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Integrierte Versorgung bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen

Die Therapie und Versorgung von Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist eine große Herausforderung für das Gesundheitssystem. Obwohl ein Drittel der Betroffenen zu der Gruppe von Menschen mit einer schweren psychischen Erkrankung gezählt wird, sind die Behandlungsstrukturen zurzeit noch ungenügend. Katharina Krog und Dr. Andreas Schindler stellen in ihrem Buch Integrierte Versorgung bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen einen neuen Ansatz zur Versorgung von Menschen mit einer BPS vor.

Die Integrierte Versorgung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen vereint verschiedene Behandlungsstränge in einem Netzwerk.

In Deutschland sind Schätzungen zufolge ca. 662.000 Menschen von einer Borderline-Persönlichkeitsstörungen betroffen. Was sind die typischen Symptome dieser Persönlichkeitsstörung?
Die BPS ist eine sehr komplexe Störung, die Betroffenen leiden unter einer Vielzahl von Symptomen. Sie erleben extreme und wechselnde Gefühlszustände, die kaum erträglich scheinen und die sie kaum regulieren können. Dies führt dazu, dass sie versuchen, ihre Gefühle mit dysfunktionalen und letztlich selbstschädigenden Mitteln zu steuern. Das bekannteste Symptom sind Selbstverletzungen, häufig sind aber auch beispielsweise Substanzmissbrauch und Essstörungen. Die emotionale Instabilität ist zudem eng verknüpft mit Problemen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Ein Beispiel ist hier die Wut, die von vielen Betroffenen so intensiv erlebt wird, dass sie sich immer wieder in Konflikte mit anderen verstricken. Aus solchen Konflikten resultieren dann vielfältige soziale Probleme. Oft ist auch das Selbstbild der Betroffenen extrem negativ. In Krisen führt das immer wieder zu Suizidgedanken und Suizidversuchen.

Die Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen

Was sind die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten von Patient*innen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung?
Mit der Dialektisch-Behavioralen Therapie, der Schematherapie, der Mentalisierungsbasierten Therapie und der Übertragungsfokussierten Therapie liegen vier störungsspezifische Behandlungsansätze mit guter Wirksamkeit vor. Leider sind die Behandlungsstrukturen in Deutschland aber so unzureichend, dass bei Weitem nicht alle Betroffenen davon profitieren. Die weiteste Verbreitung hat noch die DBT, mit deutschlandweit etwa 700 stationären Behandlungsplätzen – wohlgemerkt für 662.000 Betroffene. Noch schlechter und unübersichtlicher ist die Lage im ambulanten Bereich, wo tragfähige Behandlungsstrukturen weitgehend fehlen. Niedergelassene Psychotherapeut*innen sind kaum in der Lage, die typischen Krisen schwer erkrankter Borderline-Patient*innen aufzufangen. Den psychiatrischen Institutsambulanzen dagegen sind aus Kostengründen zeitintensivere Behandlungen kaum möglich. Therapeutische Netzwerke für Borderline-Betroffene gibt es nur in wenigen Städten. Dieser Mangel an hinreichend „krisenfesten“ ambulanten Angeboten führt immer wieder zu Notfällen aufgrund von schwerer Selbstverletzung oder Suizidalität und zu stationären Krisenaufenthalten.

Was ist die größte Herausforderung bei der Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen?
Die BPS hält eine ganze Reihe von herausfordernden Aspekten bereit. Am kritischsten ist dabei der Umgang mit Selbstschädigung und Suizidalität, die die Behandler*innen immer wieder an ihre eigenen emotionalen Grenzen bringen können. Sehr grundlegend ist die therapeutische Beziehung, die aufgrund der wechselnden emotionalen Zustände der Patient*innen immer wieder aus der Balance geraten kann. Eine gute Selbstfürsorge, Reflexionsmöglichkeiten und Teamwork sind hier essenziell. Die Begründerin der DBT, Marsha Linehan, hat es so formuliert, dass es fahrlässig wäre, Borderline-Patient*innen allein zu behandeln.

Die Integrierte Versorgung von Borderline-Störungen

Sie stellen in Ihrem Buch das Hamburger Modell der Integrierten Versorgung – Borderline (IV-Borderline) vor. Können Sie kurz erklären, was der Ansatz dieses Modells ist?
Das Modell setzt eine Forderung der Behandlungsleitlinien der BPS um, und bietet eine integrierte, vorwiegend ambulante Komplexbehandlung mit störungsspezifischer, DBT-basierter Psychotherapie, sozialpädagogischer Unterstützung, bei Bedarf Psychopharmakotherapie sowie der Möglichkeit stationärer Kriseninterventionen. Angeboten wird diese Behandlung durch ein interdisziplinäres Team, das in einem psychiatrischen Krankenhaus mit regionalem Versorgungsauftrag angesiedelt ist. Die Behandlung zielt darauf ab, die Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken und so die Dauer und Häufigkeit stationärer Kriseninterventionen zu reduzieren.

Was unterscheidet die IV-Borderline von derzeitig eingesetzten Methoden zur Therapie von Borderline-Störungen?
Der Unterschied liegt weniger in den eingesetzten Therapiemethoden als in der integrierten Behandlungsstruktur. Das gesamte IV-Team ist verantwortlich für die Behandlung jeder/jedes einzelnen Patient*in. Die Behandlung ist so umfassend angelegt, dass psychische, soziale und somatische Problembereiche behandelt werden können. Außerdem endet die Behandlung nicht, wenn ein/eine Patient*in in einer Krise stationär behandlungsbedürftig wird. Vielmehr kann das IV-Modell auch stationäre Kriseninterventionen integrieren. Mit diesem hohen Maß an „Krisensicherheit“ wird eine langfristige Kontinuität der Behandlung gewährleistet. Diese bietet die Basis für einen nachhaltigen therapeutischen Fortschritt.

Die IV-Borderline basiert auf der Dialektisch-Behavioralen Therapie. Was kann man sich unter diesem Ansatz vorstellen?
Die DBT zielt darauf ab dysfunktionales Verhalten zu verringern und möglichst durch funktionales Verhalten zu ersetzen. Die Betroffenen sollen ihr Leben besser bewältigen lernen. Dazu werden Strategien zum Umgang mit extremem Stress und Anspannung vermittelt. Sie lernen ihre Emotionen und ihre Beziehungen besser zu regulieren und achtsamer mit sich umzugehen.
Die Behandlung besteht aus einer Einzel- und Gruppentherapie. Bei Bedarf kann in Krisensituationen zusätzlich das Telefoncoaching genutzt werden. Das Behandlungsteam reflektiert die Therapien gemeinsam im Konsultationsteam und in der Supervision.

Wer kommt für die ambulante Therapie nach dem IV-Borderline-Modell in Frage?
Das Modell der IV-Borderline wurde vor allem für schwer kranke Betroffene entwickelt, die ansonsten stationär behandelt werden müssten. Sie müssen zudem nah genug an der Klinik wohnen, um diese auch in Krisen erreichen zu können.

Gibt es bereits erste Erkenntnisse beim Einsatz der IV-Borderline?
Die begleitende Evaluation der IV-Borderline ist noch nicht abgeschlossen, im Laufe des Jahres 2021 werden aussagekräftige Ergebnisse vorliegen. Vorläufige Analysen weisen aber auf eine sehr vielversprechende Entwicklung hin. Vor allem scheinen sich die vorher sehr häufigen stationären Aufenthalte deutlich reduzieren zu lassen. Selbstverletzungen und Suizidalität nehmen ab und die Patient*innen kommen in ihrem Leben langsam besser zurecht. Deutlich wird aber auch, dass die Behandlung viel Zeit und Kraft kostet, und zwar die des Teams, vor allem aber auch die der Patient*innen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Dipl.-Psych. Katharina Krog

Seit 2014 Mitarbeiterin und seit 2018 Teil der therapeutischen Leitung der Abteilung Integrierte Versorgung – Borderline in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

Dr. phil. Andreas Schindler

Seit 1995 wissenschaftlicher Mitarbeiter, seit 2008 Leiter der Spezialambulanz für Persönlichkeits- und Belastungsstörungen und seit 2014 der Integrierten Versorgung – Borderline am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

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