evolutionstheoretische Ansätze. Viele giftige Pflanzen sind grün und bitter. Kommen die Kinder in ein Alter, in dem sie alleine gehen und die Welt erkunden können, aber kognitiv noch nicht so weit entwickelt sind, dass sie zwischen essbaren und giftigen Pflanzen unterscheiden können, ist es hilfreich, wenn die Angst vor Neuem (Neophobie) und eine Abneigung gegen Bitterstoffe dafür sorgen, dass sie sich nicht alles Mögliche in den Mund stopfen. Wie stark diese Abneigung ausgeprägt ist, variiert aber von Kind zu Kind. Einige zeigen sie fast gar nicht, gut die Hälfte durchlebt aber zumindest eine Phase, in der sie sehr mäkelig sind. 

Einige bringen die Phase hinter sich und öffnen sich wieder Neuem, andere Kinder bleiben heikel. Liegt die Lust auf „Ess-Abenteuer“ oder die Angst davor vielleicht in den Genen?

Ja, die meisten Kinder öffnen sich nach und nach wieder mehr Lebensmitteln. Ein Teil, ca. 8%, bleibt aber heikel. Dieses picky eating lässt sich zu einem Großteil – die Forschung geht von 60 – 80% aus – auf genetische Unterschiede zurückführen. Auffällig ist auch, dass besonders viele neurodivergente Kinder besonders heikel sind. So ist picky eating unter Kindern mit ADHS sowie im Autismus-Spektrum deutlich häufiger. Vor allem Kinder, die eine geringe Offenheit für Neues bzw. eine geringere kognitive Flexibilität aufweisen, reagieren stark auf Abweichungen vom Gewohnten. Sobald etwas ein wenig anders schmeckt, möchten sie es nicht mehr essen. Chicken Nuggets der gewohnten Marke, Pommes vom gleichen Anbieter – das alles schmeckt immer gleich oder zumindest sehr ähnlich - man kann sich darauf verlassen. Früchte derselben Art können sehr unterschiedlich schmecken. Eine Blaubeere ist vielleicht bissfest und süß, die nächste unreif, die dritte pampig und schon etwas faulig – solche „Überraschungen“ bereiten diesen Kindern große Mühe. 
 

Picky eating bedeutet oft richtigen Stress für die ganze Familie. Das Buch ist aber sehr witzig geschrieben bzw. gereimt, die tollen Bilder von René Amthor lassen einen zusätzlich schmunzeln – soll das gemeinsame Lachen schon einmal entlasten?

Picky eating ist tatsächlich stressig für die ganze Familie. Einerseits für die Kinder, die oft dazu genötigt werden, „zumindest“ zu probieren, mit dem Dessert bestochen werden, denen mit dem Satz „Jetzt bin ich fast eine Stunde in der Küche gestanden und du nölst nur rum!“ Schuldgefühle gemacht werden, aber natürlich auch für die Eltern, die oft kaum noch wissen, was sie kochen sollen und sich Sorgen um die Gesundheit der Kinder machen.

Was den Betroffenen aber am allermeisten hilft, ist, wenn die Situation rund um das Essen wieder entspannter wird. Und genau dabei soll der Kinderteil helfen. Es soll mal herzhaft darüber gelacht werden dürfen. 

Im Buch kommen viele Tiere vor, die unterschiedliche Speisen bevorzugen, sei es Gras, Nacktschnecken oder Quallen. Geschmäcker sind verschieden – muss ich als Elternteil einfach akzeptieren, dass mein Kind kein Gemüse mag?

Gerade um das Gemüse wird in vielen Familien besonders verbissen gekämpft. Viele Studien zeigen aber: Es bringt nichts, wenn man Kinder zwingt, sie fürs Gemüse-Essen belohnt, sie mit dem Satz „dann gibt es auch kein Dessert!“ bestraft etc. Oft würgen die Kinder dann zwar angeekelt ein wenig Karotte oder eine Gurkenscheibe herunter und man glaubt, als Elternteil die heutige Schlacht gewonnen zu haben – langfristig verstärkt das alles aber bei vielen Kindern ihre Abneigungen oder befeuert Ängste vor dem Essen.

Gerade beim Thema Gemüse ist ja oft das Problem, dass man Angst hat, dass Kindern Nährstoffe, Vitamine fehlen. Viele geben sich deswegen besonders Mühe, „verstecken“ das Gemüse, dekorieren aufwendig usw. Lohnt sich das?

Bei sehr jungen Kindern mag das funktionieren. Aber gerade die etwas älteren Kinder durchschauen diese Tricks. 

Hilfreicher ist der folgende Umgang:
Man achtet als Eltern darauf, dass das Beisammensein bei Tisch im Vordergrund steht und sich alle entspannen können.

Und dann kocht man ganz normal. Also nicht fünfmal die Woche Chicken Nuggets, nur weil sich das Kind das wünscht, sondern so, wie man als Eltern gerne essen würde. Dabei ist es gut, wenn man darauf achtet, dass zumindest irgendeine Speise dabei ist, die das Kind isst – beispielsweise Teigwaren, Reis oder Brot.

Aber dann gilt: Das Kind isst von den Sachen, die auf dem Tisch stehen, so viel es will und was es will.

Kurz gesagt: Die Eltern sind dafür verantwortlich, was auf den Tisch kommt. Das Kind entscheidet, ob, was und wie viel es davon isst. Dieses bereits 1986 von der Ernährungsexpertin Ellyn Satter formulierte Prinzip zur Aufteilung der Verantwortung beim Essen entlastet sowohl Eltern als auch Kind und trägt dazu bei, dass sich Kinder mit der Zeit neuen Speisen gegenüber öffnen. 

Fragen wir einmal so herum: Was kann ich dafür tun, dass mein Kind ein picky eater bleibt?

Von dem eben beschriebenen Prinzip abweichen. Das heißt:

  1. Entweder nur das kochen, was das Kind will und mag oder …. 
  2. Das Kind kontrollieren wollen.

Während Kontrollversuche und Zwang dazu führen, dass Kinder Essen immer stärker als Stresssituation empfinden, was ihnen wiederum den Appetit verdirbt, Ängste befördert und die Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel verstärkt, ist der erste Punkt aus einem anderen Grund problematisch.

Kinder probieren vor allem dann neue Speisen, wenn sie neue Nahrungsmittel immer wieder sehen, riechen und anderen Familienmitglieder dabei zusehen, wie diese sie genüsslich essen. Auch gemeinsames Kochen hilft dabei. Dieses „immer wieder damit in Berührung kommen“, baut die Neophobie langsam ab und weckt die Neugier. Wenn Kindern aber immer nur „ihre“ Speisen angeboten werden, entfallen all diese wichtigen Mechanismen und die Kinder versteifen sich immer mehr auf einige wenige Nahrungsmittel. 

Als Eltern kann man also wie folgt vorgehen: Man hat vielleicht ein Kind, das als Snack immer nur Salzbretzel will. Als Elternteil legt man ihm nun über einige Wochen hinweg seine gewohnten Bretzel hin, aber auch drei, vier Trauben und einen Apfelschnitz. Wie ein Angler, der geduldig den Köder auswirft, schaut man jetzt einfach, was passiert. Es kann gut sein, dass nach zwei, drei Wochen plötzlich der Apfelschnitz oder eine Traube probiert wird. Jetzt gilt: Kein Freudengeschrei, kein Loben – sich einfach im Stillen freuen und dieses neue Nahrungsmittel immer wieder mal anbieten. 

Wann wird picky eating wirklich gefährlich, das heißt, wann sollte man sich lieber an Fachleute wenden, also z.B. an Kinderarzt/Kinderärztin?

Allgemein, wenn man sich als Eltern Sorgen macht. Oft kann die Kinderärztin oder der Kinderarzt Entwarnung geben. 

Werden aber Mangelerscheinungen festgestellt, weist das Kind eine Wachstumsverzögerung auf oder ist aufgrund der einseitigen Ernährung unter- oder übergewichtig, sollte man sich Hilfe holen. Dabei finde ich es wichtig, dass man sich als Elternteil Hilfe sucht, mit der man sich wohlfühlt. Leider gibt es auch Ärzte, die noch sehr stark mit Druck arbeiten („Dann bleibt er halt am Tisch sitzen, bis er aufgegessen hat“ oder „Dann gibt es halt einige Tage nur Gemüse, der Hunger wird es schon hineintreiben“). Hier dürfen Eltern auf ihre Empfindungen achten und sich weiter umsehen, bis sie passendere Hilfe finden.

Wie geht es im Buch aus, schaffen es Tier- und Menscheneltern, dass der Nachwuchs sich mit Freude dem Essen widmet?

Am Ende gibt es ein großes Bankett aller Tiere und Menschen. Alle bringen etwas mit und siehe da: Der Nachwuchs probiert tatsächlich – nur nicht unbedingt das, was die Eltern erwartet hätten. Für einen geht es aber nicht ganz so gut aus:

Nur Papa Käfer ist frustriert,  
weil keiner Kack-Kroketten probiert. 
Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Nicht jeder muss das Gleiche lieben!  

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Alle Abbildungen sind dem Buch “Willst du nicht wenigstens mal probieren?” entnommen und stammen von René Amthor.

Fabian Grolimund

Fabian Grolimund, geboren 1978, ist Psychologe und leitet gemeinsam mit Stefanie Rietzler die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Besonders gern setzt er seine Kreativität und Fantasie ein, um etwas Neues entstehen zu lassen: eine spannende Geschichte, einen hilfreichen und praktischen Ratgeber, ein interessantes Seminar oder Kurzfilme für Eltern, Lehrkräfte, Kinder und Jugendliche. Dazu sitzt er am liebsten in einem gemütlichen Café.

Empfehlung des Verlags

Willst du nicht wenigstens mal probieren? von Fabian Grolimund, Stefanie Rietzler

 

 

 

 

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