Die Integrierte Versorgung von Borderline-Störungen
Sie stellen in Ihrem Buch das Hamburger Modell der Integrierten Versorgung – Borderline (IV-Borderline) vor. Können Sie kurz erklären, was der Ansatz dieses Modells ist?
Das Modell setzt eine Forderung der Behandlungsleitlinien der BPS um, und bietet eine integrierte, vorwiegend ambulante Komplexbehandlung mit störungsspezifischer, DBT-basierter Psychotherapie, sozialpädagogischer Unterstützung, bei Bedarf Psychopharmakotherapie sowie der Möglichkeit stationärer Kriseninterventionen. Angeboten wird diese Behandlung durch ein interdisziplinäres Team, das in einem psychiatrischen Krankenhaus mit regionalem Versorgungsauftrag angesiedelt ist. Die Behandlung zielt darauf ab, die Fähigkeit zur Selbstregulation zu stärken und so die Dauer und Häufigkeit stationärer Kriseninterventionen zu reduzieren.
Was unterscheidet die IV-Borderline von derzeitig eingesetzten Methoden zur Therapie von Borderline-Störungen?
Der Unterschied liegt weniger in den eingesetzten Therapiemethoden als in der integrierten Behandlungsstruktur. Das gesamte IV-Team ist verantwortlich für die Behandlung jeder/jedes einzelnen Patient*in. Die Behandlung ist so umfassend angelegt, dass psychische, soziale und somatische Problembereiche behandelt werden können. Außerdem endet die Behandlung nicht, wenn ein/eine Patient*in in einer Krise stationär behandlungsbedürftig wird. Vielmehr kann das IV-Modell auch stationäre Kriseninterventionen integrieren. Mit diesem hohen Maß an „Krisensicherheit“ wird eine langfristige Kontinuität der Behandlung gewährleistet. Diese bietet die Basis für einen nachhaltigen therapeutischen Fortschritt.
Die IV-Borderline basiert auf der Dialektisch-Behavioralen Therapie. Was kann man sich unter diesem Ansatz vorstellen?
Die DBT zielt darauf ab dysfunktionales Verhalten zu verringern und möglichst durch funktionales Verhalten zu ersetzen. Die Betroffenen sollen ihr Leben besser bewältigen lernen. Dazu werden Strategien zum Umgang mit extremem Stress und Anspannung vermittelt. Sie lernen ihre Emotionen und ihre Beziehungen besser zu regulieren und achtsamer mit sich umzugehen.
Die Behandlung besteht aus einer Einzel- und Gruppentherapie. Bei Bedarf kann in Krisensituationen zusätzlich das Telefoncoaching genutzt werden. Das Behandlungsteam reflektiert die Therapien gemeinsam im Konsultationsteam und in der Supervision.
Wer kommt für die ambulante Therapie nach dem IV-Borderline-Modell in Frage?
Das Modell der IV-Borderline wurde vor allem für schwer kranke Betroffene entwickelt, die ansonsten stationär behandelt werden müssten. Sie müssen zudem nah genug an der Klinik wohnen, um diese auch in Krisen erreichen zu können.
Gibt es bereits erste Erkenntnisse beim Einsatz der IV-Borderline?
Die begleitende Evaluation der IV-Borderline ist noch nicht abgeschlossen, im Laufe des Jahres 2021 werden aussagekräftige Ergebnisse vorliegen. Vorläufige Analysen weisen aber auf eine sehr vielversprechende Entwicklung hin. Vor allem scheinen sich die vorher sehr häufigen stationären Aufenthalte deutlich reduzieren zu lassen. Selbstverletzungen und Suizidalität nehmen ab und die Patient*innen kommen in ihrem Leben langsam besser zurecht. Deutlich wird aber auch, dass die Behandlung viel Zeit und Kraft kostet, und zwar die des Teams, vor allem aber auch die der Patient*innen.
Vielen Dank für das Gespräch!