DeutschWissen und Gesellschaft

Mit Leichter Sprache zu mehr Teilhabe

Sonja Gross hat mit „Leichte Sprache“ ein Buch geschrieben, das die Grundlagen für eine barrierefreie Kommunikation vorstellt und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung bietet zum Schreiben in Leichter Sprache. Wir haben mit der Autorin über die Prinzipien und Vorteile von Leichter Sprache gesprochen.

Mit leichter Sprache gelingt die Kommunikation barrierefrei

Was genau ist eigentlich „Leichte Sprache“, können Sie uns ein Beispiel geben?

Leichte Sprache, das ist eine besonders einfach verständliche Sprache. Es handelt sich also um eine Variante der deutschen Sprache. Ursprünglich entwickelt wurde Leichte Sprache von und für Menschen mit einer Lernbeeinträchtigung. Allerdings profitieren auch viele weitere Zielgruppen von Informationen, die einfach verständlich sind.

Leichte Sprache erkennt man vor allem an den kurzen und einfachen Sätzen. Die Faustregel ist, dass ein Satz immer nur eine Information und möglichst keine Kommas enthalten sollte. Darüber hinaus werden zum Beispiel Fremdwörter vermieden. Nebst Regeln auf Satz- und Wortebene gibt es in der Leichten Sprache aber auch Regeln für das Layout und die Gestaltung. Auch diese werden so angepasst, dass der Text für möglichst viele Menschen gut verständlich, also barrierefrei, ist.

Bei der Übersetzung eines Arbeitsvertrages bin ich zum Beispiel auf den folgenden Satz gestoßen:

„Bei wieder vollständiger Arbeitsfähigkeit im Rahmen Ihres geschützten Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Wiederaufnahme der Arbeit haben Sie Anspruch auf Lohnzahlung gemäß den vertraglichen Vereinbarungen und im Umfang der Arbeitsfähigkeit“

Diesen würde man dann zum Beispiel so umformulieren:

„Wenn Sie wieder arbeiten können,
dann kommen Sie zurück an Ihren geschützten Arbeits-Platz.

Wenn Sie wieder arbeiten,
dann bekommen Sie auch wieder Lohn.“

Häufig wird auch mit Fragestellungen gearbeitet. Zum Beispiel:

„Sie können wieder arbeiten?
Dann kommen Sie zurück an Ihren geschützten Arbeits-Platz

Sie arbeiten wieder?
Dann bekommen Sie auch wieder Lohn.“

Dabei sollte man die Zielgruppe immer im Blick behalten. Denn nicht für jede Zielgruppe braucht es Leichte Sprache. Manchmal reicht auch eine leichtere Sprache. Deshalb werden im Buch beide Sprachniveaus näher beleuchtet.

Gerade erst hat die IGLU-Studie gezeigt, dass jede*r 4. Grundschüler*in nicht den Mindeststandard in Lesekompetenz erreicht. Vermutlich wird nur ein Teil dieser Kinder dies aufholen können. Werden immer mehr Menschen auf Leichtere Sprache angewiesen sein?

Nein, davon ist nicht zwingend auszugehen. Laut aktuellen Studien und den Aussagen von Sprachwissenschaftler*innen ist es nicht unbedingt das Leseniveau der Menschen, das sinkt, sondern die Sprache, die komplexer wird. Ausserdem ist es ja nicht neu, dass viele Bürger*innen die Informationen von Ämtern, Behörden oder Verträge nur schlecht verstehen. Im Gegenteil: Früher war dies, so vermute ich, noch viel häufiger der Fall. Heute ist man diesbezüglich einfach sensibilisierter, die Kommunikation auf Augenhöhe, Selbstbestimmung und Teilhabe haben an Bedeutung gewonnen.

Nichtsdestotrotz ist es ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung, der auf Leichte oder auf einfache Sprache angewiesen ist.

Wie hoch ist denn dieser Anteil?

Wir können, laut den aktuellen Studien, wie PISA oder der OECD-Studie, davon ausgehen, dass etwa 20 Prozent der Bevölkerung über höchstens rudimentäre Kompetenzen im Lesen verfügt. Um diese Personen zu erreichen, braucht es Leichte Sprache.

Ausserdem hat sich in diesen Studien gezeigt, dass es etwa der Hälfte der Bevölkerung auch bei mehrmaligem Lesen nicht gelingt, Informationen in einem dichteren und längeren Text, dessen Aufbau nicht unbedingt offensichtlich ist, zu finden und zu verstehen. Zum Beispiel Behördentexte werden deshalb von einem grossen Teil nicht verstanden. Aber auch Verträge sind für viele Menschen schwer verständlich.

Welche Rolle spielt Leichte, Einfache oder Leichtere Sprache beim Streben nach Barrierefreiheit?

Beim Thema Barrierefreiheit denken viele zuerst einmal an Treppen und Rollstuhlgängigkeit. Barrieren, welche die Teilhabe verhindern, gibt es jedoch auch viele in der Kommunikation. Eine Barriere, die den Zugang zu einer schriftliche Information verhindert, kann auch eine zu kleine Schrittgröße sein oder der Gebrauch von Fremdwörtern. Leichte Sprache allein sichert also noch keine barrierefreie Kommunikation. Jedoch ist sie ein wichtiges Puzzleteil für barrierefreie Kommunikation, zum Beispiel nebst dem Einsatz von barrierefreien (PDF-)Dateien, die unabhängig von der jeweiligen Technik vorlesbar und zugänglich sind. Ausserdem kann Leichte Sprache auch in der mündlichen Kommunikation eingesetzt werden und dort beim Abbau von Barrieren helfen.

Wie kompliziert ist Leichte Sprache? D.h., kann man sich Leichte Sprache z.B. selbst beibringen?

Leichte Sprache ist, anders als beim Lesen, beim Erarbeiten nicht leicht. Das sagen zumindest 95% meiner Kursteilnehmenden. Sie können es sich ein bisschen so vorstellen, als würde man eine Fremdsprache lernen – zu Beginn ist die Anwendung der Regeln recht mechanisch und es braucht viel Zeit, um auch kurze Texte oder wenige Informationen in Leichter Sprache zu formulieren. Es braucht also einiges an Zeit und Übung, um Leichte Sprache zu lernen. Wer jedoch dies sowie ein gewisses Sprachgefühl und genügend Disziplin mitbringt, kann sich Leichte Sprache, wie jede andere Sprache auch, mit der passenden Literatur selbst beibringen.

Wie sind Sie selbst zum Bereich Leichte Sprache gekommen und was begeistert Sie daran besonders?

Was mich besonders begeistert an Leichter Sprache und auch motiviert, sie noch bekannter zu machen, sind die Erfahrungen und Erlebnisse, die ich mit Menschen mit einer Leseschwäche gemacht habe. Nicht wenige Personen, mit denen ich gearbeitet habe, haben nicht einmal selbst die Post geöffnet, weil sie davon ausgingen: Ich verstehe sowieso nichts. Das ist viel zu mühsam und zu anstrengend.

Einige wollten auch nicht in der Prüfgruppe mitmachen, in der Texte in Leichter Sprache auf ihre Verständlichkeit geprüft werden, weil sie Angst hatten, dass sie zu schlecht lesen können.

Wir haben uns in der Prüfgruppe alle zwei Wochen getroffen und gemeinsam Texte zu verschiedensten Themen in Leichter Sprache gelesen und geprüft. Und schon nach kurzer Zeit haben die meisten Teilnehmenden große Freude am Lesen entdeckt, sie haben wieder mehr Selbstvertrauen gewonnen und sich plötzlich auch für Themen interessiert, die für sie vorher „zu kompliziert und anstrengend“ waren. Zum Beispiel haben sie sich mit Informationen in Leichter Sprache mit großer Motivation über das Thema Corona und Impfen informiert, um selbst entscheiden zu können, was sie möchten.

Ich bin überzeugt davon, dass Leichte(re) Sprache ein zentrales Mittel ist für mehr Teilhabe und Chancengleichheit.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Sonja Gross

Sonja Gross studierte an der Universität Zürich Erziehungswissenschaften und Psychologie. Seit dem Master-Abschluss war sie in unterschiedlichen Feldern des Sozialbereichs tätig: vom Integrationszentrum über die Kindertagesstätte und das Mutter- Kind-Zentrum bis hin zu Behinderteninstitutionen. Dabei begleitete sie das Thema Leichte Sprache neben der Konzeptarbeit und Angebotsentwicklung von Beginn an. Inzwischen verfügt sie über jahrelange Erfahrung im Erstellen von Texten in Leichter Sprache sowie im Leiten von Prüfgruppen.
In ihrer heutigen Tätigkeit als Geschäftsführerin der Firma Conceptera berät und unterstützt sie soziale und medizinische Einrichtungen sowie staatliche Behörden bei der Einführung und Umsetzung Leichter(er) Sprache. Weitere Informationen zur Autorin sowie eine Plattform mit zahlreichen Zusatz-, Hilfs- und Schulungsmaterialien zum Thema Leichte Sprache finden Sie unter: www.conceptera.ch/leichte-sprache

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