Ihr Buch richtet sich an Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe, ebenso an Trainings- und Erziehungsberufe – warum ist es in diesen Bereichen besonders wichtig, fundiertes Wissen über sexualisierte Gewalt aufzubauen?
Fachleute auf allen Ebenen sind mit einer Vielzahl von Betroffenen konfrontiert. Zunächst das Gesundheitswesen: Die Zahl von Hilfesuchenden geht in die Millionen. Wenn Ärzt*innen und Pflegende kein Wissen und kein Störungskonzept haben, werden die Betroffenen nicht adäquat behandelt. Wie schon vorhin erwähnt – oft sind Hausärzt*innen die ersten Ansprechpartner für Opfer, hier fehlt aber oft Wissen und die Traumatisierung wird nicht erkannt. Damit verzögert sich dann wieder die eigentlich notwendige psychotherapeutische Behandlung. Wir müssen als Ärzt*innen unsere Patient*innen auch darauf ansprechen können, wir müssen signalisieren: Hier können Sie sprechen, wir interessieren uns.
Fachleute aus diesem Bereich sind zudem als Gutachter für Versicherungen und Gerichte tätig – wenn sie die Ursachen nicht korrekt erfassen, erstellen sie falsche Berichte, die für die Betroffenen mit deletären Folgen verbunden sein können. Das gleiche gilt für die Sozialberufe, die häufig in Sozialbehörden, Jugendämtern und Heimeinrichtungen eine wichtige Schnittstellenfunktion innehaben. Und schließlich sitzen in jeder Schulklasse mehrere betroffene Kinder. Da rund die Hälfte aller sexualisierten Gewaltdelikte innerhalb von Familien stattfindet, spielen die Lehrkräfte im Aufdecken sexualisierter Gewaltdelikte eine zentrale Rolle. Es ist wichtig, dass etwa in der Ausbildung das Fachwissen vermittelt wird, dass Lehrkräfte wachsam sind. Gibt es eine plötzliche Verhaltensänderung? Zieht ein Kind sich zurück oder wird es plötzlich aggressiv? Hier ist es wichtig, mit offenen Fragen zu reagieren, vorsichtig nachzufragen – und ggf. die notwendigen Schritte einzuleiten.
Auch der Sport ist leider häufig ein Ort von sexualisierter Gewalt, es gab dazu ja in den letzten Jahren auch viele Berichte. Es ist wichtig, dass alle Fachleute ein Konzept im Kopf haben, wissen, wie sie Kinder oder Jugendliche ansprechen können. Es wäre sehr wichtig, dass dies auch in der Ausbildung thematisiert wird, in die Curricula aufgenommen wird, damit in der späteren Berufstätigkeit auf diese Kompetenzen zurückgegriffen werden kann.