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Integrative Führung

Die Auswahl und Entwicklung von Führungskräften gehören zu den wichtigsten Aufgaben von Organisationen. Für die Beurteilung spielt neben Führungsstilen insbesondere die Kommunikation der Führungskraft eine große Rolle. Mit dem Fragebogen zur Integrativen Führung (FIF) steht nun ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich erfolgsrelevante Führungs- und Kommunikationsstile präzise erfassen lassen.

Wir haben mit Prof. Dr. Jens Rowold, einem der Autoren des FIF, gesprochen.

Was versteht man unter integrativer Führung?

Herr Professor Rowold, der FIF basiert auf dem Modell der integrativen Führung. Was genau ist unter "integrativer Führung" zu verstehen?
"Integrative Führung" bedeutet, dass erstmals eine Reihe von bisher getrennt betrachteten Führungsverhaltensweisen in einem Modell zusammengefasst wird. Dies bildet die Komplexität der Führungspraxis besser ab, als es bisherige Ansätze tun. Im Einzelnen beinhaltet das integrative Führungsmodell

  • die transformationale Führung (z.B. Führen durch Vision und Vorbildfunktion),
  • die transaktionale Führung (Festlegen von Zielen und Belohnungen) und
  • ergänzend die instrumentelle Führung (strategische Führung und Unterstützung der Mitarbeiter im laufenden Arbeitsprozess).

Diese positiven Verhaltensweisen werden komplementiert durch negative Verhaltensweisen von Führungskräften:

  • sog. Laissez-Faire Führung und
  • destruktive Führung.

Obwohl negative Verhaltensweisen genauso wichtig für das Verständnis der Mitarbeiterleistung sind wie positive, waren sie bisher kaum in praxisorientierten Instrumenten verfügbar.
Schließlich wurden drei Kommunikationsstile in den FIF mit aufgenommen:

  • aufmerksamer Kommunikationsstil,
  • beeindruckender Kommunikationsstil und
  • dominanter Kommunikationsstil.

So wird Führungskräften die Möglichkeit gegeben, sich im Bereich Kommunikation – eines wichtigen Führungswerkzeugs – zu verbessern.

Für welche Fragestellungen kann der FIF eingesetzt werden?
Der FIF kann erstens für die Personalauswahl von Führungskräften genutzt werden. Beispielsweise können im Rahmen eines Assessment Centers Bewerber auf Führungspositionen mit Hilfe des FIF bewertet werden.
Zweitens kann der FIF bei der Entwicklung von Führungskräften, z.B. durch Feedbackprozesse oder Leistungsbeurteilungen eingesetzt werden. Besonders in Trainings- oder Coachingmaßnahmen kann der FIF Aufschluss darüber geben, welche Führungsverhaltensweisen eine Führungskraft bereits gut beherrscht und bei welchen Verhaltensweisen noch Verbesserungsbedarf besteht.
Da die meisten Veränderungsprozesse durch eine zu geringe Mitarbeitermotivation scheitern, kann der FIF drittens eingesetzt werden, um vor und während Veränderungsprozessen den beteiligten Führungskräften Möglichkeiten zur Mitarbeitermotivation aufzuzeigen.

Was ist besonders am FIF?

Wie unterscheidet sich der FIF von anderen Verfahren im Bereich Führung?
Bisher wurde in Instrumenten, die für Praktiker verfügbar sind, immer nur auf einen der zahlreichen, wissenschaftlich validierten Führungsansätze fokussiert. So liegen zum Beispiel einzelne Instrumente vor, die sich mit der transformationalen und transaktionalen Führung beschäftigen. Diese Vereinfachung wird jedoch der Realität von Personalführung nicht gerecht. Denn in der Praxis zeigt eine Führungskraft eine Vielzahl von Führungsverhaltensweisen, die bisher in der Wissenschaft getrennt voneinander betrachtet wurden. Daher wurde das Modell der integrativen Führung entwickelt, um diejenigen Führungsverhaltensweisen zu kombinieren, die nachgewiesenermaßen signifikant mit organisational relevanten Erfolgsindikatoren (z.B. der Arbeitsleistung) in Beziehung stehen. Insbesondere die Aufnahme von Kommunikationsstilen stellt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu bisherigen Instrumenten zur Führung dar.

Führt man den FIF vollständig durch, erhält man also ein ganzheitliches Bild aller Führungsverhaltensweisen. Gleichzeitig besteht der FIF aber auch aus einzelnen Modulen. Welche Vorteile bieten diese Module?
In jeder Organisation gibt es spezifische Herausforderungen, für die es seitens der Führungsforschung und -praxis wiederum passende Lösungsansätze gibt. Daher können sich Praktiker beim FIF entscheiden, welche(s) der insgesamt vier Module sie verwenden bzw. kombinieren möchten.

Modul A erfasst transformationale und transaktionale Führung.
Diese beiden Führungsstile sind in unterschiedlichsten Situationen effektiv und auch in Veränderungsprozessen hilfreich.

Modul B erfasst instrumentelle Führung.
Die instrumentelle Führung ergänzt die transformationale und transaktionale Führung um wichtige strategische und planerische Aspekte. Es liegen Studien vor, die belegen, dass die instrumentelle Führung – im Vergleich zur transformationalen Führung – die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern noch einmal erhöhen kann.

Modul C erfasst Kommunikationsstile.
Damit die bisher genannten Führungsverhaltensweisen optimal beim Mitarbeiter ankommen, empfehlen sich unterschiedliche Kommunikationsstile, die z.B. auch sehr gut in Personalentwicklungsmaßnahmen eingebunden werden können.

Modul D erfasst negative Führungsverhaltensweisen.
Negative Führungsverhaltensweisen schränken die Effektivität von Mitarbeitern und Teams ein. In der Praxis wurde diesem Thema bisher kaum Beachtung geschenkt, obwohl negative Personalführung ähnlich stark mit Leistungsindikatoren zusammenhängt wie die oben beschriebenen "positiven" Führungsverhaltensweisen. Studien weisen auch darauf hin, dass viele Mitarbeiter bereits häufig negative Führungsverhaltensweisen erlebt haben, dadurch demotiviert wurden oder sogar die Organisation verlassen haben. Zu den negativen Führungsverhaltensweisen zählt beispielsweise, dass die Führungskraft über einen Mitarbeiter schlecht hinter dessen Rücken spricht.

Insgesamt erlaubt die Modularisierung des FIF einen passgenauen, zeitökonomischen Einsatz in der jeweiligen Organisation.

Der FIF beinhaltet eine Version zur Selbst- und eine zur Fremdbeschreibung. Wann setzt man welche Version ein?
Im Vordergrund sollte die Fremdbeschreibung stehen, da bekannt ist, dass Fremdurteile von Führungsverhaltensweisen jeweils mit Kriterien der Mitarbeiterzufriedenheit und -leistung in Beziehung stehen. Die Durchführung des FIF aus der Perspektive der Mitarbeiter liefert der jeweiligen Führungskraft wichtige Hinweise zur Verbesserung des eigenen Führungsverhaltens. Um die Anonymität der dabei beteiligten Mitarbeiter zu schützen, hat es sich in der Praxis bewährt, mindestens drei Mitarbeiter zu befragen und deren Einschätzungen jeweils zu mitteln, bevor die Führungskraft das Feedback erhält. Diese Vorgehenswiese wird daher im FIF berücksichtigt.
Die Selbsteinschätzung der Führungskraft ist zusätzlich zur Fremdeinschätzung gerade im Kontext der Personalentwicklung wichtig, um der jeweiligen Führungskraft einen Spiegel vorzuhalten. Denn es ist die Regel, dass Führungskräfte sich anders (häufig positiver) einschätzen als ihre Mitarbeiter. Studien zeigen, dass die Führungseffektivität bei größeren Abweichungen zwischen Selbst- und Fremdurteil sinkt. Die Gegenüberstellung von Selbst- und Fremdeinschätzung kann Führungskräften einen sehr deutlichen Hinweis auf Verbesserungsmöglichkeiten geben, da im FIF-Feedbackbericht die Ergebnisse nicht nur quantitativ, sondern auch mit Normen dargestellt werden. Diese klare Gegenüberstellung motiviert Führungskräfte erfahrungsgemäß, ihr Führungsverhalten zu verbessern.

Prof. Dr. Jens Rowold

Jens Rowold ist seit 2009 Professor für Personalentwicklung und Veränderungsmanagement an der der Technischen Universität Dortmund. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Personalführung, Psychodiagnostik und Personalentwicklung.

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