DeutschMedizin

Interventionelle Kardiologie – über die minimalinvasive und individualisierte Therapie einer Volkskrankheit

Seit Jahrzehnten sind kardiovaskuläre Erkrankungen, allen voran der Herzinfarkt, die häufigste Todesursache in der entwickelten Welt. Eine alternde Gesellschaft in Kombination mit Bewegungsarmut und einer Zunahme an typischen Risikofaktoren wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck führen zu einer ständig steigenden Anzahl an Patienten. Dem gegenüber steht der rasche medizinische Fortschritt in der medikamentösen, aber insbesondere auch der interventionellen Therapie von Herz-Kreislauferkrankungen, dem es zu verdanken ist, dass die Sterblichkeit von Patienten mit einem Herzinfarkt drastisch abgenommen hat. Während noch vor 30 Jahren jeder dritte Patient die Akutphase des Herzinfarktes nicht überlebt hat, können heute ca. 95% der Infarktpatienten das Spital wieder verlassen und in ihren Alltag zurückkehren.

Die Erfolgsgeschichte der interventionellen Kardiologie

Massgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hat die interventionelle Kardiologie, deren Ziel es ist, beim Herzinfarkt verschlossene oder schwer verengte Gefässe so schnell wie möglich wieder zu eröffnen und damit ein Absterben von Herzmuskelgewebe und potenziell tödliche Komplikationen wie Rhythmusstörungen, Rupturen des Herzmuskels oder eine akute Herzschwäche zu verhindern. Der Grundstein für die Erfolgsgeschichte der modernen interventionellen Kardiologie wurde 1977 im Universitätsspital Zürich gelegt, als Andreas Grüntzig erstmals mittels Ballondilatation ein schwer verengtes Herzkranzgefäss wiedereröffnete. Seither liefern neuentwickelte Technologien immer detaillierte Einblicke in das Geschehen rund um den Herzinfarkt und ermöglichen damit eine zunehmend individualisierte Diagnostik und Therapie.

Dennoch ergeben sich immer wieder neue Herausforderungen, so stellen zum Beispiel schwer verkalkte Läsionen komplexe Situationen dar, welche je nach Ausdehnung und Härtegrad gesonderter Therapien bedürfen. Um ein perfektes Interventionsergebnis zu erzielen, sind hier häufig Techniken nötig, die über die Ballondilatation hinausgehen. Alt bewährt zur Behandlung schwer verkalkter Engstellen ist die Rotablation, bei der die Verkalkungen im Herzkranzgefäss mit einem winzigen, diamantbesetzten Bohrer abgefräst werden. Relativ neu auf dem Markt ist demgegenüber die Lithotripsie, die den Kalk mittels im Gefäss abgegebener Ultraschallimpulse aufsprengt, so dass er anschliessend mittels Ballonen und Stents zur Seite gedrückt werden kann.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus chronischen Koronararterienverschlüssen. Auf Grund des erhöhten Risikos, das mit der Wiedereröffnung eines lange verschlossenen Herzkranzgefässes einhergeht, ist es von besonderer Bedeutung, an Hand der aktuellen Evidenz die Patienten zu selektieren, die auch sicher von einer Rekanalisation profitieren. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Beschwerden des Patienten eindeutig auf den Gefässverschluss zurückzuführen sind und, dass das Herzmuskelgewebe im Versorgungsgebiet des verschlossenen Gefässes nicht bereits vollständig vernarbt ist.

Probleme und Chancen bei neuen Entwicklungen

Einige Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts haben scheinbar in eine Sackgasse geführt. Das gilt insbesondere für die vaskulären bioresorbierbaren Scaffolds, also Stents welche sich über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren nach der Implantation vollständig abbauen, so dass langfristig kein Fremdmaterial im Herzkranzgefäss zurück bleibt. Als dieses faszinierende Konzept vor einigen Jahren vorgestellt wurden, wurde ihm das Potenzial vorhergesagt, Metallstents langfristig abzulösen. Aber nachdem sich in der Anwendung eine überproportional hohe Rate an akuten thrombotischen Stent-Verschlüssen zeigte, sind die Scaffolds heute wieder aus dem klinischen Routinebetrieb verschwunden. Allerdings ist noch nicht klar, ob diese an sich überzeugende Idee abbaubarer Stents nicht mit neuen Materialen doch noch zum Erfolg geführt werden kann.

Die Bedeutung der intrakoronaren Bildgebung und der invasiven Messung der Mikrozirkulation

Im Zeitalter der zunehmenden Individualisierung erscheint die intrakoronare Bildgebung einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Diese erlaubt es, mittels Ultraschalles oder optischer Koherenztomographie detailgetreue Aufnahmen aus dem Inneren des Gefässes zu machen. An Hand dieser Aufnahmen kann beispielweise eine atherosklerotische Plaque, der Gefässdurchmesser oder auch die Lage eines Stents auf wenige Mikrometer genau beurteilt werden. Wenn jedoch mit keiner bildgebenden Methode eine Engstelle der grossen Herzkranzgefässe gefunden werden kann, aber dennoch typische Symptome einer koronaren Herzkrankheit vorliegen, was insbesondere bei Frauen nicht selten auftritt, dann kommt der koronaren Mikrozirkulation eine grosse Bedeutung zu. So zeigen ca. 10 % der Patienten mit akutem Myokardinfarkt keine obstruktiven Läsionen (Myokardinfarkt mit nichtobstruktiven Koronararterien, MINOCA).

Neben Gefässspasmen und spontan aufgelösten Gerinnseln stellt auch die spontane Koronararteriendissektion (SCAD) eine mögliche Ursache für ein MINOCA dar. Die SCAD ist eine zunehmend diagnostizierte Ätiologie des akuten Koronarsyndroms und eine wichtige Ursache des Myokardinfarktes bei Frauen. Sie wird inzwischen als Ursache von 4 % aller und 25 % der akuten Koronarsyndrome bei Frauen unter 50 Jahren angenommen und ist die häufigste Ursache des Myokardinfarktes in der Schwangerschaft. Typischerweise eher bei Frauen tritt auch das Takotsubo Syndrom auf, welches am ehesten durch eine Mikrozirkulationsstörung gekennzeichnet ist. Die invasive Messung der Mikrozirkulation hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielt und ermöglicht heute auch Durchblutungsstörungen der kleinsten Herzkranzgefässe zuverlässig zu diagnostizieren.

Voraussetzungen für den Erfolg in der klinischen Praxis

Jedoch ist nicht die technische Machbarkeit, sondern der Nutzen für den Patienten massgeblich dafür, ob eine neue Technik dauerhaft Einzug in die klinische Praxis findet. Neben den aktuellen Leitlinien der europäischen Fachgesellschaft für Kardiologie (ESC) müssen dabei auch die Ergebnisse grosser internationaler Studien beachtet werden. Ein Beispiel hierfür ist der ISCHEMIA Trial, der für eine kritische Diskussion des diagnostischen und therapeutischen Vorgehens bei Patienten mit chronischem Koronarsyndrom sorgte.
Auch im Bereich struktureller Herzinterventionen hat sich in den letzten Jahren viel getan. So hat sich die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) als Standardverfahren für die Behandlung schwerer Aortenklappenstenosen etabliert und bereits einen grösseren Stellenwert als der chirurgische Aortenklappenersatz eingenommen. Die aktuellen Herausforderungen bei diesem Verfahren bestehen vor allem bei Behandlungsentscheidungen im Rahmen von Valve-in-Valve-Verfahren bei bereits bestehendem Aortenklappenersatz oder bei Patienten mit angeborenen Anomalien der Aortenklappe wie einer bikuspiden Aortenklappe.
 

Erfahren Sie mehr über die modernen Methoden der interventionellen Kardiologie in der aktuellen Ausgabe der  Therapeutischen Umschau.

Porträtfoto von Alexander Gotschy.

Dr. med. Alexander Gotschy

Dr. med. Alexander Gotschy ist Oberarzt i.V. für Interventionelle Kardiologie und kardiovaskuläre Bildgebung (Herz-MRI) am Universitätsspital Zürich, Klinik für Kardiologie und Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Christian Templin

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Christian Templin ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie leitender Arzt der Klinik für Kardiologie, Spezialgebiet Interventionelle und Strukturelle Kardiologie. Seit 2014 Leiter der Akuten Kardiologie am Universitären Herzzentrum Zürich. Seit 2019 Leiter der Andreas Grüntzig Herzkatheterlabore.