DeutschSchule und Entwicklung

Lese- und Rechtschreibförderung in der Schule und zu Hause

5 bis 8 Prozent der Kinder haben eine LRS

Herr Lachmann, was ist eine Lese-Rechtschreibstörung (LRS)?
Von Lese-Rechtschreibstörung (LRS) spricht man, wenn es durch eine spezifische Entwicklungsstörung zu einer selektiven und bedeutsamen Beeinträchtigung beim Erlernen der Schriftsprache kommt.

Wie äußert sich das konkret?
Sie zeigt sich dadurch, dass ein Kind in der zweiten bis dritten Klasse deutlich schlechtere schriftsprachliche Leistungen zeigt, als dies aufgrund seiner sonstigen Leistungen, zum Beispiel in Mathematik, zu erwarten wäre. Wenn dies nicht durch äußere Umstände, durch allgemeine Entwicklungsrückstände oder durch fehlende Motivation zu erklären ist, dann sprechen wir von einer Lese-Rechtschreibstörung.

Bis zu 8 Prozent der Lernenden betroffen

Wie viele Schüler*innen sind betroffen?
Wir gehen von 5 bis 8 Prozent der Lernenden aus. Das hängt davon ab, welches Kriterium für die Abweichung von der durchschnittlichen Schriftsprachleistung diagnostisch als bedeutsam erachtet wird.

Welche psychischen Auswirkungen kann es haben, wenn Kinder hier Probleme haben?
Es gibt eine Reihe neuerer Studien, die zeigen, dass die Lese-Rechtschreibstörung zu emotionalen und motivationalen Problemen führen und sich somit auch negativ auf andere Leistungsbereiche in der Schule auswirken kann. In vielen Fällen erreichen die betroffenen Kinder nicht die ihren intellektuellen Fähigkeiten entsprechenden Ausbildungsabschlüsse und Beschäftigungsniveaus.

LRS zuverlässig diagnostizieren

Wie lassen sich Schwierigkeiten mit dem Lesen und der Rechtsschreibung diagnostizieren?
Die Leistungsbeeinträchtigung wird in der Regel über die Lesegeschwindigkeit und die Lesegenauigkeit sowie Fehler beim Textschreiben ermittelt. Das wird dann zur Klassennorm ins Verhältnis gesetzt.

Es existieren eine Reihe von Verfahren, die lese- und rechtschreibbezogenen Fähigkeiten zuverlässig messen. Beispiele sind das Würzburger Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (LRS-Screening), der Salzburger Lese-Rechtschreibtest (SLRT-II), der Leseverständnistest für Erst- bis Siebtklässler (ELFE-II) oder andere standardisierte Testverfahren.

Ein Problem ist, dass es keine Einigkeit darüber gibt, wie groß die statistisch nachweisbare Leistungsbeeinträchtigung im Vergleich zur Norm sein muss.

Wie können Kinder gefördert werden? Sollten Sie einfach mehr lesen und schreiben üben?
Nein, ein Kind zu Hause einfach nur mehr lesen und schreiben zu lassen, kann nicht der Weg sein, denn es adressiert nicht die Ursachen. Es verfestigt vielmehr falsche Strategien und führt nicht selten zu Frustration und familiären Konflikten. Zunächst müssen grundlegende Fähigkeiten und deren Koordination trainiert werden, danach kann zusätzliches Üben des Lesens und Schreibens sinnvoll sein.

Training: je früher desto besser

Was sagt denn die Forschung zum Thema Förderung?
Die Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt ein klares Bild: eine zielgerichtete und wissenschaftlich fundierte Förderung kann die Folgen der Lese-Rechtschreibstörung abfedern, auch wenn viele Kinder mit LRS ein Leben lang Probleme mit schriftsprachlichen Anforderungen haben werden. Dabei gilt prinzipiell: Je früher ein Training ansetzt, desto höher sind die Erfolgschancen.

Das Training sollte dabei aber individuell angepasst sein. Warum?
Wir gehen nicht davon aus, dass es ein ganz bestimmtes Defizit gibt, das der Lese-Rechtschreibstörung bei allen Kindern zugrunde liegt. Deshalb sollte ein Training nicht bei jedem Kind in gleicher Weise eine einzelne Verarbeitungsfähigkeit isoliert trainieren, auch wenn diese für die Schriftsprache sehr wichtig ist, wie beispielsweise die Lautbewusstheit, also das Verständnis dafür, dass Wörter aus Lauten bestehen. Das Training sollte stattdessen hierarchisch aufgebaut sein, von ganz basalen Teilprozessen des Schriftsprachprozesses über die Fähigkeit Buchstaben und Laute zu verbinden, bis hin zur schnellen Erkennung ganzer Wörter.

In den letzten Jahren haben sich Computer immer mehr für solche individuellen Trainings bewährt. Warum ist der PC ein so guter Lernhelfer?
Computerprogramme bieten eine hervorragende Möglichkeit für ein umfängliches und adaptives Training, weil sie die Leistung der Kinder erfassen und die Aufgaben entsprechend anpassen. Jedes Kind trainiert also genau das, womit es Probleme hat.

Vorteile eines Computertrainings

Computerprogramme bieten noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Die Möglichkeit, dass das Training von den Kindern selbstständig durchgeführt wird. Müssen Eltern und Lehrer dann gar nichts mehr tun?
Ganz so ist es natürlich nicht. Die Programme können zu Hause oder im differenzierten Unterricht angewendet werden. Eltern oder Lehrer müssen aber dafür sorgen, und das ist wirklich wichtig, dass das Training regelmäßig durchgeführt wird. Allerdings bedarf es da erfahrungsgemäß bei den meisten Kindern kein großes Überreden, schon wegen der Computeraffinität der Kinder.

Sie selbst haben ein Programm für Grundschulkinder mitentwickelt: Lautarium. Wie funktioniert das?
Lautarium enthält insgesamt 58 verschiedene Aufgaben, mit denen die Wahrnehmung und Verarbeitung von Lauten und das Lesen und Schreiben von Silben und Wörtern geübt wird. Es gibt beispielsweise Aufgaben, bei denen vorgesprochene oder bildlich dargestellte Wörter in die einzelnen Laute zerlegt werden müssen.

Die Laute werden im Programm durch Bausteine dargestellt. Wenn die Lautbausteine richtig ausgewählt und angeordnet wurden, müssen die jeweiligen Buchstaben zugeordnet werden. In anderen Aufgaben wird das Unterscheiden von ähnlichen Lauten geübt. Dabei geht es besonders um Plosivlaute, aber auch um kurze und lange Vokale, weil diese für die Rechtschreibregeln sehr wichtig sind.

Ist die Wirksamkeit von Lautarium nachgewiesen?
Das Programm basiert auf dem internationalen Forschungsstand zu Ursachen und Fördermöglichkeiten bei Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Seine Wirksamkeit wurde bei Erst- und Zweitklässlern nachgewiesen, wobei leistungsschwächere Kinder besonders stark vom Training profitieren. In mehreren Studien wurde auch die Wirksamkeit bei Drittklässlern mit LRS nachgewiesen.

Der Name des Programms erinnert an “Aquarium”. Was hat es damit auf sich?
Das ist ein Wortspiel: Lautarium enthält zum einen das Wort “Laut”, weil das Programm insbesondere die Lautverarbeitung und die Verbindung zwischen Lauten und Buchstaben trainiert. Zum anderen, da haben Sie ganz Recht, nimmt der Name Bezug auf das im Programm enthaltene Belohnungssystem, ein virtuelles Aquarium.

Für richtige und zügig gegebene Antworten gibt es Punkte, die nach jeder Übung in virtuelles Geld umgetauscht werden können. Dies können die Kinder am Bildschirm ganz genau verfolgen. Solch ein direktes Feedback ist sehr wichtig für den Lernprozess und die Motivation. Für das virtuelle Geld können sie dann Fische, Pflanzen, ein Schiffswrack oder andere schicke Objekte zur Einrichtung eines eigenen animierten Aquariums „einkaufen“. Das macht den Kindern großen Spaß und sie sind stolz auf die erarbeiteten Erfolge, die das Aquarium repräsentiert. Es sind Erfolge auf einem Gebiet, auf dem sie sonst meist leider nur Misserfolge erleben.

Herr Lachmann, vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. habil. Thomas Lachmann

Prof. Dr. habil. Thomas Lachmann ist Professor für Psychologie an der Technischen Universität Kaiserslautern. Hier leitet er das Fachgebiet Kognitive und Entwicklungspsychologie und das Center for Cognitive Science. Am Fernstudienzentrum der TU leitet er zudem den Studiengang Psychologie der kindlichen Lern- und Entwicklungsauffälligkeiten.

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