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Lehren und lernen mit digitalen Medien

Wie werden Informationen gespeichert, wie wird sich die Künstliche Intelligenz auswirken und warum ist Lernen nicht nur ein kognitiver Prozess? Das Feld „E-Learning“ hat sich enorm weiterentwickelt, die Forschung hat den Blick erweitert. Im Gespräch mit den Herausgeber des Bandes „Lehren und lernen mit digitalen Medien“, Prof. Dr. Günter Daniel Rey, wird deutlich, welche Veränderungen es in den letzten Jahren gab, warum die Bedeutung von Emotionen inzwischen anders gewertet wird und welche Rolle Künstliche Intelligenz spielen könnte. 

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Unter dem Titel „E-Learning“ ist das Lehrbuch in der 1. Auflage erschienen – dies war 2009, also vor 15 Jahren. Wie hat sich das Forschungsfeld inzwischen entwickelt?

In den letzten 15 Jahren hat sich das Forschungsfeld enorm weiterentwickelt. Der Einfluss populärwissenschaftlicher Lernmythen auf das Feld hat an Bedeutung verloren, ebenso wie die Überprüfung von Medienvergleichen, die ich als „pauschale Vergleiche“ bezeichne und wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen aus diversen methodischen Gründen kritisiere. Stattdessen wurden zahlreiche, auch neue Empfehlungen zur lernförderlichen Gestaltung digitaler Lehr-Lernmedien in unzähligen Studien und anhand unterschiedlicher Lerninhalte eingehend überprüft, sodass wir eine viel solidere empirische Basis haben als noch 2009. Mittlerweile liegen meist eine oder mehrere Metaanalysen zu den einzelnen Gestaltungsempfehlungen vor, die über alle Studien zu der jeweiligen Empfehlung hinweg eine Art „Gesamteffekt“ berechnen. Mehr noch: Im Jahr 2022 ist eine Meta-Metaanalyse* erschienen, die sämtliche der insgesamt elf dort untersuchten Gestaltungseffekte bestätigen konnte. Auch die eingesetzten Messinstrumente, etwa zur Erfassung der kognitiven Belastung, haben sich enorm verbessert und erlauben präzisere Aussagen über das Lehren und Lernen mit digitalen Medien.

Im aktuellen Lehrbuch sind nun nicht mehr nur kognitive Prozesse im Fokus, sondern auch motivationale und emotionale, soziale und kulturelle. Welche Erkenntnisse lassen sich durch diesen erweiterten Ansatz gewinnen?

Aus meiner Sicht ist diese Verschiebung des Fokus die bedeutendste Veränderung in dem Forschungsfeld. Diese Erweiterung hat sich auf die theoretische Fundierung, die empirische Bewährung und die praktische Relevanz als Kriterien für Empfehlungen zur Gestaltung digitaler Lehr-Lernmedien ausgewirkt. Während 2009 noch zwei, rein kognitionspsychologische Rahmenmodelle das Forschungsfeld dominiert haben, sind mittlerweile mehrere Erweiterungen dieser beiden Modelle postuliert worden, die neben kognitiven Prozessen auch die besagten motivationalen, emotionalen, sozialen und bisweilen auch metakognitiven und kulturellen Prozesse explizit berücksichtigen. Auch im Hinblick auf die empirische Bewährung ist dies relevant, wenn es etwa um Effekte auf die Lernleistungen geht, die sich indirekt z. B. über motivationale oder emotionale Prozesse auswirken. Aber auch direkte Effekte der Gestaltungsempfehlungen auf die Motivation und die Emotionen von Lernenden sind hier natürlich zu nennen. Meines Erachtens hat dadurch auch die praktische Relevanz der postulierten Gestaltungsempfehlungen zugenommen, da durch diese Erweiterung die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus den (kognitionspsychologischen Labor-)Studien zum Lernen mit digitalen Medien auf reale Lehr-Lern-Situationen tendenziell zugenommen hat.

Welche Auswirkungen hat dies auf die Gestaltung von digitalen Lernmedien, z.B., wenn es um Emotionen geht, um Motivation?

Diese Erweiterung um motivationale und emotionale Prozesse hat meiner Meinung nach erhebliche Auswirkungen auf die Gestaltung digitaler Lehr-Lernmedien. Während vor ca. 15 Jahren noch weitgehend die Überzeugung in dem Forschungsfeld dominierte, dass bei der Gestaltung digitaler Medien vor allem die kognitive Überlastung vermieden werden müsse, ist man mittlerweile der Auffassung, dass Lernmaterialien zugleich auch emotional „ansprechend“ und möglichst motivationsförderlich gestaltet werden sollten. Besonders augenfällig wird das am Begriff des „Emotional Design“ in dem Feld deutlich, der auf genau diese Aspekte Bezug nimmt. In diesem Kontext sind auch dekorative Bilder zu nennen, die jahrzehntelang als ausschließlich lernhinderlich betrachtet wurden. Mittlerweile wissen wir durch mehrere Experimentalserien, dass solche dekorativen Bilder in bestimmten Fällen lernförderliche Auswirkungen nach sich ziehen können, wenn sie etwa ansprechend gestaltet sind und bei den Lernenden positive Emotionen beim Lernen hervorrufen. Sowohl beim „Emotional Design“ als auch bei dekorativen Bildern oder etwa amüsanten Videoclips zur Auflockerung muss man sicherlich zukünftig noch stärker als bisher differenzieren, in welchem Altersbereich (z.B. Grundschule vs. Universität) sich die Lernenden befinden, aber grundsätzlich haben sich in allen Alterskohorten bisweilen auch positive Lerneffekte gefunden.

Würden Sie einen Ausblick wagen, wie sich das Lehren und Lernen mit digitalen Medien in den kommenden Jahren entwickeln könnte?

Vor allem das Thema KI (bzw. AI) wird in den kommenden Jahren sicherlich weiter enorm an Bedeutung gewinnen. Ergänzend zu den Einschätzungen meiner Kollegin Maria Wirzberger, die dieses Thema in dem letzten Kapitel des Herausgeberwerkes zu intelligenten Systemen für das Lehren und Lernen beleuchtet, sehe ich hier vor allem Auswirkungen auf die Produktion und Rezeption von Lernmedien. Bei der Produktion von Lernmedien, etwa bei der Erstellung von Whiteboard-Animationen, Pädagogischen Agentinnen und Agenten, aber auch bei der Entwicklung digitaler Lernspiele oder geeigneter Beispiele beim Lehren und Lernen, wird KI einerseits zu erheblichen Erleichterungen führen, andererseits aber auch neue Herausforderungen mit sich bringen, was beispielsweise das sog. „Prompting“ dieser KI-Tools anbelangt. Bei der Rezeption von Lernmedien ist davon auszugehen, dass Lernende zunehmend KI-Werkzeuge einsetzen werden, um sich Lerninhalte aus Lerntexten oder Lernvideos zusammenfassen zu lassen. Dies muss – wenn man einmal von sog. „Halluzinationen“ dieser KI-Systeme absieht – aus meiner Sicht nicht per se zu schlechteren Lernleistungen führen, bringt aber mutmaßlich ganz neue Herausforderungen mit sich, die es in zukünftigen Studien eingehend zu untersuchen gilt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

*Noetel , M., Griffith, S., Delaney, O., Harris, N. R., Sanders, T., Parker, P., . . . Lonsdale, C. (2022). Multimedia design for learning: An overview of reviews with meta-meta-analysis. Review of Educational Research, 92(3), 413-454. doi:10.3102/00346543211052329

Prof. Dr. Günter Daniel Rey

Prof. Dr. Günter Daniel Rey hat seit 2013 die Professur für Psychologie digitaler Lernmedien an der Technischen Universität Chemnitz inne. Dort ist er derzeit Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medienforschung und stellvertretender Dekan der Philosophischen Fakultät. Schon vor seiner Promotion an der Universität Trier und seiner kumulativen Habilitation an der Universität Würzburg im Fachgebiet Psychologie beschäftigte er sich mit dem Lehren und Lernen mit digitalen Medien.

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