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Job Crafting: Das Leben selbst in die Hand nehmen und entspannter gestalten

Bei der Arbeit sind wir oft von externen Faktoren bestimmt. Mit Crafting-Strategien holen Sie sich Gestaltungsspielräume zurück – und das nicht nur im Job. Von Timo Kortsch

Manuela bearbeitet als Softwareentwicklerin verschiedene Projekte für andere Unternehmen. Außerdem hat sie zwei junge Kinder. Durch die Corona-Pandemie können ihre Kinder nicht mehr in die Ganztagsbetreuung der Schule, sodass sie zusammen mit ihrem Partner die Kinderbetreuung komplett anders organisieren muss. Außerdem pendelt sie eine Stunde mit dem Auto zu ihrer Arbeitsstelle, was die Organisation der Kinderbetreuung noch schwieriger macht. Glücklicherweise kann ihr Partner seine Arbeitszeit reduzieren, um sich besser um die Kinder kümmern zu können. Er bringt in letzter Zeit auch die Kinder ins Bett. Dennoch ist Manuela durch die Situation sehr gefordert und ist abends froh, wenn sie einen Moment auf dem Sofa in Ruhe genießen kann.

Wie bei Manuela entsteht Stress durch das Zusammenspiel von Anforderungen von außen und den eigenen Ressourcen. In solchen stressigen Situationen hofft man oft auf „bessere Zeiten“, die mehr Freiräume lassen. So kann sich allerdings auch ein Gefühl der Hilflosigkeit einstellen, da man oft nur begrenzt Einfluss auf die von außen kommenden Anforderungen hat. Beispielsweise werden Deadlines von anderen Personen gesetzt, kommen kurzfristige Anfragen von Vorgesetzten oder gesetzliche Regularien haben zum Teil großen Einfluss auf die eigene Arbeit. Oft sind schnelle Veränderungen nicht zu erwarten. Insofern ist es wünschenswert, selbst etwas an der Situation verändern zu können.

Job Crafting: Das Schicksal in die eigene Hand nehmen

Doch wie kann es gelingen, die Situation zu verändern? In diesem Zusammenhang ist der Ansatz des Job Crafting (z. B. Wrzesniewski & Dutton, 2001) interessant, der die eigenen Gestaltungsspielräume bei der Arbeit in den Vordergrund stellt. Unter Job Crafting versteht man, die Arbeit selbst so zu gestalten, dass sie den eigenen Vorstellungen und Fähigkeiten möglichst gut entspricht. Und damit sind die eigenen Gestaltungsspielräume gemeint, ohne dass der Arbeitgeber die Veränderungen anstößt. Beschäftigte werden insofern als aktive Gestalter ihrer Arbeit verstanden.

Es geht oft gar nicht darum, etwas gänzlich anderes zu machen, auch kleine Veränderungen können große Effekte haben: Vielleicht wünscht man sich ein bisschen mehr Austausch mit den Kollegen oder eine abwechslungsreichere Arbeitstätigkeit. Im Sinne des Job Crafting wartet man nun aber nicht, bis sich etwas in diesem Sinne verändert, sondern stößt die Veränderungen selbst an. Um beim Beispiel von Manuela zu bleiben, könnte sie im Rahmen ihrer Arbeit z. B. weniger oder andere Aufgaben übernehmen, sich z. B. häufiger von Kollegen Feedback einholen oder versuchen, ihre vielen unübersichtlichen Einzelprojekte zu größeren Arbeitspaketen zusammenzufassen. Es gibt also ganz unterschiedliche Möglichkeiten und es hängt sehr von der jeweiligen Arbeit ab, wo man ansetzen kann und möchte.

Vier Job Crafting-Strategien, um Stress bei der Arbeit zu reduzieren

Wie genau man nun aber Job Crafting betreiben kann, wurde in verschiedenen Studien untersucht. Ganz allgemein kann man vier verschiedene Strategien des Job Crafting unterscheiden (Tims et al., 2012):

  1. Strukturelle Ressourcen vergrößern: Darunter fällt, sich selbst Lernmöglichkeiten zu suchen, um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, aber auch sich bewusst Freiräume schaffen, indem man seine Arbeit z. B. anders organisiert.

  2. Soziale Ressourcen vergrößern: Man kann beispielsweise aktiv nach Feedback suchen oder Mitglieder aus dem eigenen Team als Lernquelle betrachten* und sich gezielt Dinge abschauen.

  3. Herausfordernde Anforderungen vergrößern: Ein Beispiel für diese Strategie ist, Verantwortung z. B. für ein interessantes Projekt zu übernehmen, das nicht unbedingt in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt. Man kann aber auch eigeninitiativ nach neuen Aufgaben suchen, anstatt darauf zu warten, bis andere (vielleicht weniger attraktive) Aufgaben zugeteilt werden.

  4. Hinderliche Anforderungen reduzieren: Gemäß dieser Strategie kann man kognitiv, emotional oder sozial belastende Tätigkeiten reduzieren, soweit dies möglich ist. Ein anderes Beispiel ist das klare Setzen von Grenzen gegenüber Kolleginnen und Kollegen.

Allerdings sind nicht alle Strategien gleich effektiv zur Stressprävention. Diese vier Strategien kann man in zwei Gruppen einteilen: Die Strategien 1 bis 3 sind von einer Annäherungsorientierung geprägt, also dem Aufsuchen von neuen Gelegenheiten, während die Strategie 4 eine Vermeidungsorientierung prägt. Eine Meta-Analyse, die 132 Einzelstudien zum Thema zusammenfasst (Lichtenthaler & Fischbach, 2019), deutet darauf hin, dass nur die annäherungsorientierten Strategien 1 bis 3 empfehlenswert sind: Während Strategien 1 bis 3 das Burnout-Risiko reduzieren, wird es durch Strategie 4 sogar gesteigert.

Es geht nicht nur bei der Arbeit: Leisure Crafting, Home Crafting, Work-Life-Balance Crafting …

Doch kann man nur bei der Arbeit solche Crafting-Strategien anwenden? Neuere Forschung hat die Idee des Job Crafting auch auf andere Bereiche übertragen (ein Überblick gibt de Bloom et al., 2020). Einige Beispiele für andere Crafting-Arten sind:

  • Leisure Crafting (gemeint ist ähnlich dem Job Crafting die Freizeitaktivitäten so zu wählen, dass sie möglichst gut zu den eigenen Bedürfnissen entsprechen)

  • Home Crafting (proaktive Gestaltung des privaten Lebensbereichs im Sinne der eigenen Bedürfnisse)

  • Work-Life-Balance Crafting (die bewusste Gestaltung der Grenzen zwischen privatem und beruflichem Lebensbereich passend zu den eigenen Bedürfnissen)

Es gibt also in unterschiedlichen Lebensbereichen Möglichkeiten, die Umstände so zu gestalten, dass sie eher im Sinne der eigenen Bedürfnisse sind und so weniger Stress auslösen.

Das eigene Crafting-Verhalten reflektieren und entwickeln

Wenn Sie Ihr eigenes Crafting-Verhalten reflektieren und neue Crafting-Strategien entwickeln möchten, nutzen Sie unser Arbeitsblatt MEIN CRAFTING PLANEN. Es ist des „Einfach weniger Stress“ Online-Kurses. Mehr Informationen zum Kurs finden Sie unter www.einfach-weniger-stress.de/onlinekurs.

Literatur

de Bloom, J., Vaziri, H., Tay, L., & Kujanpää, M. (2020). An identity-based integrative needs model of crafting: Crafting within and across life domains. Journal of Applied Psychology. Advance online publication. doi.org/10.1037/apl0000495

Lichtenthaler, P. W., & Fischbach, A. (2019). A meta-analysis on promotion-and prevention-focused job crafting. European Journal of Work and Organizational Psychology, 28 (1), 30-50. doi.org/10.1080/1359432X.2018.1527767

Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2000). Self-determination theory and the facilitation of intrinsic motivation, social development, and well-being. American psychologist, 55(1), 68-78. DOI: 10.1037110003-066X.55.1.68

Tims, M., Bakker, A. B., & Derks, D. (2012). Development and validation of the job crafting scale. Journal of Vocational Behavior, 80 (1), 173-186.

Wrzesniewski, A., & Dutton, J. E. (2001). Crafting a job: Revisioning employees as active crafters of their work. Academy of management review, 26(2), 179-201.

Dr. Timo Kortsch

Timo Kortsch hat in Halle und Magdeburg Psychologie studiert und an der Technischen Universität Braunschweig promoviert. Zusammen mit Dr. Hilko Paulsen hat er die psychologische Beratung Denkverstärker gegründet. In diesem Rahmen ist er seit 2016 als selbstständiger Trainer und Berater im Bereich Organisations- und Führungskräfteentwicklung tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Gesundheit, Kompetenzentwicklung und Lernkultur.