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Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung – Win-win für Fach- und Führungskräfte

Von Prof. Dr. rer. med. Claudia Winkelmann.

Fachkräfte sind rar – und gutes Personal zu finden, gleicht oft der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Tatsächlich geht es jedoch nicht um „gut“, sondern um beiderseitige Passung. Exakt hier setzt lebenszyklusorientierte Personalentwicklung an: Durch Ausrichten personalentwicklerischer Maßnahmen an verschiedenen Phasen im stellen- und laufbahnbezogenen Lebenszyklus können Potenziale gezielt gefördert, Fach- und Führungskräfte langfristig gebunden werden und vorhandene Ressourcen optimal einfließen. Mitarbeitende bringen sich aktiv ein, indem sie ihre Interessen, Bedingungen, Stärken und Schwächen reflektieren. Die damit verbundene Annäherung der Leitungs- und Mitarbeitendenperspektive lohnt sich doppelt: für langfristige Zufriedenheit der Mitarbeitenden und für langfristige Existenzsicherung der Einrichtung.

Mehrere Generationen lebenszyklusorientierte Personalentwicklung im Gesundheitsbereich Bild: shutterstock / fizkes

Lebenslanges Lernen mit Fokus auf laufbahn- und stellenbezogenem Lebenszyklus

Fachkräfte entwickeln sich im Zuge des lebenslangen Lernens durch formales, non-formales, informelles Lernen in allen Lebenszyklen:

  1. Biosozialer Lebenszyklus
    Gemeint ist ein umfassender Bogen von Geburt (Forschungsergebnisse zum Tastsinn belegen dahingehende, vorgeburtliche Entwicklungen) eines Menschen bis zum Tod.
     
  2. Familiärer Lebenszyklus
    Primär geht es hier um die vom Individuum gegründete Familie, Partnerschaft, Verbundenheit und bezieht sich u.a. auch auf die Bereiche Kinder und Enkelkinder. 
     
  3. Beruflicher Lebenszyklus
    Er umfasst die Entwicklung einer Person von der Berufswahl bis zum Ende des Erwerbslebens. 
     
  4. Laufbahnbezogener Lebenszyklus (auch betrieblicher Lebenszyklus)
    Dieser beschreibt die Entwicklung eines Mitarbeitenden vom Eintritt in die Einrichtung bis zum Austritt als Laufbahn (Karriere) innerhalb der Einrichtung. Eine Laufbahn besteht aus mehreren, verschiedenen stellenbezogenen Lebenszyklen.
     
  5. Stellenbezogener Lebenszyklus
    Er beinhaltet die Entwicklung eines Mitarbeitenden vom Antritt einer neuen Stelle bis zum erneuten Stellenwechsel. Der Stellenwechsel kann sich innerhalb der Einrichtung (z. B. Wechsel eines Aufgabenbereiches oder von Fach- in Führungsverantwortung) vollziehen.

Jede Fach- und Führungskraft durchläuft im beruflichen Kontext einen solchen Zyklus (s. Abb. 1), wobei hier der laufbahnbezogene und stellenbezogene zentral sind.

Angelehnt ist die Betrachtung an den „Produktlebenszyklus“ der Betriebswirtschaftslehre. Demnach werden die Produkte im Markt eingeführt. Durch steigende Nachfrage wächst der Umsatz bis der Markt bspw. durch Wettbewerber oder Substitute gesättigt ist und die Produkte wieder vom Markt bzw. aus den Regalen genommen werden.

Abb. 1

Wesentliche Merkmale der lebenszyklusorientierten Personalentwicklung als ganzheitliches Konzept sind:

  • Alle Mitarbeitenden stehen im Fokus, und zwar 
  • für die gesamte Dauer der Stelle oder Laufbahn.
  • Entwicklung ist weder Selbstzweck noch dient sie der Verformung von Angestellten.
  • Mit der Frage „Wozu?“ wird die gezielte Entwicklung gemeinsam abgestimmt
  • und zwar im beiderseitigen Interesse, 
  • orientiert am individuellen Lebenszyklus, aber auch dem Produktlebenszyklus/ Portfolio der Einrichtung.
  • Erst nach der Analyse anhand der Mitarbeitenden-Matrix (s. Abb. 2) werden Maßnahmen geplant. 

Die Kenntnis der jeweiligen Perspektive, die sich im Laufe der Anstellungszeit auch mehrmals ändert, ist für beide Seiten essenziell. Um gezielt Maßnahmen zu planen und umzusetzen, dient im Sinne einer Bedarfsanalyse die Mitarbeitenden-Matrix. Sie ist angelehnt an das „Portfolio (auch BCG-Matrix)“ der Betriebswirtschaftslehre. In turnusmäßigen Kooperationsgesprächen zwischen Leitung und Fach- und Führungskräften werden in einem Diagramm das Entwicklungspotenzial und die aktuelle Leistung abgetragen und mögliche Abweichungen der Selbst- und Fremdeinschätzung diskutiert. Anschließend werden gemeinsam Maßnahmen unter Berücksichtigung der Einrichtungsziele und damit verbundenen Möglichkeiten abgeleitet.

Abb. 2

Prognosekraft der Phasen stärker als die Variable Alter

Untersuchungen zeigen, dass die Prognosekraft der Phasen der Variable Alter als Prädiktor weit überlegen ist und die stellenbezogene i.d.R. größeren Einfluss hat als die laufbahnbezogene Phase.

Die Unzufriedenheit mit der Arbeit und die Fluktuation, mindestens aber die Wechselabsicht mit Gefahr der inneren Kündigung, nehmen zu, wenn sich Mitarbeitende der Sättigungsphase nähern. Je weiter sie im laufbahn- und stellenbezogenen Zyklus voranschreiten, desto weniger ausgeprägt erfahren sie unabhängig vom Alter „Individuelle Berücksichtigung“, „Wertschätzung“ oder „Lernförderung und Personalentwicklung“. Mit Annäherung an die Sättigungsphase werden Reichweite, Stellenwert und Nutzen der Personalentwicklung geringer bewertet. Hinderungs- bzw. Ablehnungsgrund von Maßnahmen ist vor allem die mangelnde Orientierung am Bedarf der Mitarbeitenden in der Reife- und Sättigungsphase.

Die einzelnen Phasen im Überblick

Die Einführungsphase beginnt weit vor dem ersten Arbeitstag in der Einrichtung oder auf einer neuen Stelle. Bei den Fach- und Führungskräften sind es vorhergehende berufliche Entwicklungen, Familienzeiten, Umzüge, Qualifikationen etc., die prägend waren für den Schritt der Bewerbung. Bei der Einrichtung ist es u.a. die geschaffene Arbeitgebermarke im Zusammenhang mit der Unternehmenskultur, die zu Stellenausschreibung und Rekrutierungsprozess führten.
In der Einführungsphase geht es um beiderseitiges Sozialisieren. Neue Mitarbeitende müssen das Entwicklungspotenzial haben, den Aufgaben in absehbarer Zeit gewachsen zu sein und sich in die Einrichtung bzw. das Team integrieren zu können. Die Einrichtung bzw. das bestehende Team müssen neue Mitarbeitende aufnehmen und integrieren wollen. Dazu tragen verschiedene Instrumente bei, so z. B. das Reverse Recruiting.
Scheitert der Prozess, kommt es relativ rasch zu beiderseitiger Enttäuschung.
Verschiedene, auch intrapersonelle Gründe können dazu führen, dass neue Mitarbeitende die Einrichtung wieder verlassen. In dem Fall spricht man von Früh-Fluktuation. Mitarbeitende überspringen weitere Phasen bzw. Quadranten und treten direkt aus der Einrichtung aus (siehe Austrittsphase).

Die Wachstumsphase schließt an die gelungene Einarbeitungsphase an, wobei keine allgemeingültige Aussage zur Dauer besteht. Jedoch stellt das Probezeitgespräch einen Meilenstein und die Schnittstelle der beiden Anfangsphasen dar. Interessen und Talente können teilweise erst jetzt, d.h. nach praktischen Erfahrungen, entdeckt werden. Vorausgesetzt sind einerseits intrinsische Motivation und grundsätzliches Entwicklungspotenzial sowie andererseits optimale Einrichtungsbedingungen zur Potenzialentfaltung. 

Die Reifephase schließt fließend an. Vermehrt werden Routinen und eine gewisse Stagnation 
wahrgenommen. Möglicherweise sind andere Phasen der weiteren Lebenszyklen (z. B. Familienplanung, Elternzeit, Angehörigenpflege) vordergründiger. Diese Phase ist gekennzeichnet durch Reflexion, auch als Selbsteinschätzung und Standortbestimmung, durch Hinterfragen von Werten, Normen und Regeln, denn neben der beruflichen Rolle ist die gesamte Person gereift. Aus Einrichtungssicht ist die Person als Führungskraft oder Fachkraft lange zu halten, zu erhalten und deren Expertise an nächste Mitarbeitendengenerationen weiterzugeben. 
Die Reifephase ist die Wende des beruflichen Aufstiegs. Führungskräfte müssen jetzt besonders aufmerksam in den Beurteilungs- und Fördergesprächen sein, um Zeichen innerer Kündigung durch Unter- oder Überforderung nicht zu verpassen, sondern im Gegenteil die Bindung an die Einrichtung noch zu intensivieren. Wurde das verpasst, befinden sich die Mitarbeitenden bereits in der Sättigungsphase.

Die frühe Sättigungsphase bildet gemeinsam mit der späten Reifephase die entscheidende Phase, wenn es um die Mitarbeiterbindung geht. Führungskräfte sind hier besonders gefordert hinzuhören und individuelle Lösungen zu unterbreiten.
Nach Routinen mit der Gefahr von Boreout kommt es nun zu Unter- und/ oder Überforderung, die sich als Misfit-Leistung präsentiert. Spätestens jetzt muss die Führungskraft agieren, z. B. durch Förderung von Intrapreneurship.

Die späte Sättigungsphase ist auf zunehmende Selbstfürsorge sowie Nachfolge-Vorbereitung konzentriert und geht in die Austrittsphase über.

Die Austrittsphase schließt einen stellen- und laufbahnbezogenen Lebenszyklus sowohl durch regelrechte Beendigung des Dienstverhältnisses als auch internen Stellenwechsel ab. Mit dem Vollziehen des Stellenwechsels startet ein neuer lebenszyklusorientierter Personalentwicklungsprozess mit der Einführungsphase. 
In der Mitarbeitenden-Matrix präsentiert sich die Austrittsphase im vierten Quadranten. Sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdeinschätzung wird bezogen auf die auszufüllende Stelle und Tätigkeit geringes Entwicklungspotenzial erkannt und es passieren gehäuft Fehler oder die Zahl der Beschwerden steigt.
Diese Phase sollte mit einem wertschätzenden Austrittsgespräch beendet werden. Es gilt die Formel: „Es gibt nicht nur den ersten, sondern auch den letzten Eindruck.“ So ist nachgewiesen, dass Mitarbeitende einen ungünstigen Austritt in die nächste Stelle bzw. Einrichtung übertragen. Aber auch im Team wirkt ein solches Ende negativ nach.

Take home - Denkhaltung hinter dem Konzept

Es erfolgen keine Altersselektion und ausschließliche Konzentration auf Talente. Alle Karrieremodelle sind lebenszyklusgerecht, so existieren Sinuskarrieren, horizontale Karrierewege und Late Careers. Die Arbeits- und Entwicklungsbedingungen entsprechen den Bedürfnissen unterschiedlicher Lebensstile (statt Generationen). Zum langfristigen Erhalt der Leistungsfähigkeit, -bereitschaft und -möglichkeit trägt ganzheitliche, betriebliche Gesundheitsbildung bei. Das „Wohlbefinden“ der Mitarbeitenden gilt als Key-Performance-Indicator und wird erzeugt durch

1. Positive Gefühle,

2. Zielerreichung/ Erfolg/ Gelingen,

3. Engagement/ Work-Life-Flow,

4. Sinn,

5. Positive Beziehungen.

Literatur

Graf, A. (2008). Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung. In: Thom, N., Zaugg, R.J. (eds) Moderne Personalentwicklung. Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-8349-8097-7_15

Hasebrook, J., Zinn, B., & Schletz, A. (2018). Lebensphasen und Kompetenzmanagement. Ein Berufsleben lang Kompetenzen erhalten und entwickeln. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-55158-5

Sprenger, R.K. (2000). Aufstand des Individuums. Warum wir Führung komplett neu denken müssen. Campus.

Winkelmann, C., & Helmer-Denzel, A. (2021). Teambuilding leicht gemacht - Von der Projektidee zum Teamerfolg. Hogrefe. https://doi.org/10.1024/86177-000

Winkelmann, C., & Rogalski, C. (2021). BWLight für Gesundheitsberufe. Plan-Do-Check-Act für Klinik und Praxis. Hogrefe. https://doi.org/10.1024/86132-000

Winkelmann, C., Rogalski, C., & Karluß, J. (2025). Wissensmanagement in der beruflichen Laufbahn. Fachkräfte für Gesundheit gewinnen und halten. Hogrefe.

Prof. Dr. Claudia Winkelmann

Prof. Dr. Claudia Winkelmann ist Schwerpunktprofessorin für Qualitätsgesicherte Strukturentwicklung in Studium und Lehre mit Wissenschaftlicher Gesamtleitung des Bereichs Weiterbildung sowie Professorin für Betriebswirtschaft und Management im Gesundheits- und Sozialwesen an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Davor war sie Studiendekanin an der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg. Sie forscht unter anderem in vom BMBF geförderten Projekten zur Stärkung des Sozialunternehmertums und zur Zukunft der Arbeit. Als Physiotherapeutin und Führungskraft war sie in verschiedenen Universitätsklinika tätig. Sie engagiert sich in Fachgesellschaften, ist Gutachterin und wissenschaftliche Beirätin diverser Fachjournals und Verlage.

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