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Imaginatives Überschreiben

Ein wichtiger Bestandteil der Psychotherapie ist die Arbeit mit negativen Emotionen, da diese das Denken und Handeln der Patient*innen maßgeblich beeinflussen. Wir haben mit Dr. Laura Seebauer und PD Dr. Gitta Jacob über die Technik des Imaginativen Überschreibens in Bezug auf negative Emotionen gesprochen.

Beim Imaginativen Überschreiben werden belastende innere Bilder der Patient*innen so verändert, dass sie leichter mit ihnen umgehen können.

Frau Seebauer, Frau Jacob, könnten Sie für uns einmal definieren was genau Imaginatives Überschreiben ist?
Imaginatives Überschreiben ist eine emotionsfokussierte Interventionsmethode, mit der belastende innere Bilder, z.B. Erinnerungen, in der Vorstellung so verändert werden, dass die Person im Hier und Jetzt nicht mehr so stark unter diesen Bildern leidet. Die Patient*innen erlebt in der Übung, wie die Bedürfnisse, welche in der Erinnerung vorhanden waren, erfüllt werden und schafft so die Grundlage dafür, auch in der aktuellen Lebenssituation besser für sich zu sorgen.

Wie wählen Sie aus, welche Erinnerungen geeignet sind, um mit Imaginativem Überschreiben behandelt zu werden?
Die Auswahl dieser Erinnerungsbilder kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Bei manchen Patient*innen ist schon von Vornherein klar, welche Erinnerungen sogenannte Schlüsselerinnerungen sind, die sich auf das Leben der Patient*innen negativ auswirken, z.B. Tod eines Familienangehörigen, Erinnerung an Mobbing oder traumatische Erinnerung an Gewalterfahrungen. Diese werden im therapeutischen Gespräch für Imaginatives Überschreiben ausgewählt. Manchmal sind sich die Patient*innen aber gar nicht im Klaren darüber, wo der Ursprung der intensiven Gefühle liegt, welche sie erleben. Dann kann eine sogenannte „Affektbrücke“ durchgeführt werden. Die Patient*innen versetzen sich in der Vorstellung in eine aktuelle, belastende Situation und lassen die assoziierten Gefühle wieder aufleben. Ausgehend von diesem Gefühl lassen die Patient*innen dann den inneren Blick in die Vergangenheit schweifen. Dabei tauchen Bilder aus der Vergangenheit auf, welche zu diesem Gefühl passen. Diese können dann mit Imaginativem Überschreiben bearbeitet werden.

Die Behandlung mit Imaginativem Überschreiben

Handelt es sich beim Imaginativen Überschreiben um eine einmalige Behandlung, oder muss sie häufiger durchgeführt werden, um Wirkung zu erzielen?
Das hängt sehr stark vom einzelnen Fall ab. Sehr häufig erleben wir in der Therapie, dass Patient*innen sehr stark davon profitieren, wenn z.B. Schlüsselerinnerungen mit Imaginativem Überschreiben bearbeitet werden. Hierfür ist häufig schon eine Sitzung ausreichend, um das emotionale Erleben zu verändern. Bei Patient*innen mit komplexer Traumatisierung wird die Technik häufig mehrfach angewandt, um verschiedene Aspekte des Traumas behandeln zu können. So kann beispielsweise in einer Sitzung die Missbrauchserfahrung durch die Eltern überschrieben werden, während weitere Sitzungen den Fokus auf Erinnerungen haben, in denen sich die Patient*innen einsam oder beschämt gefühlt haben. Hinzu kommen bei vielen Menschen noch belastende Erinnerungen aus der Jugendzeit und Pubertät, welche ebenfalls häufig bis ins Erwachsenenleben nachwirken und in weiteren Sitzungen behandelt werden können. Im Durchschnitt kommt es innerhalb einer Therapie meist zu vier bis acht Sitzungen Imaginativem Überschreiben.

Gibt es „typische“ Traumata oder psychische Krankheitsbilder, die mithilfe des Imaginativen Überschreibens behandelt werden?
Imaginatives Überschreiben ist eine transdiagnostische Technik und kann daher im Prinzip bei allen psychischen Störungen zum Einsatz kommen. Eine Indikation für Imaginatives Überschreiben ist dann gegeben, wenn die Patient*innen sehr intensive Gefühle erleben, welche mutmaßlich auf Erinnerungen in Kindheit und Jugend zurückzuführen sind. Dieser Zusammenhang findet sich häufig bei Menschen mit Persönlichkeitsstörungen und natürlich bei der Posttraumatischen Belastungsstörung. Es kann jedoch beispielsweise auch bei Patient*innen mit einer Sozialen Phobie eine beschämende Erinnerung an die Schulzeit geben. In solchen Fällen können die Gefühle von Angst und Scham mit Imaginativem Überschreiben „an der Wurzel“ angegangen werden – in Kombination mit einer Expositionsbehandlung.

Herausforderungen bei der Arbeit mit Imaginativem Überschreiben

Was für Probleme können beim Imaginativen Überschreiben auftreten und wie sind diese zu lösen?
Viele Therapeut*innen befürchten, dass es bei der Übung schwierig sein könnte, passende Erinnerungsbilder zu finden. Die Erfahrung zeigt, dass dies eigentlich fast nie passiert. Wenn doch, steckt meist Vermeidungsverhalten dahinter. Vermeidungsverhalten kann sich ganz unterschiedlich äußern: Gar nicht erst bei der Übung mitmachen, während der Übung immer wieder die Augen aufmachen, sich emotional nicht auf die Übung einlassen usw. Hinter dem Vermeidungsverhalten stecken meist Ängste, die in der Therapie offengelegt werden müssen. Manchmal benötigen Patient*innen noch Informationen zum Ablauf der Übung oder es müssen kleine Sicherheitsstrategien integriert werden wie ein kurzer Kontakt zwischen Therapeut*in und Patient*in später am Tag oder ein Signal, wenn Gefühle zu stark werden.
Eine weitere Herausforderung, welche immer wieder beim Imaginativen Überschreiben auftritt, sind Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte des Kindes in der Übung, z.B. gegenüber den Eltern. Teil des Imaginativen Überschreibens ist es, Menschen, die das Kind schlecht behandelt haben, in der Übung mit ihrem Fehlverhalten zu konfrontieren. Dies ist notwendig, um dysfunktionale Grundüberzeugungen (z.B.: „Es war meine Schuld, dass meine Mutter mich geschlagen hat.“) beim Kind zu korrigieren. Einige Patient*innen fühlen sich jedoch schuldig, wenn Eltern oder Bezugspersonen durch eine Helferfigur (z.B. Therapeut*in) konfrontiert werden. Es ist wichtig, Verständnis für Defizite der Eltern zu äußern, meist handeln diese ja nicht aus bösem Willen. Gleichzeitig sollte jedoch ganz klar vermittelt werden, dass das Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind nicht akzeptabel ist. Meist können weitere Helferfiguren (z.B. Therapeut*in, Sozialarbeiter*in für das Elternteil) eine Entlastung des Kindes bewirken.

In welchem Rahmen müssen die Therapeut*innen ausgebildet sein, um das Imaginative Überschreiben durchführen zu können? Gibt es spezielle Weiterbildungen?
Therapeut*innen sollten grundsätzlich über die Approbation in einem anerkannten Therapieverfahren verfügen, bevor sie Imaginatives Überschreiben anwenden. Weiterbildungen ausschließlich zu Imaginativem Überschreiben sind noch nicht so häufig. Sie finden sich jedoch in der Regel in Weiterbildungen zum/zur Traumatherapeut*in oder bei speziellen Therapieverfahren wie der Schematherapie oder der Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT). Idealerweise erfolgen die ersten Durchführungen des Imaginativen Überschreibens unter Supervision.

An wen richtet sich Ihr Buch zum Thema?
Unser Buch richtet sich an alle Therapeut*innen, die sich für Imaginative Verfahren interessieren und in ihrer Praxis gerne emotionsfokussiert an Erinnerungen und inneren Bildern arbeiten möchten. Das Buch ist so konzipiert, dass keine Vorkenntnisse zum Thema vorhanden sein müssen und die Technik von Grund auf gelernt werden kann. Es finden jedoch auch Therapeut*innen, die schon intensiv mit Imaginativem Überschreiben gearbeitet haben, zahlreiche Anregungen, Fallbeispiele und Antworten auf spezifische Fragen, die immer wieder beim Imaginativen Überschreiben auftauchen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Laura Seebauer

Dr. Laura Seebauer, Diplom Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Klinische und wissenschaftliche Tätigkeit an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Freiburg mit den Forschungsschwerpunkten Persönlichkeitsstörungen, Schematherapie und Imaginatives Überschreiben. Zertifizierte Schematherapeutin, Dozentin und Supervisorin für Schematherapie „Advanced Certification“. Seit 2018 Tätigkeit als Psychotherapeutin in eigener Praxis und Co-Leitung des Freiburger Institutes für Schematherapie (IST-FR).

PD Dr. Gitta Jacob

PD Dr. Gitta Jacob, Psychologische Psychotherapeutin ist seit 2013 leitende Psychotherapeutin bei der GAIA AG Hamburg. Supervisorin für Verhaltenstherapie, zertifizierte Schematherapeutin, langjährige Dozententätigkeit zu den Themen Schematherapie, schwierige Situation in der Psychotherapie, Borderline-Persönlichkeitsstörung. Ihre Bücher zur Schematherapie wurden bereits in mehr als 10 Sprachen übersetzt.

Foto: © Daniela Möllenhoff

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Das sagt der Dorsch zu:

Imaginatives Überschreiben (= I. Ü.) [engl. imagery rescripting; lat. imaginari sich vorstellen], [KLI], mentale Bilder wie belastende Erinnerungen, Flashbacks, Albträume oder angstbesetzte Zukunftsphantasien stellen bei vielen psych. Störungen ein Korrelat des problematischen emot. Erlebens dar. Das I. Ü. ist eine Technik, die sich der Modalität mentaler Bilder bedient, um mentale Bilder und die damit verbundenen belastenden Emotionen zu behandeln....

 

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